Honduras | Nummer 489 - März 2015

Höchste Mordrate weltweit

Auch im sechsten Jahr nach dem Putsch von 2009 hat sich die Menschenrechtslage nicht verbessert

„Ein absolut katastrophales Jahr für Millionen von Menschen“, so fasste die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Selmin Caliskan, die internationale Situation der Menschenrechte im Jahr 2014 zusammen. Besonders katastrophal ist sie in Honduras, das erneut das Land mit der weltweit höchsten Mordrate ist. Lokale Menschenrechtsorganisationen berichten außerdem von einer neuen Welle der Gewalt, seitdem Präsident Juan Orlando Hernández im Januar seine erste Abstimmungsniederlage im Parlament hinnehmen musste.

Claudia Fix

Der letzte Mord an einem Mitarbeiter von Radio Globo geschah am 24. Februar: Erick Arriaga, 21 Jahre alt, wurde in Tegucigalpa auf dem Heimweg vom Sender im Beisein eines Kollegen brutal ermordet. Ein einzelner Mann schoss zehnmal auf ihn, bis er tot zusammenbrach. Das Attentat schien gezielt, laut Zeug*innen waren mehrere Menschen am Tatort, geschossen wurde aber nur auf Erick Arriaga. Da Radio Globo seit 2009 eine kritische Haltung gegenüber dem Putsch und seinen politischen Erb*innen eingenommen hat, liegt der Verdacht nahe, dass mit dem Mord Druck auf die Mitarbeiter*innen ausgeübt werden soll. Erst im November 2014 wurde die 14-jährige Tochter des Globo-Journalisten Rony Espinoza von Unbekannten ermordet. Der Reporter Juan Carlos Argeñal wurde Ende 2013 erschossen, als er für Radio Globo zu Korruption in einem lokalen Krankenhaus recherchierte. Die Verbrechen wurden bis heute nicht aufgeklärt und Morddrohungen gegen die Mitarbeiter*innen des Senders sind an der Tagesordnung.

Nach Informationen von UN-Organisationen, auf die sich auch Amnesty International in seinem am 25. Februar veröffentlichten Jahresbericht 2014/15 stützt, stieg die Mordrate pro 100.000 Einwohner*innen in Honduras von 50,9 im Jahr 2000 – also vor dem Putsch – auf 81,8 im Jahr 2010, und weiter auf über 90 in den folgenden Jahren. Seit 2009 sollen es 25.000 Opfer sein. Überdurchschnittlich betroffen sind Frauen: 453 Frauen wurden zwischen Januar und November 2014 gewaltsam getötet, das entspricht einem Opfer alle 17 Stunden. Laut Gewalt-Observatorium der autonomen Universität UNAH wurden 71 Prozent von ihnen mit einer Schusswaffe getötet und sie wurden Opfer politischer wie häuslicher Gewalt. Ein weibliches Mitglied des Obersten Gerichtshofs äußerte während des letztjährigen Besuchs der Interamerikanischen Menschenrechts-Kommission (IACHR), dass in Honduras „Gewalt gegen Frauen als natürlich betrachtet wird“. Die IACHR kam in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass das Ausmaß an Gewalt gegen Frauen eine sehr viel stärkere Reaktion des Staates erforderlich machen würde. Die Verfassungsänderung von 2013, die den Feminizid, also die Tötung wegen der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, mit 30 bis 40 Jahren Haft bestraft, sei allein nicht ausreichend.

Zu der hohen Zahl von Morden führen die allgemeine Straflosigkeit – nur zwei bis fünf Prozent aller Fälle werden überhaupt aufgeklärt – und ein hohes Maß an Kriminalität und organisierter Kriminalität, wie mehrere aktuelle Menschrechtsberichte übereinstimmend feststellen. Besonders gefährdet sind gerade Rechts- und Staatsanwält*innen. Die nationale Menschenrechts-Kommission (CONADEH) in Honduras gibt die Zahl der seit 2010 ermordeten Anwält*innen mit 85 an, davon neun im Jahr 2014. Am 10. Oktober 2014 wurden die Staatsanwältinnen Marlene Banegas und Olga Patricia Eufragio in San Pedro Sula regelrecht hingerichtet, als sie in einem Auto ihrer Dienststelle unterwegs waren. Marlene Banegas hatte über 50 Schusswunden, als sie starb. Zum Zeitpunkt ihres Todes arbeitete sie an mehreren Fällen. Darunter war der Mord an der Campesino-Aktivistin Margarita Murillo, der Mord an dem Marketing-Manager von Radio Progreso, Carlos Mejia Orellana, und ein Fall von Korruption in der honduranischen Sozialversicherung, der von der Staatsanwalt selbst als sehr gefährlich eingeschätzt wurde.

Auch von Einschüchterungen und Morddrohungen berichten Mitarbeiter*innen der Strafverfolgungsbehörden immer wieder. Darüber hinaus sind sie mit viel zu wenig Personal ausgestattet. Im April 2013 erklärte der damalige Oberstaatsanwalt öffentlich, dass seine Behörde nur Kapazitäten habe, um 20 Prozent aller Mordfälle zu untersuchen. Er und seine Stellvertreter*innen wurden daraufhin suspendiert, die Wahl der Nachfolger*innen war nach Berichten mehrerer Menschenrechtsorganisationen nicht verfassungsgemäß.

Aufgrund der weiten Verbreitung von Korruption und der schlechten Aufklärungsquote der nationalen Polizeikräfte wurden 2013 zwei militärische Einheiten mit Polizeiaufgaben gegründet: die PMOP und die TIGRES. Die PMOP kommt bei Spezialoperationen zum Einsatz, zum Beispiel bei der Rückeroberung von Regionen und Stadtvierteln, die nicht mehr unter staatlicher Kontrolle sind. Die Mitglieder der neuen Einheit besitzen zudem die Ausrüstung und das Wissen für Geheimdienstaufgaben. Die offizielle Begründung für die Schaffung dieser militärischen Einheiten war, dass die nationale Polizei reformiert werden kann, wenn sie entlastet wird. Die IACHR berichtet jedoch von ihrem Besuch, dass „es keine Fakten gibt, die belegen, dass konkrete Schritte unternommen würden, um die nationale Polizei zu stärken“. Stattdessen konkurrieren PMOP und die Nationalen Polizeikräfte miteinander und üben in vielen Regionen Doppelfunktionen aus. Beide verüben immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen. Und auch militärische Einheiten sind nicht gegen Korruption gefeit: Am 26. Februar stellten sich neun Mitglieder der TIGRES, die beschuldigt werden, 1,3 Millionen US-Dollar während eine Razzia unterschlagen zu haben.

"Nicht eine mehr" Linke Sprechblase: „Solidarität mit unseren honduranischen Genossinnen und dem Volk im Widerstand. Organisieren wir uns!“ Rechte Sprechblase: „Gewalt gegen eine ist Gewalt gegen alle.“ Foto: Memoria Gráfica Feminista Producciones y Milagros, CC BY-NC-SA 2.0
Nicht eine mehr
Linke Sprechblase: „Solidarität mit unseren honduranischen Genossinnen und dem Volk im Widerstand. Organisieren wir uns!“
Rechte Sprechblase: „Gewalt gegen eine ist Gewalt gegen alle.“
Foto: Memoria Gráfica Feminista Producciones y Milagros, CC BY-NC-SA 2.0

Vielleicht aufgrund dieser schlechten Erfahrungen führte der Versuch des Präsidenten Juan Orlando Hernández, der Militärpolizei PMOP Verfassungsrang zuzusprechen, zu seiner ersten parlamentarischen Abstimmungsniederlage. Mit 67 zu 61 Stimmen lehnte das honduranische Parlament am 24. Januar den von der Nationalen Partei eingebrachten Gesetzentwurf zur PMOP ab. Das Gesetz sah zusätzlich weitreichende Sonderrechte und die direkte Befehlsgewalt des Präsidenten über die Militärpolizei vor.

Präsident Hernández, der im November 2013 bei einer umstrittenen und von internationalen Beobachter*innen kritisierten Wahl rund 34 Prozent der Stimmen erhielt, besitzt mit seiner Nationalen Partei im Parlament keine eigene Mehrheit. Bisher konnten die vier Oppositionsparteien Antikorruptionspartei (PAC), Freiheit und Neugründung (LIBRE), Partei der Innovation und Einheit (PINU( und die Liberale Partei von Honduras (PLH) ihre Stimmenmehrheit aber kaum für eine eigene politische Gestaltung nutzen, da die Liberalen in einer faktischen „Koalition der traditionellen Parteien“ stets die Gesetzesvorlagen der Nationalen Partei unterstützten. Dass diese Koalition an der Entscheidung über die PMOP zerbrochen ist, wurde in Honduras als Sensation gewertet.

Die erste parlamentarische Niederlage von Hernández hat eine Welle der Repression gegen oppositionelle Gruppen ausgelöst, berichten lokale Menschenrechtsorganisationen. Am 25. Januar gaben Unbekannte mindestens 15 Schüsse auf den Sitz der internationalen Landrechteorganisation Via Campesina in Tegucigalpa ab. Es war der vierte bewaffnete Angriff auf den Organisationssitz seit 2009. Am 26. Januar wurden 40 Mitglieder der Garífuna-Organisation OFRANEH in Nueva Armenia beschossen, eine Frau wurde am Kopf und am Arm verletzt. Ein Bus mit Aktivist*innen der Partei LIBRE und der Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP) wurde am 27. Januar von Unbekannten beschossen. Bertha Oliva, Koordinatorin des Komitees der Angehörigen von verschwundenen Verhafteten in Honduras COFADEH, sagte, sie sei sicher, dass diese Anschläge Teil einer klar definierten Strategie seien, um „Schrecken in der Bevölkerung und unter denjenigen sozialen Bewegungen zu verbreiten, die sich dem Putsch entgegengestellt haben und heute die Politik von Hernández ablehnen.“

Am Abend des 30. Januars wurde ein Aktivist der Kleinbäuer*innenbewegung Gregorio Chavez (MCGC), der 19-jährige Christian Alberto Martínez Pérez, in La Panama in der Region Bajo Aguán entführt. Sein Fahrrad wurde am Eingang der Finca Paso Aguán des Unternehmens Corporacíon Dinant gefunden. Corporacíon Dinant ist Teil der honduranischen Unternehmensgruppe Facussé, der immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Auch in La Panama sind bereits mehrfach Mitglieder der Kleinbäuer*innenbewegungen „verschwunden“ und vermutlich ermordet worden, so dass die Familie von Pérez „mit dem Schlimmsten rechnete“. Es gelang aber, mehr als einhundert Bewohner*innen der umliegenden Gemeinden und ein Sondereinsatzkommando für Todesfälle des Justizministeriums zu mobilisieren und systematisch nach Pérez zu suchen. Zwei Tage nach seiner Entführung wurde er lebend in einem Orangenfeld in der Nähe der Finca Paso Aguán gefunden. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Permanentes Observatorium für Menschenrechte von Aguán war er verletzt und desorientiert. Der Jugendliche berichtete, er sei von Unbekannten entführt, geschlagen und nach der Führung seiner Organisation gefragt worden.

All diese Fälle zeigen: Auch im sechsten Jahr nach dem Putsch von 2009 hat sich die Menschenrechtslage in Honduras nicht verbessert.

Ein weiterer UN-Mechanismus?
2006 wurde der UN-Menschenrechtsmechanismus durch die Gründung des Menschenrechtsrates und des Universal Periodic Review (UPR) reformiert, der alle vier Jahre eine Überprüfung der Verpflichtungen vorsieht. Problematisch ist dabei die ausschließliche Beteiligung von staatlichen Repräsentanten während der allgemeinen Anhörung und der eingeschränkte Informationszugang zu bestimmten Fällen und Sachfragen. Der Zivilgesellschaft bleibt nur die Möglichkeit, im Vorfeld auf Empfehlungen der einzelnen Staaten Einfluss zu nehmen.
Im Mai 2015 ist der honduranische Staat wieder aufgefordert über Fortschritte zu berichten, die aufgrund der Empfehlungen bei der letzten Anhörung 2010 ausgesprochen wurden. Von Seiten der Zivilgesellschaft wurden viele Berichte nach Genf geschickt. Die Plattform UPR in Honduras – ein Zusammenschluss von honduranischen Organisationen – koordiniert die politische Einflussnahme in Lateinamerika und Europa. Delegationen der Zivilgesellschaft, bestehend aus Expert*innen und von Menschenrechtsverletzungen Betroffen, werden im März 2015 in den ausgewählten Hauptstädten, Botschaften und in den nationalen Missionen in Genf ihre Positionen vorstellen.
Daniela Dreissig

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