Haiti | Nummer 498 - Dezember 2015

Hängepartie in Haiti

Stichwahlen entscheiden über Nachfolger von Präsident Martelly

Die haitianischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 25. Oktober verliefen relativ friedlich. Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse Anfang November gab es aber Proteste und auch einen Toten. Dies birgt Zündstoff für die Stichwahl am 27. Dezember zwischen Jovenel Moïse und Jude Célestin.

Von Martin Ling

Aus 54 mache zwei: Vor dieser Aufgabe standen die 5,8 Millionen Haitianer*innen beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen. 54 Kandidat*innen hatten sich beworben, nicht wenige darunter waren der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Viele sparten sich ein Wahlprogramm für den Urnengang am 25. Oktober. Unter diesen Bedingungen war schon vorab klar, dass das Rennen um den Einzug in die Stichwahl sich rund um das etwa ein Dutzend Kandidat*innen konzentrieren würde, bei denen es sich um ehemalige Abgeordnete oder um von wichtigen Parteiführern protegierte Politiker*innen handelt. Am 5. November gab die Wahlkommission ihr Ergebnis bekannt: Als Sieger wies sie Jovenel Moïse aus. Er trat für die Kahlkopf-Partei (Parti haïtien tèt kale – PHTK) an, die ihren Namen ihrem Gründer, dem glatzköpfigen Präsidenten Michel Martelly verdankt. Martelly selbst durfte aus Verfassungsgründen nicht mehr antreten, will aber über Moïse Einfluss und seinen Zugriff auf die Fleischtöpfe wahren.
Laut Wahlkommission entfielen auf Moïse 511.992 Stimmen, was 32,81 Prozent entspricht. Ihm am nächsten kam laut offiziellem Ergebnis Jude Célestin, der auf 394.390 Stimmen oder 25,27 Prozent kam. Er trat für das Parteienbündnis Lapeh an, der die Parti Verité des Ex-Präsidenten René Préval (1996 – 2001 und 2006 – 2011) angehört, die die Wahrheit im Namen führt. Auch Ex-Präsident Bertrand Aristide (1991 und 2001 – 2004) schickte mit Maryse Narcisse für seine Partei Fanmi Lavalas eine Kandidatin ins Rennen, die aber mit 7,05 Prozent abgeschlagen auf dem vierten Platz landete. Aristide vermochte es 1990 mit seiner damaligen Bewegung Lavalas, bis dato letztmals im karibischen Armenhaus eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, die große Hoffnungen weckte, nach siebenmonatiger Präsidentschaft aber im September 1991 durch einen Putsch im Keim erstickt wurde. Auch Aristides Rückkehr 1994 und seine zweite Präsidentschaft vermochten nicht mehr annähernd die Euphorie aus dem Jahre 1990 wieder zu beleben.
Noch vor Narcisse konnte sich Jean-Charles Moïse von der Partei Pitit Dessalines mit 14 Prozent platzieren. Moïse steht an der Spitze derjenigen, die von einem massiven Wahlbetrug sprechen. Am 11 November gingen tausende Menschen auf die Straßen. „Das haitianische Volk mobilisiert sich gegen diesen Wahlputsch“, sagte Assad Volcy, Sprecher der Partei Pitit Dessalines. Acht Präsidentschaftsanwärter*innen, auch der Zweitplatzierte Célestin, forderten in einem Brief die Untersuchung der Abstimmung durch eine unabhängige Kommission. Es wird gemutmaßt, dass Jovenel Moïse durch Wahlbetrug seine Stimmen verdreifacht hätte.
Die Wahlkommission erhielt innerhalb von 48 Stunden 162 formale Klagen wegen Wahlbetrugs. Eine von ihr eingesetzte Kommission wollte 42 von ihnen nachgehen. Das reicht den unterlegenen Kandidat*innen freilich nicht, die eine unabhängige Untersuchung und Neuauszählung fordern. Eine Neuauszählung wurde von der Regierungspartei PHTK per Deklaration ausgeschlossen, da die Wahlurnen nach Auszählung eine Woche ungesichert gewesen wären, was nachträglichen Manipulationen Tür und Tor geöffnet hätte. Die Wahlkommission schloss sich dieser Position an.
Seit der Verkündung der Wahlergebnisse mehren sich Proteste, werden Barrikaden in verschiedenen Sektoren der Hauptstadt Haitis errichtet, es gibt Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Parteien und der Nationalpolizei des Landes. Bei Schießereien kam es bereits zu einem Todesopfer. Es könnte ein Fanal für die Stichwahl am 27. Dezember werden. Der relativ friedliche Wahltag vom 25. Oktober würde dann im Nachhinein zu einem Muster ohne Wert.

 

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