Guatemala | Nummer 447/448 - Sept./Okt. 2011

Guatemala steht vor Rechtsruck

Ex-Militär Otto Pérez Molina gilt als designierter Präsident

Bei den Präsidentschaftswahlen in Guatemala am 11. September (nach Redaktionsschluss) sprach alles für den Ex-Militär Otto Pérez Molina. Als offen galt nur, ob er sich den Sieg schon im ersten Wahlgang sichern kann. Seine Favoritenstellung verdankt Pérez seiner Wahlkampferfahrung und einem professionellen Parteiapparat. Zivilgesellschaftliche Gruppen und politische Gegner werfen ihm Menschenrechtsverletzungen während des guatemaltekischen Bürgerkriegs vor.

Oliver Lüthi

Die Favoriten auf die guatemaltekische Präsidentschaft mobilisierten in den Tagen vor dem entscheidenden Urnengang nochmals alle ihre Kräfte. Otto Pérez (Patriotische Partei) versprach in der Gemeinde Mixco mit harter Hand gegen Verbrecher vorzugehen und die weitverbreitete Armut im Land wirksam zu bekämpfen. Herausforderer Manuel Baldizón vom Parteienblock LIDER kündigte die Anwendung der Todesstrafe auf Schwerverbrecher und ein Verbot des offenen Tagebaus im Bergbau an. Und Fernando Suger von der ebenfalls rechtsgerichteten Partei Creo stellte bei einem Auftritt im Departamento San Marcos Verbesserungen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit und Sicherheit in Aussicht. Die drei Kandidaten gehen als Favoriten in die Präsidentschaftswahlen. Otto Pérez kann im ersten Wahlgang gemäß letzten Umfragen mit knapp 40 Prozent der Stimmen rechnen. Baldizón kommt auf 18,5 Prozent, während Suger gut 11 Prozent der Stimmen der 7,3 Millionen wahlberechtigten Guatemaltek_innen auf sich vereinigen dürfte.
Nach dem Wahlausschluss der Ex-Präsidentengattin Sandra Torres hat sich Manuel Baldizón zum schärfsten Herausforderer von Otto Pérez entwickelt. Der Anwalt und Parlamentsabgeordnete aus der Urwaldprovinz Petén präsentiert sich als Führer aller Entrechteten und verspricht eine Neugründung des Staates basierend auf den Werten des „Humanismus“. Humanismus bedeutet für Baldizón vor allem Ordnung und Null-Toleranz gegenüber Kriminellen. Mit seinem populistischen Politikstil scheint er insbesondere Wahlverdrossene und Wechselwähler anzusprechen. Nichtsdestotrotz scheint kein Weg an Otto Pérez vorbeizuführen. Der ehemalige Armeeoffizier und Kandidat der Patriotischen Partei bei den letzten Präsidentschaftswahlen liegt in allen Umfragen klar in Führung. Auch ausgehend vom Szenario eines zweiten Wahlgangs wird Pérez voraussichtlich deutlich am meisten Stimmen erhalten.
Pérez konnte sich bisher auf seine politischen Erfahrungen und einen professionellen Parteiapparat verlassen. Diese Mischung erlaubte es der Patriotischen Partei, das klarste und überzeugendste Programm zu präsentieren. Im Zentrum des Programms der Patriotas stehen die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Bandenkriminalität, eine Stärkung der Freihandelspolitik und verstärkte Anstrengungen bei der Bekämpfung der Armut. Um die Sicherheit im Land wiederherzustellen, hat Pérez die Rekrutierung von 10.000 zusätzlichen Polizisten und neue militärische Spezialeinheiten angekündigt. Im Bereich der Wirtschaftspolitik soll sich Guatemala nach dem Willen der Patriotischen Partei zu einem Exportland entwickeln: Zu bereits bestehenden Freihandelsverträgen sollen neue hinzukommen. Diese sicherheits- und insbesondere wirtschaftspolitischen Forderungen haben Otto Pérez zum bevorzugten Kandidaten der wirtschaftlichen Elite des Landes gemacht. Hiervon zeugt unter anderem die am besten ausgestattete Wahlkampfkasse aller Kandidierenden. 18,5 Millionen Dollar haben die Patriotas bisher für ihren flächendeckenden Wahlkampf ausgegeben.
Nichtsdestotrotz scheint die wahrscheinliche Wahl von Otto Pérez paradox. Hiermit hat dessen Vergangenheit als Offizier während des guatemaltekischen Bürgerkriegs zu tun. Als Chef der Militärabordnung im Hochlanddepartamento Quiché soll Pérez anfang der 1980er Jahre an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein. Die angesehene US-amerikanische Non-Profit-Organisation Washington Office on Latin America (WOLA) hat Pérez in einem Bericht vor den letzten Wahlen als Exponenten einer der zentralen militärischen Denkrichtungen während des Bürgerkriegs bezeichnet. Als Vorsteher des sogenannten Syndikats soll er für eine „reformistische“ Politik eingestanden haben, wonach „lediglich“ 30 Prozent der indigenen Bevölkerung ermordet und die restlichen 70 Prozent in sogenannten „polos de desarrollo“ (Entwicklungszentren) neu angesiedelt werden sollten. Pérez wird auch in Zusammenhang mit dem Verschwinden und der vermutlichen Ermordung des Guerilla-Führers Efraín Bámaca im Jahre 1992 gebracht. Der Kandidat der Patriotischen Partei war damals Direktor des MIlitärgeheimdienstes D-2. Die Ex-Frau von Bámaca und eine US-guatemaltekische Menschenrechtsorganisation haben diesbezüglich im Juli eine Klage beim UN-Sonderberichterstatter über Folter eingereicht.
Pérez Molina bestreitet die Anschuldigungen und bezeichnet diese als Diffamierungen seiner politischen Gegner. Stattdessen verweist er darauf, dass er während seiner Militärzeit in Quiché an der Eindämmung des internen Konflikts mitgewirkt habe und bezeichnet sich selbst gerne als „General des Friedens“ –- in Anspielung auf seine Rolle als Vertreter des Militärs bei den Friedensgesprächen im Jahre 1996. Tatsächlich gehörte Pérez 1983 zu denjenigen Militärs, welche den Sturz Ríos Montts unterstützten. Entsprechend schwierig ist die Rolle Pérez‘ während des guatemaltekischen Bürgerkriegs einzuschätzen. Ein politischer Beobachter hat allerdings die berechtigte Frage aufgeworfen, ob sich eine Person in seiner Funktion während des Bürgerkriegs der offiziell verordneten Politik der verbrannten Erde tatsächlich entziehen konnte.
Während dem Kandidaten der Patriotischen Partei seine unklare Vergangenheit vor vier Jahren noch den Wahlsieg kostete, scheint diese diesmal kein Hinderungsgrund für einen Wahlerfolg mehr zu sein. Guatemaltek_innen wünschen sich scheinbar nichts so sehr wie ein entschlossenes Vorgehen gegen die ausufernde Gewalt im Land, und niemand scheint die Politik der harten Hand so glaubwürdig zu verkörpern wie Pérez.
Die Präsidentschaftskandidaten überbieten sich dabei in Versprechungen, wie die Kriminalität im Land wirksam bekämpft werden kann. Pérez fordert zusätzliche Polizisten und Soldaten, Manuel Baldizón spricht von einer reduzierten, aber besser ausgebildeten Nationalen Polizei, und sogar das Linksbündnis Frente Amplio verlangt mehr Mittel für die Sicherheitskräfte.
Große Versprechungen und Ankündigungen sind ein Charakteristikum des aktuellen Wahlkampfs. Nichts scheint in den Parteiprogrammen zu fehlen. Neben dem Großkapital sollen auch Kleinunternehmen gefördert werden, soziale Kohäsion ist plötzlich verträglich mit einem Ausbau der dominierenden Freihandelspolitik und das entschlossene Vorgehen gegen die Kriminalität lässt selbstverständlich menschenrechtliche Standards nicht außer Acht. Beobachter_innen haben deshalb die Wahlprogramme der Kandidierenden als unverantwortlich und sogar als Betrug bezeichnet. Kritisiert werden insbesondere die Wahlkampfversprechungen von Baldizón, etwa die sogenannten „Bono 15“. Dabei handelt es sich um eine Art Zusatzzahlung, ähnlich einem 13. Monatsgehalt. Baldizón hat nie erklärt, wie die entsprechende Prämie finanziert werden soll. Eine weitere Versprechung Baldizóns hat überhaupt keine inhaltliche Relevanz, verspricht aber einige zusätzliche Wählerstimmen in einem sportverrückten Land. So kündigte dieser an, durch den Bau einer Fußballschule in jeder Gemeinde Guatemala 2014 erstmals in die Fußball-Weltmeisterschaft zu bringen. Baldizón ist dabei auch derjenige, der sein Wahlprogramm munter der aktuellen Stimmung in der Bevölkerung anpasst. So hat er vor kurzem seine Ablehnung des offenen Tagebaus im Bergbau bekanntgegeben; dies, nachdem sich Hunderte von Gemeinden gegen den umstrittenen Bergbau ausgesprochen hatten. Vor wenigen Wochen hatte Baldizón im gleichen Zusammenhang noch von einer Erhöhung der staatlichen Beteiligung bei Bergbauprojekten, nicht aber von einem Verbot gesprochen.
Angesichts leerer Versprechungen der Wahlfavoriten scheint eigentlich für die Parteien des linken Spektrums der richtige Moment gekommen, eine bedeutendere Rolle in der Politiklandschaft Guatemalas zu spielen. Die Linke hat es erstmals verstanden, ein gemeinsames Wahlbündnis aufzustellen. Im „Frente Amplio“ (Breites Bündnis) sind alle größeren linken Parteien und auch zahlreiche soziale Organisationen vertreten. Zu den wichtigsten Parteien des Bündnisses gehören die ehemalige Guerilla Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) und Winaq, die politische Heimat von Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú. Menchú ist es auch, die im Juli zur Präsidentschaftskandidatin des Frente Amplio gekürt wurde. Zentrale Wahlkampfankündigungen des Frente Amplio sind eine Demokratisierung der Sicherheitskräfte, eine Stärkung der Rolle der Frau und eine kritische Politik im Zusammenhang mit der Nutzung von Naturschätzen. Die Demokratisierung der Sicherheitskräfte ist vor allem als Sensibilisierung und personelle Überprüfung der Nationalen Polizei zu verstehen, wie Julio Díaz, Kandidat der URNG auf einen Sitz im nationalen Parlament, erklärt. Polizisten sollen zum Thema Menschenrechte geschult werden. Ein zentraler Programmpunkt des Frente Amplio betrifft außerdem die Rechte der indigenen Gemeinden, die künftig insbesondere im Zusammenhang mit umstrittenen Bergbauprojekten tatsächliche Mitsprache erhalten sollen. Trotz eines inhaltlich abgestimmten und relativ klaren Programms dürfte allerdings der Frente Amplio bei den anstehenden Wahlen chancenlos sein. Zu spät scheint das Parteienbündnis in den Wahlkampf eingestiegen zu sein.

Kasten:

Wahlergebnisse
Nach ersten Hochrechnungen erreichte der rechtsgerichtete Otto Pérez Molina (Patriotas) bei der Wahl am 11. September gut 30 Prozent der Stimmen. Manuel Baldizón (LIDER) kam auf knapp 20 Prozent, Fernando Suger (Creo) auf etwa 15 Prozent. Rigoberta Menchú (Frente Amplio) erreichte knapp 2,5 Prozent. Damit kommt es am 6. November zur Stichwahl zwischen Pérez und Baldizón.

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