Brasilien | Nummer 337/338 - Juli/August 2002

Immer wieder Lula

Der ewige Zweite liegt gut im Rennen

Drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen stellt sich unwillkürlich ein Déjà-vu-Gefühl ein. Wie immer in den letzten Jahren führt Inacio Lula da Silva, der Kandidat der Arbeiterpartei (PT) souverän die Umfragen an. Aber auf der Zielgeraden wurde Lula bei den letzten zwei Wahlen von dem Kandidaten des Regierungsbündnisses, Fernando Henrique Cardoso, abgehängt. Kann es diesmal anders werden?

tof

Ich bin nicht gewählt worden, um Krisen zu verwalten“ hatte Präsident Cardoso 1999 beim Antritt seines zweiten Mandates stolz verkündet. In Wirklichkeit wirkt sein zweites Mandat aber wie ein einziges Krisenmanagement. 1994 war es der Plano Real gewesen, der Brasilien aus der Hochinflation herausführte und Cardoso ins Präsidentenamt hineinhievte. Der Erfolg des Stabilisierungsplans ist heute allgemein anerkannt, die Inflation liegt 2002 bei etwa sechs Prozent. Allerdings wird in der aktuellen Finanzkrise der wirtschaftspolitische Preis der Stabilitätspolitik nur allzu deutlich (siehe Seite 6).
Arbeitslosigkeit, Energiekrise und mäßiges Wirtschaftswachstum prägen nun vielmehr das Bild der Regierung, als die Erleichterung über die kontrollierte Inflation. Zudem ist in den innenpolitischen Wirrungen der letzten Monate das Regierungsbündnis zerbochen, das über sieben Jahre lang für eine erstaunliche innenpolitische Stabilität gesorgt hatte. Die PFL (s. Kasten), die neben der Präsidentenpartei PSDB die wichtigste und zuverlässigste Stütze der Regierung war, hat Anfang des Jahres die Koalition aufgekündigt. Sie hatte versucht die Tochter des ehemaligen Präsidenten Sarney, Roseana Sarney, als Präsidentschaftskandidatin zu lancieren. Roseana lag lange Zeit unangefochten auf Platz zwei der Wahlumfragen, wurde dann aber durch Korruptionsvorwürfe demontiert. Die PFL sah dabei die Hand der Regierung am Werk. Sie zog sich zutiefst beleidigt aus der Koalition zurück und geht nun ohne eigenen Kandidaten in den ersten Wahlgang.

Kein drittes Mandat für Cardoso

All dies ist kein günstiges Szenario für Cardoso, der nach zwei Mandaten nicht mehr kandidieren darf. José Serra ist von der PSDB nach heftigen internen Querelen bestimmt worden, die Ära Cardoso fortzuführen. Wie Cardoso hat auch er seine Laufbahn als Oppositioneller zum Militärregime begonnen und seine politische Karriere dann in São Paulo fortgeführt. Er verkörpert das Selbstbild der PSDB: eine moderne Partei, für Industrie und aufgeklärte Mittelschicht gleichsam wählbar.
Serras großes Problem ist, dass er keine populäre Ausstrahlung hat. Im ersten Kabinett Cardosos fungierte er als Planungsminister, zuletzt war er dann Gesundheitsminister, damit er als Wohltäter beim Volke bekannt werden konnte. Mit mäßigem Erfolg – auch wenn seine administrative Kompetenz ihm weitgehende Achtung eingebracht hat.
Lange Zeit schien es so als ob Serra kaum Aussichten hätte, Lula ernsthaft zu bedrohen. Aber in den letzten Umfragen hat er sich auf dem zweiten Platz stabilisiert – mit leicht steigender Tendenz.

Der Kampf um Platz zwei

Noch muss Serra jedoch fürchten, dass es nicht einmal für Platz zwei reicht. Anthony Garotinho und Ciro Gomes liegen weiter im Rennen, auch wenn einiges auf ein baldiges Ende der Kandidatur des populistischen Garotinho hindeutet. Der ehemalige Gouverneur von Rio fällt in den Umfragen und hat mit der PSB nur eine sehr schwache Partei ohne viel Fernsehzeit als Stütze. Bleibt also Ciro Gomes. Er ist in den letzten Umfragen wieder gestiegen und bleibt mit 16 Prozent eine ernsthafte Bedrohung für Serra (21 Prozent, s. Kasten). Bei einem Verzicht von Garotinho könnte Ciro zu Serra aufschließen. Denn alle oppositionellen Kandidaten kämpfen auf demselben Territorium: links von der jetztigen Regierung – mit scharfer Kritik am „neoliberalen Modell“. Die Kandidaten der Opposition kommen also auf etwa 70 Prozent der Stimmen, die Regierung käme bei einem Zusammenschluss einfach nicht ins Rennen.
Die überwältigende Ablehnung der aktuellen Regierungspolitik begründet die große Hoffnung für Lula und seine Partei, dass diesmal alles ganz anders wird. Die Wahl würde nach ihrer Vorstellung zu einer plebiszitären Welle gegen die Regierung werden, die Lula ins Amt trägt.

Lula: vom Bürgerschreck zur Sahnetorte?

Aber die Strategen der PT vertrauen nicht nur auf eine oppositionelle Grundhaltung der Bevölkerung. Sie haben erkannt, das im Wahlkampf ein Produkt an Mann und Frau gebracht werden muss. Das Produkt Lula wird nun auf leichtere Verträglichkeit getrimmt. Denn auch in Brasilien geht es im Wahlkampf um die Stimmen aus der bürgerlichen Mitte. Die in dieser Gesellschaftsschicht tief verwurzelte „Angst vor der Linken“ soll mit „Lula light“ – so titelte das brasilianische Magazin Veja – gebändigt werden. Ehemalige Forderungen Lulas und der PT, Auslandsschulden nicht zurückzuzahlen oder Privatisierungen rückgängig zu machen, sind nicht mehr weiter thematisiert worden. Dafür ist der erfolgreichste brasilianische Wahlkampfmanager, Duda Medonça, engagiert worden, der zuletzt für den extrem rechten Maluf gearbeitet hatte. Mit einem neuen Image soll die hohe Ablehnungsquote Lulas, über die er besonders im zweiten Wahlgang stolpern könnte, gedrückt werden.
Außerdem ist es zum ersten Mal gelungen, das Wahlbündnis über den Kreis der üblichen Verdächtigen (die kleineren linken Parteien) auszuweiten. Im letzten Augenblick überredete Lula die PT zu einem Zusammengehen mit der PL (Liberale Partei), in der konservative Christen aus den Pfingstkirchen den Ton angeben, die bisher eher durch reaktionäres Gedankengut aufgefallen waren. Auf jeden Fall hat Lula damit auch endlich einen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, den liberalen PL-Politiker und Unternehmer José Alencar.
Inwieweit das Bündnis mit der PL tatsächlich Stimmen bringt, muss abgewartet werden. Auf jeden Fall stärkt es das neue Image Lulas. Innerhalb der PT hat die Wahlkampfstrategie der Parteiführung zu heftiger Kritik vom linken Flügel geführt. Aber angesichts der realen Chancen Lulas, wird es der Parteiführung wohl gelingen, die interne Opposition unter Kontrolle zu halten.
2002 ist also nicht einfach mit den vorherigen Wahlen zu vergleichen. Die Chancen Lulas sind so gut wie noch nie – das bestätigen auch die Unruhen auf den Kapitalmärkten. Ob mit Lula aber tatsächlich noch die „Gefahr“ eines radikalen Bruchs mit der bisherigen Politik besteht – darüber streiten sich die Geister und teilen sich in Hoffnungen und Befürchtungen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren