Film | Nummer 356 - Februar 2004

„Kämpfen, egal wofür“

Interview mit dem uruguayischen Regisseur Diego Arsuaga zu seinem Film El último tren

Diego Arsuaga begann seine Karriere als Produzent und Drehbuchautor. Mit 22 Jahren wurde der Uruguayer von seinen Kollegen und verschiedenen Werbeagenturen für seine Arbeit als Werbefilmregisseur ausgezeichnet. Dann wagte er den Sprung zu Höherem. Seine neue Herausforderung war das Kino. Diego Arsuaga ist Produzent des Spielfilms Plata Quemada von Marcelo Pineyro, der in Spanien mit dem Goya für den besten ausländischen Film in spanischer Sprache ausgezeichnet wurde. Das Drehbuch zu El último tren schrieb er mit dem spanischen Starautor Fernando Leon de Aranoa. Die Lateinamerika Nachrichten trafen den 37-Jährigen bei der Deutschlandpremiere seines Films und sprachen mit ihm über das Generationenverhältnis und die Solidarität in Lateinamerika.

Helen Rupp, Anna Schulte

Herr Diego Arsuaga, zeigt ihr Film eine wahre Geschichte?

Die Geschichte ist so nicht passiert. Aber die Herren von der Gesellschaft der Eisenbahnfreunde gibt es tatsächlich. Sie sind in Wirklichkeit aber noch viel verrückter, als ich sie im Film dargestellt habe. Als sie die für die Dreharbeiten restaurierte Dampflok besichtigen konnten, ging es zu wie auf einem Kindergartenausflug.

Sie scheinen sehr viel Sympathie für die alten Männer zu haben. Was verbindet Sie als junger Regisseur mit diesen Alten?

Erst einmal bin ich gar nicht mehr so jung! Aber es ist erstaunlich, jedes Mal, wenn ich mir eine Geschichte ausdenke, sind die Hauptfiguren, die dabei herauskommen, alte Menschen. Vielleicht liegt das daran, dass meine Großeltern mich sehr geprägt haben. Und die waren eben schon sehr alt. Montevideo wurde auch einmal von einem dänischen Regisseur als ‘Stadt, an der die Zukunft vorbeigegangen ist’ bezeichnet. Wahrscheinlich gibt es in mir auch irgendwie eine Sehnsucht nach der alten Zeit, in der es allen Menschen in Uruguay wirtschaftlich gut ging, und die ich selbst nicht mehr erlebt habe. Aber vielleicht kann man diese Sympathie auch gar nicht erklären, sie ist einfach da.

Ihr Film lässt sich an vielen Stellen politisch interpretieren. War das Ihre Absicht?

Ich finde es interessant, dass der Film in vielen Ländern sehr unterschiedlich interpretiert wird. Oft werden auch ganz verschiedene politische Aussagen wahrgenommen. In Brasilien beispielsweise hat man El último tren als Symbol für den Kampf des lateinamerikanischen Films gegen Hollywood verstanden. Ich denke, dass das Politische in meinem Film zu sehr an der Oberfläche bleibt, als dass man es als das zentrale Thema ansehen kann. Ich wollte auch gar keinen politischen Film machen. Dafür ist mir Politik oft gar nicht klar genug. Aber es könnte sogar sein, dass der Film am Ende politisch klarer ist, als ich es mir selbst bin.

Stellt der Film aber nicht vielleicht einen Protest gegen den Verkauf von staatlichem Eigentum dar?

Mir fällt es schwer, eine klare Position zum Thema Privatisierungen zu beziehen. Den Menschen in Argentinien zum Beispiel geht es nach der massiven Privatisierungspolitik so schlecht wie nie zuvor. In Brasilien hingegen hat der Verkauf von Staatseigentum nicht nur negative Folgen gehabt. Ich frage mich daher, ob die Privatisierung das Problem ist oder nicht vielmehr die Korruption den wirklichen Schaden anrichtet. Viele Länder haben einfach kein Geld – und das muss irgendwoher kommen: zum Beispiel aus einer Privatisierung. Wichtig ist am Ende vor allem die Frage, was mit diesem Geld geschieht?

Wie stellt sich denn dieses Problem in Uruguay dar?

Erst kürzlich hat in Uruguay ein Referendum stattgefunden, bei dem die Teilprivatisierung der staatlichen Ölgesellschaft abgelehnt wurde. Vor allem die Gewerkschaften und linke Abgeordnete haben bisher jegliche Privatisierung abgelehnt. Im Moment gilt es als nahezu sicher, dass am Jahresende der Kandidat der sozialistischen Partei zum Präsidenten gewählt wird. Und ich bin überzeugt, dass genau er es sein wird, der mit genau den Privatisierungen beginnen wird, die die Rechte bisher nicht durchsetzen konnte.

Hat es einen Zusammenhang gegeben zwischen dem Erscheinen Ihres Films in Uruguay und den Protesten gegen die Teilprivatisierung der Ölgesellschaft?

Nicht beabsichtigt. Es hat mich selbst überrascht, dass der Film für die Protestaktionen genutzt wurde. Eines Tages bekam ich ein Flugblatt in die Hand gedrückt, das El último tren als Protestfilm gegen die Privatisierung ankündigte.

Auch das Motto der Eisenbahnfreunde war dort zu lesen: „El patrimonio no se vende“ (Kulturerbe/Öffentliche Güter/Volkseigentum verkauft man nicht).
Stammt die Aussage von Ihnen?

Na ja, das Transparent mit diesem Spruch hing in meinem Film hinten an der Lokomotive. Die Wortwahl ist ziemlich veraltet. Die älteren Herren sind eben etwas in der Geschichte zurück geblieben. Das merkt man ja auch daran, wie sie im Film ihre Forderungen proklamieren.

Die Hauptdarsteller in Ihrem Film gehören drei Generationen an: Die älteren Herren von den Eisenbahnfreunden, der Unternehmer, der die Lok verkaufen will und der etwa 13-jährige Junge, der gemeinsam mit den Alten auf der gekaperten Lokomotive unterwegs ist. Inwiefern symbolisieren diese Charaktere die heutigen Generationen in Uruguay beziehungsweise in Lateinamerika?

Meiner Meinung nach unterscheiden sich diese drei Generationen in ihren Wertvorstellungen erheblich voneinander. In der Generation meiner Eltern wird man für das geachtet, was man ist. Meine Generation achtet sich für das, was man hat. Und für mich symbolisiert die Generation unserer Kinder, die Hoffnung auf eine Gesellschaft, deren Werte wieder humaner sind.

Werfen Sie der mittleren Generation vor, dass sie zu sehr auf materiellen Profit aus ist?

Ich selber gehöre ja auch dieser Generation an. Der Unternehmer im Film, der die Lokomotive in die USA verkaufen will, handelt nicht aus böser Absicht. Ich habe ihn auch nicht als schlechten Menschen dargestellt. Er steht für viele uruguayische Unternehmer heute, die durch ihre Geschäfte Arbeitsplätze schaffen und Devisen ins Land holen.
Dennoch gibt es auch einige unter uns, die nur an Profit denken. Es erschreckt mich immer wieder, dass in Uruguay Geld oft einen sehr viel höheren Stellenwert hat als Solidarität. Es war mir deshalb auch wichtig zu zeigen, dass sich die Menschen mit den Lok-Entführern solidarisieren.

Geht es tatsächlich um diese alte Lokomotive oder steht sie für etwas anderes?

Die Eisenbahn ist schon ein Symbol für die Verbindung zwischen kleinen verstreuten Dörfern in Uruguay. Aber im Grunde geht es nicht darum, wofür man kämpft. Den alten Männern ist die alte Lok wichtig, auch wenn es verrückt erscheinen mag. Aber eben das ist mir so wichtig: Es lohnt sich immer zu kämpfen – egal wofür. Als mein Film erschien, gab es in Lateinamerika scheinbar nichts, wofür zu kämpfen es sich gelohnt hätte. Ich hingegen glaube, dass es immer etwas gibt, für das man kämpfen kann. Das wollte ich in meinem Film deutlich machen.

Sehen Sie also die älteren Herren und den Jungen als Vertreter der beiden Generationen an, die kämpfen?

Die Generation meiner Eltern hat in ihrem Leben gekämpft, viele Männer waren im Krieg in Spanien. Und die Generation meiner Kinder wird auch wieder kämpfen. Ich bin mir sicher, dass meine Kinder, die heute zehn und sieben Jahre alt sind, in ihrem Leben noch eine Revolution mitmachen werden. Ich weiß nicht, wofür sie kämpfen werden, aber ich bin fest davon überzeugt, dass etwas passieren wird.

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