Nummer 511 – Januar 2017 | Venezuela

KEINE LÖSUNG IN SICHT

Der gerade erst begonnene Dialog zwischen Regierung und Opposition steht schon wieder vor dem Aus

Innerhalb Venezuelas und auf internationaler Ebene setzten viele große Hoffnungen in die maßgeblich vom Vatikan vermittelten Gespräche. Nachdem Regierung und Teile der Opposition im November erste Übereinkünfte erzielen konnten, hapert es an der Umsetzung. Die Konfrontation könnte sich nun auf die Straße verlagern.

Von Tobias Lambert

Wer in Venezuela einkaufen geht, muss mittlerweile jede Menge Geduld mitbringen. Alternativen sind entweder, viel Zeit in einer Schlange zu verbringen oder rare Produkte zu horrenden Preisen auf dem informellen Markt zu erwerben. Schon um sich mit dem Nötigsten einzudecken, musste man zuletzt derart große Stapel an Geldscheinen auf den Tisch legen, dass laut Medienberichten manche Geschäfte bereits dazu übergegangen sind, das Papier zu wiegen, anstatt es zu zählen.
Für alle Venezolaner*innen, die mit Bargeld hantieren, ist es an sich also eine erfreuliche Nachricht, dass ab Mitte Dezember nach und nach neue Banknoten im Wert zwischen 500 und 20.000 Bolívares in Umlauf kommen sollen. Vor allem aber offenbaren die neuen Scheine den rasanten Wertverlust der Landeswährung. Nachdem sich der ohnehin schon hohe Schwarzmarktkurs in den vergangenen drei Monaten auf mehr als 4.100 Bolívares pro US-Dollar verdreifacht hat, entsprach die mit 100 Bolívares bisher höchste Banknote zuletzt umgerechnet gerade einmal noch 0,02 Dollar. Der niedrigste offizielle Kurs lag bei etwa 660 Bolívares pro Dollar.
Für das laufende Jahr rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einer Teuerungsrate von 700 Prozent und einer Schrumpfung der Wirtschaft um zehn Prozent. Selbst in den wirtschaftspolitisch neoliberalen und chaotischen 1990er Jahren hatte die Inflation in Venezuela nicht wesentlich über 100 Prozent gelegen. Eine Lösung für die strukturellen Probleme der venezolanischen Wirtschaft, ist durch die Ausgabe höherer Scheine aber ohnehin nicht zu erwarten: Sie hängt am Erdöltopf und ist durch festgelegte Wechselkurse und Preiskontrollen geprägt.
Laut Umfragen sieht die Mehrheit der Bevölkerung mittlerweile keinen anderen Ausweg aus der Krise als einen Regierungswechsel. Nachdem im Oktober das von der Opposition angestrebte Abberufungsreferendum gegen Präsident Nicolás Maduro gerichtlich gestoppt wurde (siehe LN 510), setzten viele Venezolaner*innen ihre Hoffnungen in den Mitte November begonnenen Dialog zwischen Regierung und Opposition. Doch dieser liegt bereits nach wenigen Wochen schon wieder auf Eis. „Wir werden uns in keine weitere Sitzung begeben, bevor es nicht Ergebnisse gibt“, stellte Jesús Torrealba, der Generalsekretär des rechten Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) am 7. Dezember klar. Einen Tag zuvor hätten eigentlich weitere Gespräche stattfinden sollen.
Bei den beiden ersten Treffen am 11. und 12. November hatten Vertreter*innen der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) und des MUD unter maßgeblicher Vermittlung des Vatikans eine Reihe von Übereinkünften erzielt. Demnach wollen die politischen Kontrahent*innen zusammenarbeiten, um die „Sabotage“ der venezolanischen Wirtschaft zu beenden und die Versorgungslage mit Lebensmitteln und Medikamenten zu verbessern. Die juristische Blockade der oppositionell dominierten Nationalversammlung soll überwunden werden. Dazu soll das Parlament die drei rechtswidrig vereidigten Abgeordneten, aus dem Bundesstaat Amazonas, wegen denen das Parlament nicht arbeiten kann, wieder ausgliedern. Ihnen war im Rahmen der Parlamentswahl im vergangenen Dezember Stimmenkauf vorgeworfen worden. Zudem wollen Regierung und Opposition sich gemeinsam über die Wahl von zwei der fünf Rektoren des Nationalen Wahlrates (CNE) verständigen, deren Amtszeit Anfang Dezember endete. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit in der Nationalver-*sammlung erreicht die Opposition ohne die drei Abgeordneten aus dem Staat Amazonas nicht. Laut dem MUD habe man sich zudem auf die Freilassung politischer Gefangener geeinigt und über die Forderung nach einem Abberufungsreferendum sowie möglichen Neuwahlen gesprochen. Beides streitet die Regierung allerdings ab.
Zwar haben die drei Abgeordneten mittlerweile tatsächlich zugestimmt, zurückzutreten. Das Oberste Gericht (TSJ) besteht aber auf die korrekte Einhaltung der Formalitäten innerhalb der Nationalversammlung, die für den Schritt vorgesehen sind. Somit bleibt es vorerst dabei, dass sich die politischen Gewalten gegenseitig nicht anerkennen. Auch die verbalen Angriffe dauern unvermindert an und lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Dialogs aufkommen.
Dass sich die Opposition so schnell wieder aus den Gesprächen zurückzieht, liegt aber auch daran, dass der Dialog intern hochumstritten ist. Voluntad Popular, die nach dem letzten Wahlergebnis viertgrößte Partei des MUD, lehnt jegliche Gespräche mit der Regierung ab. Unmittelbar nach Beginn des Dialogs bekräftigte die Partei des seit 2014 inhaftierten populären Politikers Leopoldo López, dass „einzig die Straßen und die Verteidigung der Verfassung durch die Nationalversammlung die Bedingungen schaffen werden, kurzfristig einen wirklichen Wandel zu erreichen“. Auch zahlreiche kleinere Parteien und Akteur*innen stellten sich gegen den Dialog und kritisierten, dass bei den ersten Treffen kein konkreter Wahltermin ausgehandelt wurde.
Offensichtlich krankt der Dialog schon an den unterschiedlichen Erwartungshaltung: Vielen der Regierungsgegner*innen geht es allein um einen baldigen Regierungswechsel. Die Regierung Maduro spielt hingegen auf Zeit, um sich bis zu den nächsten regulären Präsidentschaftswahlen im Dezember 2018 an der Macht zu halten. „Wir bleiben ganz 2017 und 2018 am Dialogtisch“, erklärte der Präsident Ende November.
Bisher hat die Opposition durch den Dialog tatsächlich nichts gewonnen. Solange die Regierungsgegner*innen in der Frage, wie ein Regierungswechsel zu erreichen ist, gespalten sind, hat die Regierung von dieser Seite keinen wachsenden Druck der Straße zu befürchten. Dabei reißen die schlechten Nachrichten nicht ab: Der Erdölpreis ist nach wie vor zu niedrig, um die staatlichen Ausgaben zu decken. Zwei Neffen von Cilia Flores, der Frau von Präsident Maduro, wurden im November in den USA wegen Drogenschmuggels schuldig gesprochen und belasten die venezolanische Regierung in Sachen Drogenhandel schwer. Und nicht zuletzt gerät die sogenannte Operation zur Befreiung der Bevölkerung (OLP), mit der die Regierung seit Mitte 2015 gegen das organisierte Verbrechen vorgeht, wegen extralegaler Tötungen immer wieder negativ in die Schlagzeilen. Zuletzt erschossen Militärs bei einem Einsatz in Barlovento im nördlichen Bundesstaat Miranda zwölf Jugendliche unter ungeklärten Umständen und verscharrten sie in Massengräbern.
Innerhalb Lateinamerikas ist die Regierung Maduro zudem immer isolierter. Der Gemeinsame Markt des Südens (Mercosur), dessen beide gewichtigste Mitgliedsstaaten Argentinien und Brasilien mittlerweile rechte Regierungen haben, schloss Venezuela Anfang Dezember vorläufig aus. Als Begründung hieß es, das Land habe bisher zu wenige der gemeinsamen Bestimmungen umgesetzt. Sollte der Dialog nun tatsächlich scheitern, könnte der rechte Flügel der Opposition Auftrieb erhalten. Für das Jahr 2017 verheißt das nichts Gutes für Venezuela.

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