Mexiko | Nummer 490 - April 2015

„In Mexiko gibt es eben nur diese Polizei“

Interview mit Christoph Strässer, Menschenrechtsbeauftragter der deutschen Bundesregierung

Auch die deutsche Regierung gab sich angesichts der ermordeten und verschwundenen Studenten im Bundesstaat Guerrero entsetzt. Doch trotz der Verantwortlichkeit staatlicher Stellen will sie an dem geplantes Polizeiabkommen mit Mexiko festhalten. Die LN sprachen mit dem Menschenrechtsbeauftragten Christoph Straesser über den Zustand der mexikanischen Polizei, die Ernsthaftigkeit der Ermittlungsbehörden und illegale deutsche Waffen in Mexiko.

Interview: Wolf-Dieter Vogel

Viele Menschenrechts- und Hilfsorganisationen haben die Bundesregierung aufgefordert, das Polizeiabkommen mit Mexiko nicht umzusetzen. Sie haben sich für eine solche Sicherheitspartnerschaft ausgesprochen. Warum?
Ich bin selbst gespalten. Der Zustand der mexikanischen Polizei ist mehr als problematisch. Menschenrechtliche und andere rechtsstaatliche Standards werden teilweise nicht beachtet. Lokale und bundesstaatliche Polizisten arbeiten teilweise mit der organisierten Kriminalität zusammen. Das zu unterstützen kann natürlich nicht im Sinne einer Sicherheitspartnerschaft sein.
Andererseits: In Mexiko müssen Polizisten nach wenigen Ausbildungswochen Aufgaben erfüllen, auf die sie nicht ausreichend vorbereitet sind. Vieles funktioniert schlecht, etwa die Sicherung von Tatorten und Beweismitteln. Aber das eigentliche Problem ist die Korruption. Wenn man mit deutscher Hilfe Konzepte entwickeln kann, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, wäre das nicht falsch. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Menschenrechte eingehalten werden.

Es könnte passieren, dass Polizist*innen ausgebildet werden, die später für die Mafia arbeiten.
Die Gefahr besteht sicher in Einzelfällen. Deshalb muss man im Abkommen festlegen, wie überprüft wird, ob das passiert. Das ist machbar, wir haben schließlich mit vielen Staaten Sicherheitspartnerschaften, um Polizisten in demokratischem Handeln zu schulen. Wenn es dafür eine realistische Perspektive gibt, ist das sinnvoll. In Mexiko gibt es eben nur diese Polizei. Wenn man dort rechtsstaatliche Strukturen stärken kann, sollte man es versuchen. Aber nicht um jeden Preis.

Hatten Sie den Eindruck, dass der Fall Iguala ernsthaft strafrechtlich verfolgt wird?
Das ist ein großes Problem. Im Gespräch mit dem jetzt zurückgetretenen Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam sind große Defizite deutlich geworden. Beweismittel wurden erst nach Wochen gesichtet, und offenbar nur aufgrund des Drucks von außen. Die Angehörigen fordern zu Recht, dass bei der Identifizierung der Opfer mehr getan werden muss. Herr Murillo Karam sagte uns, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen.

Im Januar hat er sie bereits für beendet erklärt.
Die Angehörigen haben das deutlich kritisiert, die Aussage hat das Vertrauen in die Transparenz der Ermittlungen sehr stark erschüttert. Die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft könnte zu einer Kehrtwende beigetragen haben.

Sie haben sich auch mit den Gewehren der Waffenschmiede Heckler&Koch beschäftigt, die offensichtlich illegal in die Hände der Polizei von Iguala geraten sind.
Niemand bestreitet mehr, dass sich die Waffen dort befanden. Ob sie gegen die Studenten eingesetzt wurden, ist noch unklar. Aber auch dafür gibt es Indizien. Wenn man die Rechtslage betrachtet, hätten die Gewehre nicht nach Guerrero gelangen dürfen. Die Angehörigen haben vor der deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt dagegen demonstriert. Zu Recht. Sie fordern, keine Waffen mehr nach Mexiko zu liefern.

Etwa 10.000 dieser G36-Gewehre gingen in das Land. Hätte man nicht vorher wissen können, wie schwierig die Situation ist und den Export erst gar nicht genehmigen dürfen?
Diese Frage stellt sich im Nachhinein. Meines Wissens hat es eine Absprache über den Endverbleib der Waffen gegeben. Demnach hätten die Gewehre in vier Bundesstaaten nicht gehen dürfen, darunter Guerrero. Die mexikanische Seite hat uns gegenüber bestritten, dass es diese Absprache gab. Das wird das Stuttgarter Landgericht klären müssen, wo gegen Heckler&Koch ermittelt wird. Aber wenn man nicht ausschließen kann, dass sich die andere Seite nicht an Absprachen hält und trotzdem in diese Bundesländer liefert, wird eine solche Genehmigung sehr fragwürdig.

Waren Sie auch in anderen Bundesstaaten?
Wir waren in Michoacán. Auch das ist ein problematischer Bundesstaat. Dort hat die organisierte Kriminalität auf lokaler Ebene an vielen Stellen die Macht übernommen. Es ist unumstritten, dass Teile der Sicherheitskräfte mit der organisierten Kriminalität zusammenarbeiten. Deshalb haben die Menschen Bürgerwehren aufgebaut. Ich würde mir sehr wünschen, dass man dort wieder rechtsstaatliche Strukturen schafft. Denn die Alternative, dass Bürger selbst ihre Sicherheit in die Hand nehmen, ist auf Dauer nicht tragfähig.

Michoacán gehört nicht zu den von Waffenlieferungen ausgenommenen Bundesstaaten. Macht es denn Sinn, bei Exportgenehmigungen nur einzelne Regionen auszuschließen?
Die Entwicklung spricht im Fall Mexiko tatsächlich dagegen. Aber diese Entscheidungen sind ja nun schon einige Jahre alt. Ich bezweifle, dass man heute ebenso entscheiden würde.

Was müsste passieren, damit Kleinwaffen wie die G36 nicht mehr in solchen Regionen landen?
Es gibt Rüstungsexportrichtlinien, an denen sich die Bundesregierung orientiert. Diese sehen vor, keine Waffen zu verkaufen, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass damit Menschenrechte verletzt werden könnten. Ich kann natürlich „Stoppt alle Rüstungsexporte“ fordern. Aber genau das wäre politisch naiv. Ich kann diese Exporte nicht verhindern, kann aber dafür sorgen, dass Grenzen gezogen werden, dass Richtlinien eingehalten werden. Das setzt Transparenz voraus. Aber das Problem im Fall von Heckler&Koch war doch, dass niemand den Endverbleib der Gewehre geprüft hat. Die Frage ist, ob der Verbleib von Kriegskleinwaffen überhaupt kontrollierbar ist. Man kann nur darauf setzen, dass internationale Vereinbarungen von allen Partnern umgesetzt werden. Mit dem Arms Trade Treaty gibt es jetzt einen völkerrechtlichen Vertrag, der Exportkontrolle von Waffen zum Regelungsgegenstand hat und globale Mindeststandards setzt. Tritt ein Staat diesem Abkommen nicht bei, wäre das für mich persönlich zum Beispiel ein Grund, solchen Ländern keine Rüstungsgüter zu liefern.

Sollten derzeit Rüstungsgüter nach Mexiko exportiert werden?
Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu ähnlichen Vorfällen wie in Iguala kommt, plädiere ich dafür, keine Kriegskleinwaffen zu liefern. Das ist auch der aktuelle Stand in der Bundesregierung. Es werden derzeit keine Ausfuhrgenehmigungen für Kriegskleinwaffen nach Mexiko erteilt.

Christoph Strässer
Christoph Strässer ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. Der SPD-Politiker besuchte Ende Februar Mexiko. Dort beschäftigte er sich auch mit dem Angriff von Polizist*innen und der Mafia auf Studierende vom 26. September 2014 in Iguala im Bundesstaat Guerrero. Dabei starben sechs Menschen, 43 werden bis heute vermisst.

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