Dossier | Honduras | Nummer 442 - April 2011

// DOSSIER: HONDURAS NACH DEM PUTSCH

Wir waren unsichtbar – Perspektiven der Widerstandsbewegung

Von Fabian Unterberger

(Download des gesamten Dossiers)

Foto: Hugo Bautista

Als am 28. Juni 2009 der Präsident von Honduras im Schlafanzug von Militärs aus seinem Haus gezerrt, in ein Flugzeug gesteckt und nach Costa Rica entführt wurde, stand das zentralamerikanische Land plötzlich im Licht der Weltöffentlichkeit. Was hatte diesen Putsch ausgelöst, und womit Manuel Zelaya den Zorn der Oligarchie des Landes auf sich gezogen?

Der Tag des zivil-militärischen Putsches markierte eine Zäsur in den Auseinandersetzungen um die Zukunft Honduras´. Gleichzeitig bedeutet er auch die partielle Wiederherstellung der Logik der Gewalt, die das Land im vergangenen Jahrhundert schon 20 Jahre lang in Form einer Militärdiktatur beherrscht hatte. Die Wahlen, die das Regime am 29. November 2009 abhielt, hatten daher in erster Linie den Zweck, diese autoritäre Optik zu korrigieren. Einen Überblick über die Ereignisse rund um den Putsch, seine Vorgeschichte und die Illegitimität der Wahlen bietet Marius Zynga in einer Sammlung von häufig gestellten Fragen zum Putsch in Honduras. Einen Überblick über die Geschichte von Honduras allgemein bietet die Zeitleiste im Anhang.

Die katastrophalen Auswirkungen der neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der 1990er Jahre haben auch in Honduras soziale Bewegungen entstehen lassen, die mit Zelaya in vielen Fragen einen Bündnispartner fanden. Sie sind es, die sich nach dem Putsch in eine vielfältige Massenbewegung verwandelten, die die Idee eines sozial gerechten und lebenswerten Honduras unmissverständlich einfordert. Der Putsch gab dieser Bewegung, der Tragik der harten Repression zum Trotz, eine neue Dynamik. Einem Porträt des Widerstands gegen das Putschregime und seinen Perspektiven widmet sich Magdalena Heuwieser.

Die Bewegung sieht sich seit dem Putsch mit einem neoliberalen backlash konfrontiert. Die aktuelle Regierung von Porfirio Lobo Sosa betreibt radikalen Kahlschlag überall dort, wo in den letzten Jahren unter Zelaya zögerliche Fortschritte erreicht wurden. Angriffe auf Sozialstandards, Privatisierungen und der Ausverkauf natürlicher Ressourcen sind Programm. Ein vorläufiger Höhepunkt der Wirtschaftspolitik von Lobo ist aber die geplante Einrichtung sogenannter „Modellstädte“ im Norden, in denen Land an ausländische InvestorInnen konzessioniert wird. Unter Aussetzung geltenden Arbeitsrechts und in Autonomie vom Staat Honduras und seinen Gesetzen wird dort ein regelrechtes „Investorenparadies“ eingerichtet. Zu dem Thema befindet sich in der Broschüre ein Interview mit Jesús Garza. Begleitet wird die Agenda Lobos von massiver Repression gegen AktivistInnen der sozialen Bewegungen und einer Attitüde der Straflosigkeit gegenüber politischen Morden und Entführungen. Nichts desto trotz wählt die Europäische Union Lobo zum engen Partner in der Region. Mit den Entwicklungen unter Porfirio Lobo Sosa und ihren Konsequenzen setzt sich Fabian Unterberger auseinander.

Die Angriffe der Regierung auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen haben auch den Widerstand breit und vielfältig wachsen lassen. Jenseits der Debatten über „alte“ und „neue Linke“ hat sich in Honduras eine Bewegung formiert, die sowohl den Kampf für einen strukturellen und systemischen Wandel, als auch feministische, indigene und ökologische Kämpfe vereint. Kathrin Pelzer beleuchtet die Rolle von Frauen im Widerstand, während Donny Reyes im Interview mit Eva Bahl von den Realitäten des lesbisch-schwul-bi-transsexuellen Widerstandes berichtet. Johannes Schwäbl widmet sich den Kämpfen der Indigenenorganisation COPINH. Sie sehen sich unter Lobo besonderer Repression ausgesetzt. Ihr Kampf um das Recht auf Land und den Erhalt der natürlichen Ressourcen ist gleichzeitig ein Kampf um Nahrungsmittelsouveränität und bezeichnet eine zentrale Dimension der strukturellen sozialen Probleme Honduras. Nora Bluhme bringt eine Reportage aus Bajo Aguán, dem Zentrum des honduranischen Landkonflikts.

Inzwischen sieht es so aus, als versuche die Regierung unter Porfirio Lobo Sosa die Proteste auszusitzen. Sie versucht mit einer Mischung aus der Bekundung guten Willens und Repression den Kopf über Wasser zu halten. Eine dieser vorgeblichen Maßnahmen zur „Versöhnung“ ist die Einrichtung einer offiziellen Wahrheitskommission, die die Ereignisse rund um den Putsch untersuchen soll. Da an dieser Kommission aber dieselben Persönlichkeiten und Institutionen beteiligt sind, die den Putsch getragen haben, wurde von Menschenrechtsgruppen eine „alternative Wahrheitskommission“ ins Leben gerufen. Kathrin Zeiske beschreibt die Kontroverse rund um die beiden Kommissionen.

Schließlich widmen wir uns der für uns zentralen Frage der Anerkennungspolitik der EU und Deutschlands, die in der besorgniserregenden Menschenrechtsbilanz der Regierung Lobos offensichtlich kein Hindernis für eine Partnerschaft sehen. Die EU unterstützt den honduranischen Sicherheitssektor im Rahmen des sogenannten PASS-Programms und hat im Mai 2010 ein Assoziierungsabkommen mit Lobo unterzeichnet. Harald Neuber erklärt, wie die EU sich zur Komplizin des aktuellen Regimes macht. Das tatkräftige Unterstützung des Putsches durch die in Honduras tätige FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hat Kirstin Büttner unter die Lupe genommen.

Widerstand und Repression in Honduras dauern an. Seit Februar streiken die Lehrergewerkschaften in Honduras gegen die anstehende Privatisierung der Bildung durch eine Gesetzesreform. Am 30. März kam es im gesamten Land zu schweren Auseinandersetzungen, als Polizei und Militär gegen den von der Widerstandsbewegung ausgerufenen Generalstreik vorgingen. In der Region Bajo Aguán forderten die Kugeln des Repressionsapparates mindestens einen Toten, im gesamten Land gab es unzählige Verletzte und Festgenommene. Die sich auf den Strassen abspielenden Szenen erinnerten laut Augenzeugen an die Tage nach dem Putsch.

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