Berlinale | Nummer 501 - März 2016

INSCHRIFT AUF DEM TOR ZUR HÖLLE

Der Dokumentarfilm Tempestad erzählt anhand der Geschichte zweier Frauen die Realität organisierter Kriminalität in Mexiko

Von Caroline Kim

Tempestad heißt der neue Dokumentarfilm der mexikanisch-guatelmatekischen Regisseurin Tatiana Huezo. Mit ihrem politischen Kino möchte sie ein Zeichen gegen Gleichgültigkeit setzen.
Tempestad ist wie so viele der Filme der diesjährigen Berlinale eine Reise, eine Art entkontextualisiertes Roadmovie, das jedoch keine leichte Kost ist. Der Film erzählt die Geschichte zweier mexikanischer Frauen – besser – zwei Frauen, Miriam und Adela, erzählen sie selbst. Es sind ihre Stimmen, die uns aus dem Off durch den Film führen. In den seltensten Situationen stimmen Bild und Ton überein, was das Wundersame und zugleich Faszinierende des Films ausmacht: Eindringlich erzählt Miriams Stimme über ihre Erfahrungen in einem Gefängnis im Norden Mexikos. Als sie überraschend freigelassen wird, muss sie eine 2000 Kilometer lange Busreise auf sich nehmen, um nach Hause zurückzukehren. Miriams Erlebnisse, Erinnerungen und Ängste werden durch dekontextualisierte Bilder aus Mexikos Alltag untermalt, die man auf einer solchen Reise sehen kann: Busbahnhöfe, Straßenrestaurants, Busse, Dörfer, Märkte, Comedores. Arbeitende Menschen, arbeitende Hände und Füße, immer wieder Details, viel Nähe. Und vor allem Gesichter – wartend, schlafend, reisend, nachdenkend. So nah, dass man glaubt, in sie hineinsehen zu können. Fast jedes der Frauengesichter, das erscheint, weckt Assoziationen mit der erzählenden Stimme Miriams. Jede dieser Frauen könnte sie sein, was auf subtile Weise verdeutlicht, dass ihr Schicksal alltäglich und willkürlich ist.
Miriam landet unschuldig in einem „selbstregierten“ Gefängnis, wo nur die Regeln derer gelten, die das Gefängnis regieren – jegliche demokratische Kontrolle dieser Bastion ist inexistent. Die größte Ressource, auf der das Funktionieren des Gefängnisses beruht, ist Angst. Es ist ein pures Geschäft mit den Insassen, deren Familienmitglieder ständig neu die Sicherheit ihrer inhaftierten Angehörigen erkaufen müssen, Woche für Woche.
Auch wenn Miriam im Gefängnis lernt, sich an die Situation anzupassen, um zu überleben und alsbald eine gewisse traurige Zugehörigkeit zum Ort zu spüren, sind Verbrechen, Gewalt und Willkür, deren Zeugin sie wird, Ereignisse, die sie zerbrechen lassen. „An jenem Tag, ist etwas in mir kaputt gegangen“ erzählt sie, „etwas, das gut war“.
Die zweite Geschichte ist die von Adela, deren Tochter von Menschenhändlern entführt wurde. Das verbindende Glied zwischen Adelas und Miriams Geschichte ist die unfassbare Verstrickung der Behörden in die Organisierte Kriminalität, der sie machtlos gegenüberstehen. Es zeigt das Bild eines Landes, in der die Straflosigkeit allseits präsent und zu einer perversen Normalität geworden ist, auf der das ganze System basiert. Das Unverständnis, das die beiden Frauen verspüren, wenn sie sehen, wozu Menschen in solch absurden Situationen fähig sind, ist bestechend. Der Film vermittelt das unheilvolle Gefühl, nirgendwo in Sicherheit und der völligen Willkür eines organisierten Apparats ausgesetzt zu sein, aus dem es kein Entkommen gibt. Die gesättigten Farben und das Spiel mit dem Fokus verstärken diese bedrückende Atmosphäre. Tempestad, auf Deutsch Unwetter, ist ein passender Titel für diesen Film: Wind und Wetter werden zu stimmungsgebenden Protagonisten und er lebt von dem starken Zusammenspiel von Worten und Bildern, die eigentlich nicht und eigentlich doch zueinander gehören.
Ein Schild, das Miriam am Eingang eines Gefängnistrakts mit Dante Aligheris Inschrift auf dem Tor zur Hölle „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ begrüßt, ist vielsagend und vielleicht die Zusammenfassung des Films. Auch wenn er sich am Ende bemüht, kleine positive Hoffnungsschimmer zumindest in den Stimmen der Erzählerinnen zu zeigen, ist es doch die düstere Resignation und Bedrohlichkeit, die bleibt.

Tempestad // Tatiana Huezo // Mexiko 2016 // 105 min // Berlinale Forum

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