Editorial | Nummer 483/484 - Sept./Okt. 2014

Keine Macht den Geiern

LN

Sie weiß die Bevölkerung hinter sich: Argentiniens Regierung. Nicht immer, aber immer in Sachen Geierfonds oder der Frage der Malvinas – in Fragen der nationalen Souveränität und Identität. Unmut über die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage bis hin zum Generalstreik Ende August hin oder her: Die kompromisslose Haltung der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner gegenüber den „Holdouts“ genannten Umschuldungsverweiger_innen kommt gut an. Kein Cent den als „Geierfonds“ titulierten Hedgefonds, keine Unterwerfung unter das Verdikt der US-amerikanischen Justiz. Buenos Aires fährt einen klaren Kurs. Mit Fug und Recht.
Zu Recht sieht das südamerikanische Land durch die US-amerikanische Justiz seine Souveränität verletzt, weil bis hin zum Obersten Verfassungsgericht in den USA einer Klage von Hedgefonds stattgegeben wurde, die jedem normalen Rechtsverständnis spottet: Stopp aller Überweisungen aller US-amerikanischen Banken im Auftrag Argentiniens, bis die US-amerikanischen „Geierfonds“ von Buenos Aires ihre Rendite von mehr als 1600 Prozent eingestrichen haben. Das entbehrt jeder Verhältnismäßigkeit.
Kein Wunder, dass die USA Argentiniens Vorstoß, die Causa vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu klären, postwendend abschlägig beschieden. Das Schlichtungsorgan der Vereinten Nationen hatte den Eingang der Klage Argentiniens zwar bestätigt, doch darf das Gericht laut seiner Statuten nur tätig werden, wenn sich beide Streithähne freiwillig ihrer Urteilssprechung unterwerfen. Die USA halten Den Haag in diesem Fall nicht für geeignet. Begründung: Fehlanzeige.
Die USA sind sich offenbar bewusst, dass ihr Justizsystem internationalen Standards nicht genügt. Ein Justizsystem, das dem Geschäftsmodell von „Geierfonds“ höchstrichterlich Absolution erteilt hat: Kaufen zum Schrottwert, Klagen auf den vollen Wert plus Zinsen. Im Falle Argentiniens wurden die Staatsanleihen von den Hedgefonds nach dem Bankrott 2002 zum Abschlagspreis von rund 15 Prozent des Nominalwerts im vollen Wissen gekauft, dass Argentinien nur durch Umschuldungen wieder ökonomisch lebensfähig werden würde. Eine tote Kuh lässt sich schließlich nicht mehr melken. Sobald die argentinische Wirtschaft sich auch dank der Umschuldungen erholt hatte, begaben sich die Geierfonds NML Capital und Aurelius auf den Klageweg in den USA.
Dort waren die Staatsanleihen von der neoliberalen Regierung Carlos Menems in den 90er Jahren ausgegeben worden, um den Investor_innen maximale Rechtssicherheit zu bieten. Quod erat demonstrandum: Das Urteil des Obersten Gerichtshofes in den USA im Juni hat nun festgeschrieben, dass Gläubiger_innen-Interessen ohne jede Pflicht auf ihrer Seite hundertprozentig Vorrang haben.
Das Urteil wird Folgen haben – ob ihm Argentinien irgendwann – zum Beispiel eine neue Regierung – noch Folge leistet oder nicht. Die gut 92 Prozent der Gläubiger_innen Argentiniens, die 2005 und 2010 einer Schuldenneustrukturierung zugestimmt hatten, werden daraus ebenso ihre Lehren ziehen wie auch die Käufer_innen von Staatsanleihen generell: Umschuldungsverweigerung ist zumindest auf der Basis von US-Recht ein lohnendes Geschäft, Verzicht auf Ansprüche ist dumm, die sozialen Kosten in den Schuldnerländern einerlei.
Argentiniens Fall zeigt einmal mehr, dass ein staatliches Insolvenzrecht überfällig ist. Die UNO-Vollversammlung sieht dies mit großer Mehrheit auch so und hat sich erst am 9. September mit 124 zu elf Stimmen für einen solchen Rechtsrahmen ausgesprochen. Die Gegenstimmen kamen unter anderem von den USA und Deutschland. Dabei könnte ein solches Verfahren einen gerechten Ausgleich zwischen dem Schuldnerland und seinen Gläubiger_innen herstellen und die Interessen der betroffenen Bevölkerung wahren. Wie in jedem privaten Insolvenzverfahren wären auch hierbei die Investor_innen angemessen an den Kosten für die Insolvenz beteiligt. Das Geschäftsmodell der Hedgefonds hätte darin freilich keinen Platz. Keine Macht den Geiern: ein lohnenswertes Ziel.

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