Nummer 309 - März 2000 | Sachbuch

hoch die kampf dem

20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen

600 Plakate im Buch, 3.000 auf CD-Rom. 20 Jahre Geschichte autonomer Bewegungen anhand ihrer Plakatproduktion – ein nostalgischer Vierfarbband für in die Jahre gekommene PolitaktivistInnen? Das erste Durchblättern täuscht. „Hoch die kampf dem“ ist weit mehr als nur ein Erinnerungsalbum. Es unternimmt eine selbstkritische Reflexion der Wort- und Bildersprache sowie des darin zum Ausdruck kommenden Selbstbildnisses autonomer Bewegungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Auch in die Plakatproduktion der Solidaritätsbewegung bietet es interessante Einblicke.

Michael Krämer

Es ist aber hauptsächlich das Plakat, welches die Agitatoren verwenden“, wusste schon der russische Anarchist Kropotkin. „Das Plakat macht mehr von sich reden, es macht mehr Propaganda als das Pamphlet oder eine Broschüre. Deshalb erscheinen die Plakate, gedruckt oder geschrieben, jedes Mal an den Mauern, wann immer sich etwas ereignet, das die große Masse der Bevölkerung interessiert. Heute herabgerissen, erscheinen sie morgen wieder, zum Ärger der Regierenden und ihrer Knechte.“ Der Pathos bei Kropotkin ist verständlich, schreibt er doch im Rückblick auf die französische Revolution, die – im Gegensatz zu den vielen hier zu Lande immer wieder angesagten – tatsächlich stattgefunden hat.
Ganz ohne Pathos kommen die Herausgeber in ihrer Einleitung zu dem kürzlich veröffentlichten Buch „hoch die kampf dem“ aus. Nüchtern stellen sie in ihrer Geschichte der Plakate autonomer Bewegungen in den letzten 20 Jahren fest: „Politische Plakate (…) kommunizieren Politik nach außen in die Gesellschaft und dienen der Selbstverständigung, sind kostenfreie Literatur.“ Die Buchform lässt ein genaues Hinsehen zu und ermöglicht so interessante Einblicke in und Erkenntnisse über eben diese Politik und die Binnenkommunikation in den verschiedenen Phasen und Teilbereichen autonomer linker Politik. Erkenntnisse nicht nur über die objektiven politischen Ziele, sondern auch die subjektiven Befindlichkeiten der Akteure: „Die Bilder“, so die Herausgeber, „mit denen Plakate arbeiten, um plakativ zu sein, spiegeln oft in besonderer Weise Ängste, Begehren und Wünsche der AktivistInnen wider.“
Die begleitenden Artikel sind weit mehr als eine bloße Untermalung für die Plakate. Die AutorInnen schreiben nicht abstrakt über „ihr“ Thema. Sie waren allesamt in unterschiedlicher Weise an den verschiedenen Bewegungen beteiligt und liefern meist (selbst-)kritische Analysen autonomer und linker Wort- und Bildersprache. So wird an der Bildauswahl der Frauenbewegung kritisiert, was auch für andere Bereiche gilt: „Die verwendeten Frauendarstellungen wirken vor allem als Projektionsfläche ‘eigener’ Fantasien und Wunschvorstellungen, die exterritorialisert sind und am Bild ‘der anderen Frauen’ ausgespielt werden.“

Die Plakate der Internationalismus- und Solidaritätsbewegung

Besonders ausgeprägt ist die Bezugnahme auf „die Anderen“ verständlicherweise in der Solidaritätsbewegung. „Die Anderen“ waren meist Revolutionäre, in einem Kampf, in dem dieses oft recht abstrakt bleibende Wort „Revolution“ viel konkreter und realer war, als im eigenen Land, in dem man nur eine ziemlich kleine Minderheit bildete.

Nicaragua und El Salvador im Mittelpunkt

Nicht zufällig stehen Nicaragua und El Salvador im Mittelpunkt des Kapitels über die Plakate der Solidaritätsbewegung. Beide Länder übten in den achtziger Jahren eine enorme Attraktion auf die bundesdeutsche Linke aus – in Nicaragua hatte die Revolution gesiegt, in El Salvador stand sie scheinbar kurz bevor. Der Selbstverständigungsprozess über die eigene Geschichte steht im Mittelpunkt des dieses Kapitel begleitenden Artikels. Zur subjektiven Befindlichkeit der AktivistInnen der Nicaragua-Solidarität schreiben die AutorInnen: „Während die Politik in der BRD oft von Ohnmachtserfahrungen und Entfremdungserlebnissen geprägt war, empfanden sie als BrigadistInnen in Nicaragua oft das genaue Gegenteil. Alle Menschen schienen zufrieden und aufgeschlossen. (…) Die Entwicklung Nicaraguas wurde als Projektionsfeld für sich erfüllende Ideale und für unerreichbar scheinende Ziele im eigenen Land funktionalisiert.“
„No pasarán“ – sie kommen nicht durch. Wer sich in und für Nicaragua engagierte, konnte sich ganz konkret dem US-Imperialismus entgegenstellen. In der Selbstwahrnehmung und damit verbunden – siehe die Plakatproduktion – der Außendarstellung der SoliaktivistInnen verschwamm der Unterschied zwischen den sandinistischen Milizionären und SoldatInnen, die im Contra-Krieg ihren Kopf hinhalten mussten, und den deutschen KaffeepflückerInnen und FlugblattverteilerInnen allerdings enorm. Das Plakat in der WG schuf die Verbindung zum lächelnden Milizionär mit AK-47, Antiimperialismus am Küchentisch.
„Gleich mehrere Plakate finden sich, auf denen immer das gleiche Bild verwendet wird. Es zeigt Guerilleros (tatsächlich ist ganz am Rand nur eine einzige Frau zu sehen), die in dynamischer Siegerpose und -laune mit Fahne und Gewehr vorwärts stürmen. Der Ursprung des verwendeten Bildes ist den PlakatmacherInnen nicht wichtig, es wird für den jeweils eingesetzten Zweck verändert. Mal erscheint das Signum FSLN, mal das der FMLN. Wichtig ist nur die allgemeine Aussage des Bildes: begeisterte und aufrechte Kämpfer, wissend, was sie wollen, zum weiteren Kampf bereit. Genau so, wie sich der aufrechte Solibewegte gerne selbst imaginiert hat.“ Die beiden AutorInnen haben Recht, wenn sie die Revolutionsromantik und das Ausblenden von Widersprüchen in den Plakaten der Solidaritätsbewegung hinterfragen, Waffenfetischismus, Machogehabe und die Identifikation mit den Fahnen der Revolutionäre kritisieren (zumal eine Fahne hier, wenn Schwarz-Rot-Gold, gerade mal zum Abfackeln bei Demos Verwendung findet).
Eloquent kritisieren sie Plakat für Plakat. Und doch bleibt die Analyse manchmal unbefriedigend, erscheint stellenweise aus der besserwisserischen Perspektive der Nachrevolutionszeit geschrieben. Die Dynamik der Kämpfe in den 80er Jahren war eine ganz andere als heute. Es war Krieg, in Nicaragua ging es um die Verteidigung der Revolution und in El Salvador um die bewaffnete Machtergreifung. Beides war kein Selbstzweck, Waffen waren – das darf trotz aller enttäuschten Hoffnungen (hier wie dort) nicht vergessen werden – auch ein Instrument der Emanzipation.

Begrenzter Platz für Wort und Bild

Auch fehlt die Reflexion darüber, dass Plakate nur begrenzten Platz für Wort und Bild bieten, Vereinfachung manchmal notwendig und auch längst nicht immer falsch ist. So wird bemängelt, dass auf vielen Plakaten zwar jede Menge Gewehre zu finden sind, schweres militärisches Gerät aber nur „zur Illustration der Brutalität des US-Imperialismus herangezogen“ wird. Das kritisierte Plakat fordert den Stop der US-Intervention in Mittelamerika und zeigt US-Militärs, die mit Sternenbanner von einem Landungsboot marschieren. Ja und? Genau die Gefahr war real (wie Grenada bewiesen hat) und die Yankies hatten im Gegensatz beispielsweise zur FMLN nunmal jede Menge schweres militärisches Gerät. Das Plakat vereinfacht, ist aber trotzdem richtig. Oder war (und ist) der US-Imperialismus etwa nicht brutal?
Zu Recht wird das stereotype Geschlechterbild bei einigen Plakaten kritisiert. Frauen sollen der „Revolution ein sympathisches Gesicht geben, sie attraktiv machen, letztlich erotisieren“ (was allerdings genauso für einen Teil der abgebildeten Männer gilt). Andererseits wurden Frauen auf einigen Plakaten weggelassen, „wenn es um die Darstellung von Entschlossenheit und Kampfbereitschaft geht. (…) Der Widerstand, mit dem wir (also auch Frauen) uns solidarisieren sollen, besteht offensichtlich nur aus Männern.“

Mehr als ein Erinnerungsalbum

Ist der von den AutorInnen vorgenommene Umkehrschluss jedoch richtig, dass ein Plakat grundsätzlich „männerbündlerisch“ ist, wenn keine Frauen abgebildet werden – es ging konkret um ein Plakat, das im Vorfeld der Fussball-WM (der Männer) entstand –, oder verfallen sie hier selbst in eine Vereinfachung, die sie sonst ablehnen: „Das ironische – und eigentlich ganz witzige – Plakat der Chiapas-Solidarität von 1998 „Unser Team für die WM – Unterstützt die EZLN“ setzt in dieser Hinsicht noch eins drauf: männerbündlerisch wirbt es mit den Aktivisten selbst für die gerechte Sache.“
Hoch die kampf dem“ ist ein interessantes und auch schönes Buch geworden. Ein Buch voller Geschichte und Geschichten, weit mehr als ein Erinnerungsalbum. Der Versuch, einen Beitrag zur Reflexion linker autonomer Politik zu unternehmen, ist gelungen. Es bleibt zu hoffen, das auch ein anderes Ziel, das sich die Herausgeber gesetzt haben, erreicht wird: „Vielleicht kann es den AktivistInnen des Heute und Morgen als Anregung dienen und trägt dazu bei, sich bei der Herstellung und Verbreitung von Plakaten noch mehr als bisher nicht nur um den Text, sondern auch um die Wirkung von Grafik und Bildern Gedanken zu machen.“ Den Verlagen Libertäre Assoziation und Schwarze Risse/Rote Strasse ist auf jeden Fall zu danken, dass sie das aufwendig gemachte Buch ermöglicht haben und zudem für einen Vierfarbdruck äußerst günstigen Preis anbieten.

HKS 13 (Hg.): hoch die kampf dem. 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen. Verlag Libertäre Assoziation und Verlag der Buchläden Schwarze Risse / Rote Strasse. Hamburg/Berlin/Göttingen 1999, 240 Seiten plus CD-ROM.

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