Guatemala | Nummer 487 - Januar 2015

Kein Licht auf dem Land

Der Stromnetzausbau in Guatemala sorgt zunehmend für Proteste

Die guatemaltekische Regierung treibt die Stromversorgung der ländlichen Regionen voran. Größter Nutznießer sind Unternehmen, die Ressourcen abbauen, während viele Dörfer weiterhin keinen Zugang zum Stromnetz haben. Die Konflikte über die Nutzung kommunalen Landes durch die Energieunternehmen häufen sich.

Barbara Klitzke

Bis heute verfügen weite Teile der ländlichen, meist indigenen Bevölkerung Guatemalas über keinen Zugang zur Stromversorgung. Dabei waren die guatemaltekischen Regierungen in den letzten Jahren durchaus aktiv in der Energiepolitik. 2007 wurde das Elektrifizierungsgesetz reformiert, als Voraussetzung dafür, die nationale Energieinfrastruktur zu erweitern. Damit reagierte die Regierung vor allem auf die steigende Nachfrage der Industrie und des Bergbausektors. Im Jahr 2010 wurde das kolumbianische Unternehmen TRECSA beauftragt, die geplante Erweiterung des Stromnetzes in Guatemala zu realisieren.
Anfang 2013 zeigte sich jedoch, dass TRECSA mit dem Ausbau des Stromnetzes nicht wie geplant vorankam. Hauptgrund dafür war der Widerstand von betroffenen indigenen Gemeinden. Sie wehrten sich dagegen, ihr Land für den Stromnetzausbau zu verkaufen oder zu verpachten. Darauf reagierte die Regierung im März 2013 mit dem Erlass des Dekrets 145-2013: Das Programm zur Erweiterung des Stromnetzes und der ländlichen Stromversorgung wurde zur „nationalen Dringlichkeit“ erklärt. Sehr schnell kam von den indigenen Organisationen Kritik, dass die Bestimmungen des Dekrets effektiv das Recht auf Privatbesitz und kollektiven Besitz aushebeln würde. Tatsächlich beklagen sie, dass seit dem Erlass immer wieder Plünderungen und Übergriffe der Regierung und der Energieunternehmen auf kommunales Land und dessen natürliche Ressourcen stattfinden würden.
Besonders betroffen ist der Norden des Departements Quiché, wo das Militär in den 1980er Jahren zahlreiche Massaker an der indigenen Bevölkerung verübte. Hier sind mehrere Wasserkraftwerke und staatseigene Starkstromleitungen geplant, um den umliegenden Bergbaukonzernen, die für das Land Konzessionen erhalten haben, Strom für die Ausbeutung der Mineralien zu liefern. Diese Projekte dienen offiziell der Entwicklung der armen Gemeinden, doch davon ist bisher wenig zu sehen. Auf einem Treffen mit Repräsentant*innen der Firma TRECSA velangte daher ein junger Ixil Maya, dass sie der Gemeinde mehr als Almosen wie ein paar Wellbleche anbieten müssten, um das Wegerecht für ihre Starkstromleitungen durch ihr Land zu erhalten. So würden sie auch wirklich etwas zur Entwicklung beitragen und nicht nur davon reden. Tatsächlich spricht wenig dafür, dass die Gemeinden den zugesagten Strom von den Wasserkraftwerken und TRECSA, das ausschließlich für den Transport des Stroms zuständig ist, bekommen werden. Ein Beispiel für die unerfüllten Versprechen ist im Verwaltungsbezirk Chajul zu finden, in dessen Gebiet das Wasserkraftwerk Xacbal seit drei Jahren Strom erzeugt: Obwohl den naheliegenden Gemeinden Licht versprochen worden war, sind bis heute 80 Prozent von ihnen ohne Strom geblieben.
Die betroffenen Gemeinden in Quiché belassen es nicht bei passiven Forderungen. Unter dem Motto „Wenn das ganze Volk aufsteht, wird das Land erzittern“, haben sie sich organisiert, um sich über die Elektrifizierungspläne des Landes zu informieren und auszutauschen. In einer Versammlung konnten die Gemeinderepräsentant*innen ergründen, dass die Mehrheit der Gemeinden dem Unternehmen TRECSA kein Wegerecht erteilt oder Land verkauft hat. Zudem stellte sich heraus, dass es mehrere Einschüchterungs- und Verleumdungsversuche seitens des Unternehmens gegeben hatte, um die einzelnen Gemeinden zur Landvergabe zu bewegen. So hätten TRESCA-Repräsentant*innen gegenüber Einzelgemeinden fälschlicherweise behauptet, dass die Nachbargemeinden ihnen schon ein Wegerecht erteilt hätten und sie sich als einzige fehlende Gemeinde der nationalen Entwicklung und dem Wohlstand des Landes entgegenstellen würden. Einige andere Gemeinden hingegen sahen sich politisch und sozial gespalten, da sie Wegerechte erteilt hatten oder weil vereinzelt Land verkauft worden war. Verschiedene Bäuerinnen und Bauern sehen ihr Land für die Subsistenzwirtschaft in Gefahr: „Wo sollen wir unseren Mais pflanzen, wenn die Starkstromleitung genau durch unser Feld führt?“
Am 13. November 2013 reichten 27 Gemeinden aus elf Regionen eine Verfassungsklage gegen das Dekret 145-2013 ein, da es das Recht auf Privatbesitz und kollektiven Besitz aushebele. Auch sei das Dekret unter Umgehung des Parlaments ausschließlich vom Präsidenten und dem Ministerrat erlassen worden, was ein Verstoß gegen die in der Verfassung verankerten Prinzipien der Gewaltenteilung darstelle. Des Weiteren sei vor der Ausarbeitung des Dekrets die Konsultationspflicht gemäß der ILO-Konvention 169 verletzt worden, die von Guatemala 1996 ratifiziert wurde. Dieses besagt, dass die betroffenen indigenen Gemeinden durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen immer dann zu konsultieren sind, wenn gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie betreffen könnten, erwogen werden.
Immer mehr Teile der ländlichen Bevölkerung wehren sich gegen die Verletzung ihrer Grundrechte auf Information, Konsultation und Einbezug in die nationalen und lokalen Entwicklungspläne. Seit 2005 wurden in beinahe 80 Gemeinden Befragungen durchgeführt, um die Zustimmung der Bevölkerung zu Bergbau-, Strom- und anderen Megaprojekten zu erfassen. In den meisten Gemeinden haben über 90 Prozent der Bevölkerung die Durchführung solcher Megaprojekte abgelehnt.
Die gualtematekische Regierung zeigt allerdings kein Entgegenkommen. Im Gegenteil: Da der Stromnetzausbau aufgrund des Widerstands weiterhin nicht richtig vorankommt, wird derzeit im Parlament über die Vorlage zu einem Gesetz zum obligatorischen Nutzungsrecht beraten. Für den Ausbau des Stromnetzes würde das die Möglichkeit schaffen, Land, das sich im Privat- und Kollektivbesitz befindet, auch gegen den Willen seiner Besitzer*innen zu nutzen. Dies käme einer faktischen Enteignung und Verletzung der Gemeindeautonomie gleich.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren