Film | Nummer 465 - März 2013

Ja zum „Nein“

Der Film No erzählt, wie das chilenische Volk 1988 seinen Diktator abwählte

Der Volksentscheid von 1988 läutete das Ende der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet ein. Der Spielfilm No des Regisseurs Pablo Larraín erzählt, wie ein simpler Werbeslogan den Diktator mit seinen eigenen marktwirtschaftlichen Methoden schlagen konnte. Doch Menschenrechtsgruppen sind mit dem Werk nicht ganz zufrieden.

Stephanie Rauer

Am 5. Oktober 1988 stand das chilenische Volk vor der Wahl: „Ja“ oder „Nein“ zu weiteren acht Jahren Augusto Pinochet. Doch kaum jemand glaubte damals daran, dass das Referendum tatsächlich etwas an der Realität der Militärdiktatur ändern könnte. Dennoch gewann der gängigen Meinung zum Trotz das „Nein“.
Wer sich den Film No ansehen will, der weiß also mit der historischen Distanz von knapp 25 Jahren, wie die Abstimmung ausgehen wird. Deshalb zieht der Film des Regisseurs Pablo Larraín seine Spannung auch nicht aus dem Ausgang, sondern aus dem Wettstreit der Werber_innen. Was Barack Obama für seinen Wahlkampf 2008 in den USA mit seinem „Yes, we can“ genutzt hat, das haben Ende der achtziger Jahren auch schon die Befürworter_innen des „No“ in Chile gekonnt: Die Hoffnung eines ganzen Volkes auf einen politischen Wandel zu aktivieren. Doch in Chile musste dazu erst einmal die Angst bezwungen werden, so die Botschaft des Films.
René Saavedra, gespielt von Gael García Bernal, produziert eigentlich Werbefilme für Konsumgüter wie Erfrischungsgetränke und Mikrowellenherde. Doch dann wird er von den „Nein“-Unterstützer_innen gebeten, die Werbekampagne für sie zu übernehmen. Er soll das Volk nicht nur dazu bewegen, gegen Pinochet zu stimmen, sondern überhaupt erst zur Wahlurne zu gehen. Der im Exil aufgewachsene Sohn eines chilenischen Sozialisten hat aber mit Politik nicht viel am Hut. Das kleine Glück hat er in Karriere und Familie gefunden. Sie sind ihm wichtiger als das Schicksal des Landes. So wie er haben sich viele Chilen_innen durch die Flucht ins Private mit der Diktatur arrangiert.
Und dennoch: Trotz aller Drohungen und realen Gefahren für sich und seine Angehörigen nimmt Saavedra schließlich doch die Herausforderung an, mit den Waffen der PR-Branche gegen den Machtapparat anzutreten. Kaum jemand glaubt an seinen Erfolg. Am wenigsten die „No“-Aktivist_innen selbst, die in der Abstimmung – nicht ganz unbegründet – eine Farce zur Machtlegitimation des Systems Pinochet sehen. Doch Saavedra lässt sich nicht beirren. Einen Monat lang hat er täglich 15 Minuten im nationalen Fernsehen zur Verfügung, um das Volk vom „Nein“ zu überzeugen.
Während die politischen Oppositionellen dabei vor allem die Gräueltaten Pinochets thematisieren wollen, stellt sich Saavedra gegen sie. „Wenn wir das tun, verbreiten wir nur noch mehr Angst. Und dann gewinnen sie.“ Kurzerhand krempelt er seinen Fernsehspot für „Free-Cola“ zu einer Befreiungshymne für Chile um. Aller Skepsis zum Trotz trifft er damit den Nerv der Bevölkerung. Sein Jingle, „Chile, la alegría ya viene“, („Chile, die Freude kommt bald“) schafft das Undenkbare. Mit einer simplen Melodie wird Pinochet abgesetzt.
„Das Thema ist zwar sehr kontextbezogen, aber dennoch universell. Es geht um Menschen und ihre Beziehung zu Politik, um Demokratieverständnis und die Rolle des Fernsehens“, erzählte Hauptdarsteller Gael García Bernal während des Filmfestivals im Schweizerischen Locarno, bei dem vor allem der mitunter schräge Humor des Spielfilms große Begeisterung im Publikum ausgelöst hat – auch wenn die buchstäblich schlechte Qualität für einige Diskussion gesorgt hat. Denn Regisseur Pablo Larraín hat in seinem Film nicht nur thematisch, sondern auch stilistisch ein interessantes Experiment gewagt: Um Originalaufnahmen aus den achtziger Jahren ohne sichtbare Unterschiede in seinen Film einbauen zu können, wählte er das Videoformat U-Matik, das damals im Fernsehen verwendet wurde. Was am Anfang irritiert, bewirkt schon nach wenigen Minuten, dass man sich in die damalige Zeit zurückversetzt fühlt. Die bewusste Entscheidung gegen digital perfektionierte Bilder lässt die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentarfilm verschwimmen.
„Vor diesem Film wusste ich nicht, welche Rolle das Fernsehen bei der Abwahl Pinochets gespielt hat“, so Bernal bei einem Pressegespräch in Locarno. „Pinochet hätte sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass er mal mit den Waffen des Neoliberalismus geschlagen wird, den er selbst installiert hat.“ Die Abstimmung, bei der sich Pinochet eigentlich von vornherein als Sieger gesehen hatte, war dann der Anfang vom Ende seiner Diktatur. 1990 kehrte die Demokratie nach Chile zurück.
Doch ganz so simpel, wie es der Film erzählt, ist die Geschichte in Wirklichkeit nicht. Es war mehr nötig, als eine ohrwurmtaugliche Melodie, um Pinochet abzusetzen. So meldeten sich recht bald die ersten kritischen Stimmen: „Zu glauben Pinochet habe das Plebiszit wegen eines TV-Werbestreifens verloren, zeigt, dass nichts von dem verstanden wurde, was wirklich geschehen ist“, kritisierte Francisco Vidal, der Minister der Regierungen Ricardo Lagos (2000-2006) und Michelle Bachelet (2006-2010) war.
Menschenrechtsgruppen formulierten diese Kritik noch weitaus akzentuierter: Der Film No verkürze alles auf die vermeintliche Bedeutung eines PR-Slogans und unterschlage den langjährigen Kampf gegen die Diktatur, empörte sich Félix Madariaga von der renommierten Menschenrechtsorganisation Codepu. „Meint Herr Larraín, wir waren alle blöd und wussten nicht, was in Chile geschah?“ Der Film zeige „ein paar Typen, die sich zusammenfinden und Werbung machen – und die sozialen Bewegungen werden mit keinem Wort erwähnt“. Der Erfolg des „Nein“ sei vielmehr die jahrelange Schlacht einer Bevölkerung gewesen, „die Nein zur Diktatur, Nein zu Pinochet gesagt hat“, so Madariaga. „Zu meinen, der Erfolg des NEIN sei einer Gruppe von Politikern und Werbeleuten zuzuschreiben, das ist eine Lüge“.
Madariaga wies auch darauf hin, dass dem Regisseur persönlich eine klarere Positionierung gut gestanden hätte. Denn der Name Larraín ist in Chile durchaus nicht unbekannt. Die Familie Larraín zählt zu den reichsten und einflussreichsten Familien des Landes. Pablo Larraíns Vater, Hernán Larraín, ist stramm rechter Senator, seine Mutter, Magdalena Matthe, war Ministerin und musste wegen einer 17-Millionen-Dollar-Zahlung an eine Firma zurücktreten. „Obwohl wir niemanden wegen seiner Herkunft verurteilen sollten, so gibt es doch eine zu tragende Last, derer man sich nur durch Taten entledigen kann. Und da liegt [für Pablo Larraín] noch ein Stück Weg vor ihm“, so der Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Codepu.
Dennoch, der Film zeigt, dass manchmal auch Weniges ausreichen kann, um eine Revolution von innen anzustoßen. Nicht mit Waffengewalt, sondern mit dem Mut der Bevölkerung, für den Wandel abzustimmen, wurde der Lauf der Geschichte verändert.

No // Pablo Larraín (Regie) // Chile 2012 // 118 Min. // ab 7. März in den Kinos

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