El Salvador | Nummer 438 - Dezember 2010

Hilfe gesucht und dann ermordet

Die Leiterin des salvadorianischen Frauenentwicklungsinstituts Julia Evelyn Martínez über die Gewalt gegen Frauen in El Salvador

In El Salvador sind während der letzten drei Jahre die Gewalttaten gegen Frauen, insbesondere die Mordrate, sprunghaft angestiegen. Auch das repressive Abtreibungsverbot führt zu einem Anstieg der Sterblichkeitsrate von Frauen. Die LN sprachen mit Julia Evelyn Martínez, die – in dieser Reihenfolge, wie sie betont – Feministin, Ökonomin an der Jesuitenuniversität UCA und seit Amtsantritt der neuen FMLN-Regierung in El Salvador im Juni 2009 Leiterin des staatlichen Frauenentwicklungsinstituts ISDEMU ist.

Interview: Helen Rupp

El Salvador hat eine extrem hohe Mordrate, allerdings sind die meisten Opfer und Täter von Gewalt Männer, so dass das Thema Frauenmorde kaum Erwähnung findet. Wie ist die aktuelle Situation bezüglich der Gewalt gegen Frauen?

El Salvador hat – relativ zur Bevölkerungszahl – die höchste Rate von feminicidios weltweit, höher als in Mexiko und sogar höher als in Ciudad Juárez. Allein von 2008 zu 2009 ist die Zahl von Frauenmorden um fast 84 Prozent gestiegen, während bei Männern die Zahl der gewaltsamen Todesopfer um knapp 36 Prozent stieg. Viele argumentieren, dass trotzdem absolut gesehen Männer immer noch viel häufiger ermordet werden als Frauen. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht, dann könnten in vier Jahren Frauen die Mordstatistik in El Salvador anführen. Es geht hier nicht um einen Wettbewerb, wer mehr stirbt, aber es ist eine schreckenerregende Ziffer. Viele der ermordeten Frauen haben zuvor Hilfe gesucht, aber es wurde nichts unternommen, um sie vor Gewalt, die oft durch Angehörige und bekannte Personen verübt wird, zu schützen. In El Salvador gibt es lediglich ein Frauenhaus, das 30 Frauen aufnehmen kann.

Wenn Frauenleichen gefunden werden, so wird die Tat schnell mit Mitgliedern der Maras in Verbindung gebracht. Was sind die Ursachen der feminicidios?

Es ist die Straflosigkeit in einem Kontext extremen Machismos, die für die hohe Zahl von Frauenmorden verantwortlich ist. Die frauenfeindliche Kultur toleriert und fördert Gewalt gegen Frauen. Im Falle der feminicidios werden noch viel weniger Fälle angezeigt, geschweige denn aufgeklärt als sonst. Das fördert die Bereitschaft, eine Frau zu töten. Der Großteil der Frauenmorde wird nicht, wie oft behauptet, von mareros verübt. In 80 Prozent der Fälle ist die Ursache schlicht unbekannt, da die Untersuchung nicht abgeschlossen wurde. Doch wenn eine Person, die umgebracht wurde, wie es dann heißt „mit den Maras in Verbindung stand“, ist es, als ob dieser Mord nicht so schlimm wöge, als hätte die Person es dadurch verdient. Das soll nicht verbergen, dass es Fälle gibt, in denen Frauenkörper in den Kämpfen rivalisierender Jugendbanden als Waffe eingesetzt werden und Frauen auf brutalste Weise misshandelt und ermordet werden.

Wieso ist die Zahl der Frauenmorde in El Salvador ausgerechnet in den letzten zwei bis drei Jahren so stark angestiegen?

Ich denke, dass die Gewalt gegen Frauen jüngst zugenommen hat, weil manche Männer sich gerade durch die verstärkte Mobilisierung für das Thema Frauenrechte in ihrer Hegemonie und ihrer Männlichkeit angegriffen fühlen und „zurückschlagen“. Und teilweise kann man den Anstieg der Fälle dadurch erklären, dass mehr Gewalttaten angezeigt werden.

Müsste sich die Situation unter einer linken Regierung nicht verbessern?

Die FMLN ist erst seit eineinhalb Jahren im Amt. Und dass sie an der Regierung ist, heißt noch lange nicht, dass sie auch an der Macht ist. Man sollte auch unterscheiden zwischen der Partei, der Regierung und der Person des Präsidenten Mauricio Funes. In einer Rede anlässlich der Veröffentlichung des ersten nationalen Berichts über die Situation der Gewalt gegen Frauen in El Salvador, den das ISDEMU erstellt hat, äußerte sich Funes mit den Worten: „Unsere Position als Regierung angesichts der Gewalt gegen Frauen, lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Null Toleranz.“ Die Regierung hat zwar Fortschritte in Bezug auf die Frauenrechte erreicht, es gibt aber einige Versprechen des Wahlprogramms, die nicht erfüllt wurden – zum Beispiel die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und die Achtung der sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen.

Wie hängt die Gewalt gegen Frauen mit sozialer Exklusion und Armut zusammen?

Es sind besonders junge Frauen, arme Frauen, Frauen aus ländlichen Gebieten und indigene Frauen, die Opfer von Gewalt werden. Wenn Frauen keinen Zugang zu Bildung haben, etwa weil sie früh schwanger wurden, dann werden sie leicht von einem Mann abhängig und können in eine Spirale der Gewalt geraten, der sie nicht entkommen. Gerade auch beim Thema Abtreibung wird der Zusammenhang deutlich. El Salvador hat eines der repressivsten Gesetze Lateinamerikas, das jede Art von Abtreibung, selbst aus medizinischen Gründen, verbietet. Während viele sozial benachteiligte Frauen an den Folgen unsicherer Abtreibungen sterben, können sich Frauen der Mittel- und Oberschicht nach einer Abtreibung in einer Privatklinik behandeln lassen oder ins Ausland gehen. In den öffentlichen Krankenhäusern ist das Personal verpflichtet, jeden versuchten Schwangerschaftsabbruch anzuzeigen, wodurch den Frauen Haftstrafen von acht bis 30 Jahren drohen. Auf Grund dieser Situation begehen viele Mädchen und jungen Frauen Selbstmord, wenn sie ungewollt oder durch eine Vergewaltigung schwanger werden. 40 Prozent der Müttersterblichkeitsrate geht auf Suizide zurück.

Wie wird das Thema Abtreibung innerhalb der FMLN diskutiert? Wie ist die Position des Präsidenten Mauricio Funes dazu?

Das Thema Abtreibung wird innerhalb der Partei nicht wirklich diskutiert und wenn, dann nicht als Frage der Menschenrechte von Frauen, sondern geleitet von politischen Erwägungen wie Wahlstimmen, Umfrageergebnissen oder der Möglichkeit von Allianzen mit der katholischen Kirche und der Privatwirtschaft. Ich hatte diesbezüglich eine Meinungsverschiedenheit mit Mauricio Funes, der mich öffentlich disqualifizierte, nachdem ich bei einer UN-Konferenz in Brasília im Juli dieses Jahres ein Papier mit unterzeichnet habe, das für Lateinamerika eine weniger restriktive Abtreibungsgesetzgebung einfordert. Funes ist zu keinerlei Revision der Gesetze bereit, doch zum Glück hat das ISDEMU relative Autonomie. Jetzt haben sogar die Vereinten Nationen ihre Empfehlung an den salvadorianischen Staat wiederholt, die Abtreibungsgesetze zu überarbeiten.

Auch wenn jede Frau das Recht auf Abtreibung und entsprechende medizinische Versorgung haben sollte, wäre es nicht wichtig, gerade beim Thema sexuelle und reproduktive Rechte verstärkt auf Prävention zu setzen?

Selbstverständlich ist Prävention die bessere Alternative. Aber die katholische Kirche und konservative Gruppen, die am Abtreibungsverbot festhalten, verhindern auch, dass es Aufklärungsunterricht an Schulen gibt, und sind gegen den Zugang zu Verhütungsmitteln. Doch mit Keuschheitsringen, die sich Kinder und Jugendlichen an die Finger stecken, verbunden mit dem Versprechen, bis zur Ehe enthaltsam zu bleiben, werden wir das Problem nicht lösen.

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