Argentinien | Nummer 430 - April 2010

Kleingeldkrise in Buenos Aires

Busunternehmen stehen im Verdacht Profit über den Schwarzmarkthandel mit Kleingeld zu erzielen

Den BürgerInnen der argentinischen Hauptstadt geht regelmäßig das Hartgeld aus und keiner versteht warum. Der Kampf um die Mangelware „Centavos“ bestimmt seit 2008 wie kaum etwas anderes den Tagesablauf der GroßstädterInnen. Die Umstände verbessern sich nur langsam.

Saara Wendisch

Mariano Moreno ist auf dem Weg zur Arbeit und das, obwohl es Sonntagnachmittag ist. Wie viele ArgentinierInnen ist er es gewöhnt, zwei Beschäftigungen nachzugehen. Neben seinem Job in einem Spezialitätenrestaurant arbeitet er am Wochenende in einem Altenheim. Der 27-Jährige läuft die Bahnhofstreppen des stets überfüllten U-Bahnhofs Constitución hinunter. Bei TouristInnen ist diese Gegend aufgrund der hohen Kriminalität eher unbeliebt. Normalerweise geht Mariano die 30 Minuten bis zu seiner Arbeit zu Fuß, anstatt zwei Stationen mit der U-Bahn zu fahren. 90 Centavos (ca. 15 Cent) kostet die Fahrt je Richtung. „Geld, das ich lieber spare“, wie der junge Mann mit den tätowierten Oberarmen verlegen eingesteht. Doch heute kann er es sich durch einen ungewöhnlichen Zustand doch leisten. Denn die Fahrt mit der U-Bahn ist kostenlos. Heute heißt es: „No hay cambio“ – Kein Wechselgeld! Die Sicherheitsmänner, die den Bahnhof bewachen, winken ihn durch die Drehschranken. „So ein Pech aber auch“, sagt Mariano. Grinsend schiebt er seinen durchtrainierten Körper durch das Drehkreuz.
Was für Mariano von Vorteil ist, ist für die Bettlerin neben ihm ein vermiestes Tagesgeschäft. Die junge Frau mit den zerrissenen Klamotten stellt sich sonst jeden Tag mit ihrem Säugling im Arm direkt neben den Ticketschalter und hofft auf das Wechselgeld der Fahrgäste ab. Heute steht die Bettlerin auf dem Bahnsteig und fragt Mariano nach Kleingeld. „Ich habe leider keine Münzen“, entschuldigt sich Mariano bei ihr. Auch Mariano geht es finanziell nicht besonders gut. Man sieht es ihm aufgrund seiner stilbewussten Kleidung nicht an. Doch dann erzählt er, dass er seit zwei Monaten sparen muss, um endlich zum Zahnarzt gehen zu können. Er öffnet seinen Mund und ganz hinten sieht man ein daumenbreites Loch.
Während er in den Zug steigt, gesteht er flüsternd, dass er in Wirklichkeit doch noch ein paar Münzen hat, aber die hortet er lieber, wie jeder andere in Buenos Aires es auch tut. Er braucht sein Kleingeld für später. Nach der Arbeit will er seinen Bruder besuchen, der im Norden der Stadt wohnt. Im Bus muss er passend bezahlen, da gibt es keine Ausnahme. Im fehlt noch das Geld zum Umsteigen und für die Rückfahrt. Insgesamt weniger als drei Peso. Aber er braucht Münzen.
Wie er die bekommen soll, weiß er noch nicht, aber dem 12-jährigen Jungen, der so charmant wie möglich versucht, einige Süßigkeiten in der U-Bahn zu verkaufen, wird er deshalb seine letzten Centavos erst recht nicht geben können.
Spätestens als 2008 das erste Mal die Ticketschalter der U-Bahn wegen fehlendem Wechselgeld schließen mussten, sprach man in Buenos Aires nicht mehr nur von Kleingeldmangel – als Kleingeldkrise (crisis de monedas) fassten die BewohnerInnen und Zeitungen die Situation auf.
Doch wie kann das eigentlich sein? Laut der argentinischen Zentralbank ist und war jederzeit genügend Hartgeld im Umlauf. Mindestens 125 Münzen müsste es für jedeN ArgentinierIn geben. Die Banken und die Regierung schieben die Ursache für den Kleingeldmangel auf den Handel mit Münzen. Und tatsächlich, am Busbahnhof Retiro stehen die Menschen jeden Morgen in einer nicht enden wollenden Warteschlange, um Hartgeld zu kaufen. Für 110 Peso in Scheinen gibt es 100 Peso Kleingeld. Dieses Geschäft läuft so gut, weil selbst die Banken häufig keine Münzen herausgeben. Dabei sind sie laut Gesetz dazu verpflichtet 20 Peso pro Person in Münzgeld zu wechseln. Da Ladenbesitzer auf ihr Wechselgeld angewiesen sind, bezahlen sie lieber den erhöhten Preis beim Händler, anstatt ganz auf ihren Umsatz zu verzichten.
Vermutet wird, dass insbesondere die Busunternehmen den Münzhandel zu verantworten haben. Sie sind die Einzigen, die genügend Hartgeld bekommen. Die „Colectivos“, wie die Busse in Argentinien genannt werden, sind das wichtigste Verkehrsmittel in Buenos Aires. Rund 300 Buslinien verbinden die 48 Stadtviertel. Besonders in den äußeren Bezirken sind die Menschen auf die Busse als Fortbewegungsmittel angewiesen, die U-Bahn fährt nur im Stadtzentrum. Tickets gibt es an einem Automaten neben dem Fahrer und dieser schluckte bis jetzt nur Münzen.
Das gesammelte Hartgeld sollten die Busunternehmen eigentlich an die Banken zurückgeben, damit es auf diesen Weg wieder in den Geldkreislauf zurückgelangt. Doch das taten die Busunternehmen nicht immer. Die staatliche Justiz ermittelt bereits gegen eines der Busunternehmen, das im Verdacht steht, illegal mit Münzen zu handeln. Ein Urteil wurde noch nicht gefällt.
2009 schaltete sich die argentinische Präsidentin höchstpersönlich in die Debatte ein. Cristina Fernández de Kirchner forderte, dass die privaten Busunternehmen ein einheitliches Chipkartensystem für die Bezahlung entwickeln sollten. Doch die Umsetzung ließ lange auf sich warten. Erst seit diesem Jahr gibt es einige Buslinien, für deren Nutzung mit einer Magnetkarte bezahlt werden kann.
Laut Mariano sind es noch viel zu wenig. In dem Bus, welchen er am Abend benutzen muss, kann er nur mit den passenden 90 Centavos einsteigen. „Was wir brauchen ist ein universelless Bezahlsystem für alle Busse und die U-Bahn“, sagt er. Denn er möchte nicht immerzu mehrere verschiedene Chipkarten mit sich herumtragen.
Warum eine Umsetzung so schwierig ist, liegt an den Einzelinteressen der verschiedenen Buslinien. Es gebe zu viele verschiedene Busunternehmen in der Stadt, heißt es. Dazu hat die Privatisierung der einzelnen Busunternehmen geführt.
Den Busunternehmen wird außerdem vorgeworfen, dass sie sich gerade wegen des zusätzlichen Profits, den sie über den Schwarzmarkt­handel mit Kleingeld erzielen, immer noch gegen ein Chipkartensystem wehren.
Mariano steigt aus der U-Bahn und läuft die Avenida 9 de Julio entlang. Während auf der zwanzigspurigen Straße neben ihm unzählige Autos vorbeibrausen, stoppt Mariano an einem Kiosk. Obwohl er genau weiß, dass sie ihm auch hier seinen fünf Peso Schein nicht wechseln werden, kauft er in der Hoffnung auf etwas Kleingeld eine Zeitung, die er eigentlich gar nicht haben will. Doch der Kioskbesitzer will ihm das Wechselgeld lieber in Bonbons oder Kaugummis zurückzahlen, anstatt seine letzten kostbaren Münzen loszuwerden. Mariano, der diese gängige Tauschtaktik mittlerweile satt ist, lehnt dankend ab und verzichtet lieber auf die Zeitung. „Ich bin aber nicht sauer“, betont er. Arm dran ist für ihn der Kioskverkäufer, weil er ständig auf seinen Umsatz verzichten muss, nur weil ihm mal wieder das Wechselgeld ausgegangen ist.
Auch Mariano hat von dem Gerücht über die Kleingeldmafia gehört. Die nicht nur mit Münzen handelt, sondern sie auch einschmelzen lässt, da der Metallwert aufgrund der starken Inflation den Wert der argentinischen Centavos übersteigt. Ob das wirklich wahr ist, kann Mariano nicht beurteilen, doch auch die argentinischen Zeitungen schreiben darüber. Ob das seit diesem Jahr anlaufende Chipkartensystem die Lösung für die Münzarmut sein wird, bleibt zu hoffen.
Für einige Menschen in Buenos Aires ist der Mangel an Hartgeld nicht tragisch. Sie steigen einfach in ein Taxi, wenn sie nicht Busfahren können. Nicht so StraßenmusikerInnen, BettlerInnen und KioskbesitzerInnen. Für sie bildet das Münzgeld ihre Lebensgrundlage. Und auch Mariano weiß noch immer nicht, wie er genügend Münzen für die Fahrt zu seinem Bruder zusammenbekommen soll.

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