Medien | Nummer 465 - März 2013

Information aus klarer Quelle

Interview mit Heriberto Paredes Coronel, Mitbegründer der Autonomen Nachrichtenagentur SubVersiones

Obwohl nur rund ein Drittel aller Mexikaner_innen Zugang zum Internet hat, werden die neuen Informationstechnologien auch für alternative Medien immer wichtiger. Die Autonome Nachrichtenagentur SubVersiones will Gegenöffentlichkeit herstellen und bietet auf ihrer Website Texte und Fotos mit Informationen, die von den großen Medienkonzernen nicht verbreitet würden.

Interview: Jan-Holger Hennies

Euer Projekt nennt sich Autonome Nachrichtenagentur SubVersiones. Wie und wann entstand die Idee zur Gründung der Agentur?
Das Projekt entstand im Mai 2010. Einige der Gründungsmitglieder waren damals an der Universität, andere in verschiedene politische Projekte involviert, sowohl in indigenen Gemeinden als auch in urbanen Räumen. Die Agentur entstand letztlich in der gemeinsamen Berichterstattung über die Kämpfe des autonomen Munizips San Juan Copala (siehe LN 432 und 443). Wir unterstützten die Kommunikationskommission, welche nach dem Mord an Bety Cariño gebildet wurde. Außerdem halfen wir bei der Erstellung von Pressemitteilungen, verschickten Emails, entwickelten Websites und organisierten Pressekonferenzen. In bestimmten Situationen, wie der, als die „Friedenskarawane“ die Blockade in Copala durchbrechen wollte, koordinierten wir uns mit unabhängigen Medien, um eine kontinuierliche Berichterstattung zu liefern und so Schutz vor möglichen Angriffen zu haben. Diese Arbeit bündelten wir schließlich in einer gemeinsamen Organisation. Gleichzeitig sahen wir die Notwendigkeit, investigativ zu arbeiten, selber Informationsquelle zu sein und nicht bloß unüberprüfbare Daten zu wiederholen.

Wie sieht die Agentur heute aus? Wie viele Personen arbeiten dort und wie arbeitet ihr?
Wir sind im Redaktionskollektiv acht Personen, die sich regelmäßig treffen. Dazu kommen circa zwanzig weitere, die für die Agentur arbeiten. Die Idee ist, dass alle Mitglieder der Agentur fähig sind, zu schreiben, Geschehnisse in Foto und Video zu dokumentieren und hochwertige Radiobeiträge zu produzieren. Alle diese Beiträge publizieren wir auf unserer Website. So entsteht eine kleine „Armee“, die in vier verschiedenen Bereichen der Kommunikation arbeiten kann. Das gibt es in anderen Medien kaum.

Welche weiteren Unterschiede siehst du zwischen der autonomen Nachrichtenagentur und anderen klassischen und alternativen Medien?
Ich sehe in dieser Hinsicht zwei Dinge: zuerst den Anspruch, den wir an unsere Publikationen haben. Das heißt die Genauigkeit, mit der wir recherchieren, und die Qualität, mit der wir unsere Beiträge produzieren. Wir versuchen, überall hinzugehen und nicht über Dinge zu berichten, die wir nicht selbst gesehen oder recherchiert haben. Man soll uns ernst nehmen und nicht für einen einfachen Blog halten. Unsere Videos, Fotos und Texte produzieren wir grundsätzlich selbst. Das zweite ist unsere politische Position. Wir beziehen eine klare Stellung und machen sie deutlich, damit jeder Nutzer weiß, aus welcher Perspektive wir berichten – im Gegensatz zu vielen anderen Medien.

Welche Themen deckt die Agentur zurzeit hauptsächlich ab?
Wir liefern Berichterstattung zu verschiedenen sozialen Bewegungen in Mexiko wie der kommunitären Polizei in Cherán, nach wie vor zu den Autonomiebestrebungen in San Juan Copala, zum Movimiento por la Paz con Justicia y Dignidad („Bewegung für einen Frieden mit Gerechtigkeit und Würde“) und einigen mehr. Gleichzeitig beginnen wir derzeit, uns systematischer mit Fragen der nationalen Politik sowie dem organisierten Verbrechen zu beschäftigen. Gleichzeitig berichten wir aber auch über Prozesse in Guatemala und Bolivien. Eine systematische Abdeckung von kulturellen Themen fehlt uns bislang leider. Letztlich haben wir viele Themen, würden aber gerne noch breiter berichten.

Wie aktuell ist eure Berichterstattung? Wie oft wird die Website aktualisiert?
Generell interessiert es uns nicht, mit anderen Medien zu konkurrieren und Nachrichten um der Anzahl willen zu veröffentlichen. Wenn wir eine Nachricht für fertig halten, publizieren wir sie. In der letzten Zeit haben wir allerdings täglich über die Geschehnisse nach dem 1. Dezember 2012 (Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten Peña Nieto, Anm. der Red.; siehe LN 463) berichtet. Allgemein denke ich, dass es mindestens eine neue Publikation am Tag gibt.

Neben der Website existieren auch Facebook- und Twitter-Accounts. Wie groß ist die Reichweite der Agentur zurzeit?
In Twitter sind wir derzeit erst am Anfang. Wir haben lediglich 382 Follower – diese stellen allerdings sehr gute Kontakte dar, die eine weitreichende Verbreitung unserer Arbeit möglich gemacht haben. Bei Facebook besitzen wir circa 5.000 Kontakte, unsere Website hat durchschnittlich 6.000 Besuche am Tag.

Gibt es Pläne, das Angebot auch in andere Mediengattungen zu diversifizieren?
Genau darin besteht eines unserer Probleme, oder besser gesagt, eine Herausforderung: Wir erreichen leider nach wie vor nicht alle Leute, die wir gerne erreichen würden. Wie also können wir mit unserer Berichterstattung auf die Straße gehen? Das Kernstück ist die Website, aber wir wollen auf längere Sicht eine Art Mitteilungsblatt oder Zeitung herausgeben, die Themen betrachtet, welche nicht auf der Website sind. Das ist eine große Herausforderung, aber in den letzten zwei Jahren konnten wir weitaus mehr vorankommen als jemals gedacht.

Hat die Agentur als alternatives Medium Verbindungen zu klassischen, kommerziellen Medien?
Ja, sehr gute sogar – vor allem mit den Leuten von Proceso, Contralínea und Animal Político. Wir konnten von ihnen viel lernen und unsere Arbeit verbessern. Inzwischen haben uns auch einige klassische Medien zitiert, gerade wenn wir über Themenfelder berichteten, in welchen sich diese kaum bewegen. Dies war bislang hauptsächlich bei drei Themen der Fall: unsere Anklage der Korruption und des Machtmissbrauchs durch die Polizei, bei Zollposten und Straßensperren im Nordwesten Chihuahuas, die Berichterstattung über die Situation in Cherán und gerade aktuell, die Berichte über die Demonstrationen am ersten Dezember 2012 in Mexiko-Stadt sowie die Situation der politischen Gefangenen danach – alles, was bis heute passiert ist. Wir können den medialen Diskurs also durchaus beeinflussen, wenn auch nicht immer.

Neben der reinen Berichterstattung ist die Agentur als Organisation auch in verschiedene Unterstützer_innen-Netzwerke, zum Beispiel für Cherán, eingebunden. Wie wichtig ist es für Euch, mehr als nur eine Informationsplattform zu sein?
Für uns ist ein wichtiger Aspekt der Kommunikation ganz klar die Vernetzung einer riesigen bestehenden Vielfalt an Organisationen, die sich mit journalistischen Erfahrungen, Kunst, Musik und sozialen Kämpfen beschäftigen. Unser Projekt hat drei Linien: Kommunikation, Vernetzung und Ausbildung – sowohl intern als auch extern. In den letzten zwei Jahren haben wir vor allem den Kommunikationsteil gefestigt und sind jetzt seit circa einem halben Jahr in der aktiven Vernetzung. Gleichzeitig sitzen wir in den Startlöchern des Bildungsprozesses, das heißt Mitgliedern und Interessierten unser Wissen über Kommunika­tionstechniken u. ä. weiter zu vermitteln.

Gibt es Erfahrungen mit Repression?
Eher Einschüchterung als Repression – für unsere Arbeit wurden wir mit dem Tod bedroht. In diesem Punkt kann ich öffentlich leider keine Details nennen. Aber ja, unsere Recherchen zur kommunitären und zivilen Sicherheit berühren nicht bloß die Interessen einiger Drogenkartelle, sondern auch die des mexikanischen Staates. Wir versuchen, die Verantwortlichen für Aktionen zu finden, welche Gewalt und Unsicherheit in den betreffenden Gebieten verursachen. Dies ist wichtig, da große Medien das nicht können, in den Gebieten hat man zu ihnen kein Vertrauen mehr, aber wir können von innen recherchieren. Ich spreche von den Bundesstaaten Michoacán und Guerrero. Es ist letztlich nicht möglich genau zu sagen, woher die Drohungen kommen, aber wir haben zwei natürliche Feinde: das organisierte Verbrechen und den mexikanischen Staat.

Welchen Schwierigkeiten muss sich die Nachrichtenagentur darüber hinaus entgegenstellen?
Das größte Problem ist sicherlich unsere prekäre Arbeitssituation, da wir keine finanziellen Mittel für all unsere Projekte haben. Ebenso können wir uns nicht voll auf die Agentur konzentrieren – wir alle brauchen eine weitere Arbeit, um Geld zu verdienen und uns für die Berichterstattung im Land bewegen zu können. Diese Situation müssen wir auf kurze bis mittlere Sicht ändern. Auf längere Sicht soll aus der Agentur dann eventuell eine Kooperative werden. Insgesamt müssen wir in den kommenden Jahren weiter wachsen und ich glaube, wir sind auf einem sehr guten Weg.

Infokasten:

Heriberto Paredes Coronel

ist Journalist, Fotograf und Mitbegründer der Autonomen Nachrichtenagentur SubVersiones. Er arbeitete international für verschiedene Radiosender, gibt Fotografie-Workshops und ist derzeit Mitarbeiter bei Rompeviento Television sowie der Zeitschrift Variopinto.
http://www.agenciasubversiones.org/

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