Ecuador | Nummer 420 - Juni 2009

Historischer Sieg mit bitterem Beigeschmack

Rafael Correa gewinnt die Präsidentschaftswahlen im ersten Wahlgang, doch die Opposition legt zu

Die ecuadorianische Bevölkerung hat Rafael Correa bereits im ersten Wahlgang erneut zum Präsidenten gewählt. Doch die Opposition konnte ebenfalls an Stimmen gewinnen und erzielte einige Erfolge bei den Lokal- und Provinzwahlen. Der Ex-Präsident Lucio Gutiérrez konnte sogar aufgrund der harschen Kritik Correas an der Indigenen-Bewegung Stimmen bei GegnerInnen des Neoliberalismus holen. Die Auszählung der Wahlen verlief chaotisch und zeigt Demokratiedefizite auf. Nun will Correa seinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ vertiefen. Die dazu notwendigen Staatseinnahmen sind bei fallenden Rohölpreisen und verringerten Exporten nicht einfach aufzutreiben. Dramatisch ist der Rückgang der Überweisungen von ecuadorianischen EmigrantInnen.

Frank Braßel

Es war ein historischer Sieg, den der alte und neue Präsident Ecuadors am letzten Sonntag im April erzielte. Zum ersten Mal seit der Rückkehr des Andenstaates zur Demokratie vor 30 Jahren wurde das Staatsoberhaupt im ersten Wahlgang gekürt. Correa erzielte knapp 52 Prozent der Stimmen, auf den zweiten Platz gelangte Ex-Präsident Lucio Gutiérrez mit 28 Prozent. Doch kaum jemand im Land zelebrierte wirklich dieses Ereignis. Den überwiegend konservativen Medien war die Wiederwahl zuwider, sie wollten daher die negativen Begleitumstände hervorheben. Und die gab es zur Genüge, so dass auch unter den AnhängerInnen Correas nur verhaltene Freude aufkommen wollte.
Zum einen waren die vorgehenden Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung und die Abstimmung über die neue Verfassung weit strahlender für Correas sogenannte Bürgerrevolution ausgefallen als diese Wahl. Gravierender war aber, dass sich Gutiérrez als bedrohlicher Konkurrent positioniert hat. Der ehemalige Oberst war Anfang 2003 mit Unterstützung linker Kräfte und der Indigenen gewählt und kaum zwei Jahre später von aufgebrachten Massen der Hauptstadt aus Amt und Land gejagt worden. Alle Versprechen einer souveränen Sozial-, Wirtschafts- und Außenpolitik hatte er nach den ersten Gesprächen mit den USA vergessen und grundlegende demokratische Regeln verletzt.
Aber dies hat im politisch bewussten Quito weit mehr Bedeutung als in den entlegenen und verarmten Gebieten der Amazonasregion und des Hochlandes. Hier kann Gutiérrez nicht nur auf seine Kontakte in der einflussreichen Armee zurückgreifen. Er hat ein breites klientelistisches Netzwerk aufgebaut, und konnte damit Correa bei den Wahlen zum Teil überflügeln. Beide Regionen sind mehrheitlich von Indigenen bewohnt. Deren Dachverband CONAIE zählt zu den deutlichsten Gegnern neoliberaler Politik und hat sich darüber mit Correa überworfen. Interessanterweise haben ein Teil der Basis der CONAIE und evangelikale Indigene dennoch für den neoliberalen Rechtspopulisten Gutiérrez gestimmt. Der Zorn über die teils rassistisch verbrämten Repliken Correas auf die Kritik der Bewegung an seiner Bergbaupolitik und über die Auflösung autonomer indigener Entwicklungsbehörden hat seine Spuren hinterlassen. Gleichzeitig scheint die Partei Pachakutik, der politische Arm der CONAIE, bei den Wahlen seine regionalen Hochburgen gehalten und teils sogar ausgebaut zu haben. Gemäß bislang vorliegender Ergebnisse kann Pachakutik auf fünf Provinzpräfekten und mehr als zwei Dutzend BürgermeisterInnen im zentralen Andenhochland hoffen. Auch in der neuen Nationalversammlung dürfte sie ihre Stärke gehalten haben. Das Wahlverhalten der indigenen Bevölkerungsgruppen war in unterschiedlichen Landesteilen von regionalen Entwicklungen geprägt und lässt eindimensionale Erklärungsmuster nicht zu. Immerhin sah sich Correa nach der Wahl zu erneuter Kontaktaufnahme mit der CONAIE genötigt.
Die Auszählung der Wahlen verlief chaotisch und blieb auch nach einem Monat (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe) unvollständig. Der Oberste Wahlrat war mit den parallelen Wahlen auf lokaler und nationaler Ebene völlig überlastet und konnte nicht die gesetzlichen Vorgaben einhalten, innerhalb von zehn Tagen die Ergebnisse zu präsentieren. Diese Verzögerung trug in verschiedenen Städten zu teils gewalttätigen Konflikten bei. Es scheint, dass einige ehemalige BürgermeisterInnen im teils von mafiösen Strukturen dominierten Küstentiefland den demokratischen Prozess nicht akzeptieren wollten. Sie mobilisierten ihre Basis zum Aufruhr, als sich ihre Niederlage gegen die der Regierung nahe stehenden Kräfte abzeichnete. Zwar gewaltlos, aber politisch nicht weniger schmerzhaft verlief der Konflikt in Cotacachi, einer mehrheitlich von Indigenen bewohnten Stadt nördlich von Quito. Sie gilt als Paradebeispiel alternativer Sozial- und Wirtschaftpolitik und zog Entwicklungsgelder von Cuba bis Deutschland auf sich. Ihr langjähriger Bürgermeister Auki Tituaña wollte nicht wahrhaben, dass die größte indigene Basisorganisation ihm – als Quittung für zunehmend selbstherrliches Auftreten – die Unterstützung entzogen hatte und ihr Kandidat Alberto Andrango eine deutliche Mehrheit erzielt zu haben scheint.
In der zukünftigen Nationalversammlung, wie das Parlament gemäß der neuen Verfassung heißt, dürfte die Präsidentenbewegung Alianza País mit etwa 60 Abgeordneten zwar erneut stärkste Kraft geworden sein, aber ihre absolute Mehrheit an den 124 Sitzen verloren haben. Die Sozialpatriotische Partei von Lucio Gutiérrez geht auch im Parlament als zweite Kraft hervor, dort zukünftig geführt von dessen Bruder Elmar. Alianza País kann auf eine Reihe nicht parteipolitisch gebundener Abgeordneter setzen, zum Teil auch auf die leicht gestärkte ex-maoistische Partei MPD, die allerdings zunehmend in Konflikt mit der Regierung geraten ist. In jedem Fall dürfte das Regieren für Correa nicht einfacher werden.
Hierzu tragen auch der mehr als deutliche Wahlsieg von Jaime Nebot zum Bürgermeister der Küstenmetropole Guayaquil und der knappe Erfolg von Jimmy Jairala – gegen die Präsidentenschwester Pierina Correa – als neuer Präfekt von Guayas bei. Bei den Lokal- und Provinzwahlen haben die beiden langjährigen politischen Führer der Rechten stark auf regionalspezifische Besonderheiten gesetzt, eine vermeintlich neue Bürgerbewegungen erfolgreich positioniert und so die abgehalfterte Rechte „modernisiert“.
Es kündet von der Schwäche der demokratischen Substanz in Ecuador, dass die extreme Verzögerung der Wahlergebnisse und auch vereinzelte Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in diesem Prozess keinen der politischen und moralischen Führer des Landes zu einer Stellungnahme bewegten. Wahlen haben in dem Andenstaat in erster Linie mit Machterhalt zu tun, nur wenig mit demokratischer Kultur.
Der 26. April war als historischer Schnitt in der Bürgerrevolution Correas projiziert worden. Während die letzten zwei Jahre eine permanente Kampagne zum Machtausbau darstellen, sollen sich nun die Strukturen der neuen Politik stärker zeigen. Correa sprach am Wahlabend davon, seinen „Sozalismus des 21. Jahrhunderts“ vertiefen zu wollen. Was in erster Linie heißen dürfte, den Zugang der Armen zu Gesundheit und Erziehung zu verbessern. Dafür müssen die Staatseinnahmen erhöht werden; in Zeiten der Krise kein einfaches Ziel. Ecuador kann bislang allerdings deren Auswirkungen relativ gut kontrollieren.
Erdöl ist das wichtigste Exportgut des Landes und sein hoher Preis hat in den vergangenen beiden Jahren den massiven Ausbau der Sozialpolitik ermöglicht. Letztlich ist der Preisverfall für Ecuador eine Medaille mit zwei Seiten: weit geringere Einnahmen, aber auch niedrigere Ausgaben. Der Andenstaat exportiert aufgrund viel zu geringer Raffineriekapazitäten Rohöl, muss anschließend teures Benzin und Diesel einführen und diese dann noch hoch subventionieren. Sollte sich der Preis für ecuadorianisches Rohöl bei etwa 60 US-Dollar stabilisieren, halten sich Verlust und Gewinn die Waage.
Die führenden Agrarexportprodukte Bananen, Blumen und Krabben sind von den geringeren Absätzen in den USA, Russland und der EU betroffen. Allerdings kann von einem echten Einbruch bislang nicht die Rede sein. Dramatischer ist der Rückgang der Überweisungen von drei Millionen MigrantInnen, die sich in erster Linie auf die USA (45 Prozent), Spanien (41 Prozent) und Italien (8 Prozent) verteilen. Die mehr als drei Milliarden US-Dollar, die auf diese Weise im Jahr 2007 ins Land kamen, stellen die wichtigste finanzielle Unterstützung für viele ärmere Familien dar. Soeben hat die Zentralbank für das erste Vierteljahr einen Rückgang von 27 Prozent gegenüber den Vergleichsmonaten in 2008 bekannt gegeben. Aber jedwede fühlbare Verschlechterung der sozialen Situation schadet Correa. Deshalb hat seine Regierung zu Jahresanfang drastische Einschränkungen von Importen verhängt, um das Handelsdefizit nicht zu weit auseinanderklaffen zu lassen und die einheimische Produktion zu fördern.
Um den finanziellen Handlungsspielraum zu vergrößern, hat Correa auch die Beziehungen zu Venezuela, Iran und China ausgebaut, was bislang allerdings nur wenig spürbar ist, wenn man von dem Direkthandel Rohöl-Diesel mit Caracas absieht. Nicht ungeschickt bewegt sich das Regime in Fragen der Auslandsverschuldung. Nachdem ein Teil davon – die Bonds 2012 und 2030 – im vergangenen Jahr von einer internationalen Kommission als „illegitim“ eingestuft wurden, verhängte die ecuadorianische Regierung ein Zahlungsmoratorium, woraufhin ihr Marktpreis drastisch absackte. Kürzlich machte die Regierung den Inhabern der Bonds das Angebot, die Schuldentitel für 30 Prozent ihres nominellen Werts zurückzukaufen. Damit könnte Ecuador ein Drittel seiner Außenschuld zu relativ günstigen Konditionen tilgen, ohne einen massiven Konflikt mit der internationalen Finanzwelt zu provozieren. Dies würde nicht zuletzt auch neue Kreditaufnahmen erleichtern.
Die direkt nach der Wahl verkündete Übergabe von unter staatlicher Kontrolle stehenden Ländereien an landlose Bauern und Bäuerinnen, könnte in Richtung stärkerer struktureller Reformen verweisen – eine zentrale Herausforderung in der extrem ungerechten Gesellschaft Ecuadors. Die ersten vier Haciendas wurden kürzlich an organisierte Gruppen von Bauern und Bäuerinnen übergeben. Es wird spekuliert, dass die Regierung noch in diesem Jahr ein Landreformgesetz präsentiert, das sich an dem Ziel der Umverteilung des Zugangs zu produktiven Ressourcen, wie es die neue Verfassung vorsieht, orientiert.
Wie in den anderen Wirtschaftssektoren kann nicht mit einem radikalen Umbauprogramm gerechnet werden, zumal auch die Organissationen der Bauern und Bäuerinnen während der Jahrzehnte der neoliberalen Dominanz dem Thema wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Doch selbst bescheidene reformistische Ansätze, jenseits der vielfach noch dominanten Marktideologie der Weltbank, könnten den Charakter der Bürgerrevolution ändern: weniger Modernisierung von oben, mehr struktureller Wandel an der sozialen und ökonomischen Basis. Ebenso dringend wäre, Alianza País in eine Partei mit demokratischen Strukturen und Regeln zu überführen, statt sie als allein auf den Machterhalt des Präsidenten orientierte Bewegung zu belassen.

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