Literatur | Nummer 505/506 - Juli/August 2016

KAMPF GEGEN DIE GLEICHGÜLTIGKEIT

In Ich würde es wieder tun erzählen politische Gefangene Geschichten aus dem kolumbianischen Knast

Von Daniela Rivas

„In einer dunklen Welt, so wie die Nacht / vergehen die Tage, die Stunden, die Minuten…“, schreibt Manuela in dem Gedicht „Unter Uns“. „Was passiert, was geschieht mit dem Leben?“ fragt sie sich darin, „zwischen abgezäuntem Himmel / zwischen Mutlosigkeit und Qualen / zwischen Händen, die sich recken ohne Mäßigung / zwischen Frauen, die scheinbar Opfer des Lebens sind.“
In „Intakte Träume“, einem weiteren Text von Manuela in Ich würde es wieder tun – Texte aus dem Kolumbianischen Knast , erzählt sie, wie sie bereits in jungen Jahren ihre Lebensaufgabe im politischen Aktivismus fand. Sie berichtet über ihre Arbeit mit Arbeiter*innen, Bauern und Bäuerinnen, wie sie paramilitärische Gewalt und staatliche Repression immer wieder überlebte, bis sie schließlich mit 54 Jahren verhaftet wird.
Die Anthologie Ich würde es wieder tun – Texte aus dem Kolumbianischen Knast liefert einen eindrucksvollen persönlichen Blick auf den kolumbianischen Konflikt. Das Buch ist ein Produkt der Arbeit von REDHER (Red de Hermandad y Solidaridad de Colombia) sowie des Solidaritätskomitees CSPP (Comité de Solidaridad con Presos Políticos) und besteht aus 18 Texten von Frauen und Männern, die aus politischen Gründen inhaftiert worden sind. Durch diese Publikation, die auf Deutsch übersetzt wurde und im Juli und August in verschiedenen deutschen Städten vorgestellt wird, gewähren die Herausgeber*innen einen Einblick in die Gefängnisse Kolumbiens. Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen und versuchen, sie sichtbar zu machen. Beide Organisationen wollen mit diesem Buch dazu beitragen, die Geschichte von unten zu erzählen – was auch bedeutet, politische Gefangene zu Wort kommen zu lassen.
Denn das kolumbianische Gefängnis ist ein Ort des Grauens. Dort fehlt es an Nahrung, an Zugang zum Trinkwasser, an medizinischer Versorgung. Die massive Überbelegung von bis zu 500 Prozent begünstigt nicht nur die Ausbreitung von Seuchen, sondern auch von Konflikten. Besonders politische Gefangene werden unter unwürdigen Bedingungen weggesperrt, willkürliche Folter und jede Art von Misshandlungen sind an der Tagesordnung.
„Hier fühlt man die Einsamkeit und Traurigkeit der Personen, die mich umgeben und aus verschiedenen Gründen ihrer Freiheit beraubt sind. Obwohl wir unterschiedlich sind, sind wir doch fast alle hier aus einem Mangel an Möglichkeiten und Bildung, der uns verbindet. Wir leben in einer Gesellschaft der Ungleichheit, in der jede*r irgendwie überleben muss.“ schreibt Marisol in „Hinter Gittern“.
Mal mehr, mal weniger verraten die Autor*innen über sich und ihr Leben. Alle waren und sind in sozialen Bewegungen aktiv, oder in bewaffneten Organisationen, wie den Bewaffneten Revolutionären Streikkräften Kolumbiens (FARC) und der Nationale Befreiungsarmee (ELN). Es sind Gedichte, Geschichten und Zeugnisse des Lebens in Gefangenschaft, mit denen sie sich der Entpolitisierung ihrer Lebenswirklichkeiten widersetzen.
Kolumbien erlebt derweil einen historischen Moment: Nach 52 Jahren bewaffneten Widerstandes schweigen die Gewehre der FARC. In dieser Stille ist es nun Zeit, die Kugeln durch Worte zu ersetzten. Diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die sich wegen ihrer Erfahrungen mit der kolumbianischen Realität und ihrer Ideale linken Bewegungen oder Guerillas angeschlossen haben. Es gilt den Diskurs zu brechen, wonach Mitglieder linksgerichteter Organisationen wahlweise als Drogenhändler*innen, Entführer*innen oder Unterstützer*innen des Terrors gelten. Die gemeinsame Geschichtsschreibung ist die erste Voraussetzung, um die Ursachen des Konflikts zu überwinden. Wegzuschauen ist keine Alternative mehr. Es ist nun Zeit einen anderen Krieg zu gewinnen, einen gegen die Gleichgültigkeit.

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