Musik | Nummer 454 - April 2012

Hippietum schlägt Coolness

Die Brasilianerin CéU schließt auf ihrem dritten Album Frieden mit der Música Popular Brasileira

Dominik Zimmer

Caravana Sereia Bloom heißt die dritte Platte der Songwriterin CéU aus São Paulo, die für ihre beiden Vorgängeralben von der Kritik diesseits wie jenseits des Atlantiks – Nomen est Omen – in den Himmel geschrieben wurde. Der zurückgenommene, mit feinen Elektro-Beats unterlegte Minimal-Bossanova ihres selbstbetitelten Debütalbums aus dem Jahr 2007 wurde auch von europäischen Musikjournalist_innen als einzigartig in der brasilianischen Musiklandschaft wahrgenommen. In Zeiten einer inflationären Schwemme mittelmäßiger Elektro-Bossa-Veröffentlichungen überzeugte CéU mit schlauen Arrangements, deren kleine Widerhaken anspruchsvollen Ohren schmeichelten. Auf dem Nachfolgealbum Vagarosa war dann bereits ein stärkeres Zutrauen in die Melodien ihrer Songs zu spüren.
Nun wagt die heute 31-jährige mit Caravana Sereia Bloom einen weiteren großen Schritt in Richtung Zugänglichkeit. Dies war, bedingt durch den etwas sperrigen Albumtitel, nicht unbedingt zu erwarten. Die Tochter eines bekannten Musikwissenschaftlers und Komponisten kann aber auch damit auf ganzer Linie überzeugen. Auf ausgedehnten Reisen durch den brasilianischen Nordosten ließ sich CéU von der musikalischen Vielfalt ihres Landes zu einem Konzeptalbum inspirieren. Als Leitlinie diente ihr dabei der Kultfilm Bye bye Brasil von Carlos Diegues aus dem Jahr 1979, in dem sich ein Akkordeonspieler einem fahrenden Zirkus anschließt und dabei die Höhen und Tiefen einer Reise quer durch Brasilien auslotet, bei der der Weg das Ziel ist. Diese Atmosphäre einzufangen, ist CéU erstaunlich gut gelungen. Der luftige, oft mit knarziger Retro-Produktion unterlegte Sound erinnert tatsächlich an das bunte Leben in einer Hippie-Karawane. Schnipsel aus Cumbia, Lambada, Brega und Carimbó werden gewohnt subtil und gekonnt eingeflochten, eines aber ist neu bei Maria do Céu Whitaker Pocas, wie die Künstlerin mit vollem Namen heißt: Das Vertrauen in ihr immer schon außergewöhnliches Songwriting. Prominente Unterstützung dabei liefert ihr auf Caravana Sereia Bloom das bahianische Produzenten-Wunderkind Lucas Santtana. Die beiden von ihm produzierten Songs „Streets Bloom“ und vor allem das unwiderstehlich fröhliche „Contravento“ gehören zu den Perlen eines an Highlights gewiss nicht armen Albums. Man erwischt sich beim Hören der Platte des Öfteren beim Mitschnippen oder mit der Hüfte wippen und freut sich über warme Elektroorgelklänge und Retro-Gitarren, die Songs wie „You won´t regret it“ oder der ersten Single-Auskopplung „Retrovisor“ einen überraschend authentischen Wildwest-Sound verleihen. Der größte Moment des Albums ist aber vielleicht die wunderschöne Ballade „Palhaço“ über einen traurigen Clown, bei der selbst ein Caetano Veloso aus seinem Versteck hinter dem Zirkuszelt hervorkommen und aufrichtig Beifall klatschen müsste. Kein Zweifel, CéU ist eine Virtuosin im Mixen von Stilrichtungen und hat nun auch keine Scheu mehr, sich dem Erbe ihrer großen Vorgänger_innen der Música Popular Brasileira zu nähern. Dass der Coolness-Faktor dabei Abstriche zugunsten einer manchmal fast poppigen Feelgood-Atmosphäre machen muss, ist durchaus gewollt und könnte CéU zum verdienten endgültigen Durchbruch verhelfen.

CéU // Caravana Sereia Bloom // Six Degrees Records // 2012

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