Mexiko | Nummer 429 - März 2010

Konservativer Rollback

In 18 mexikanischen Bundesstaaten gefährden Gesetzesreformen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über den eigenen Körper

Während in Mexiko-Stadt eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Lateinamerikas gilt, haben zahlreiche Bundesstaaten ihre Gesetzgebung verschärft. FrauenrechtlerInnen befürchten verheerende Folgen. In marginalisierten Bundesstaaten wie Chiapas ist die Lage besonders prekär.

Miriam Trzeciak

„Schwanger? Du kannst entscheiden, das Recht ist auf deiner Seite“, verkünden Schilder in der Metro von Mexiko-Stadt, auf denen eine gestresste Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm bei der Hausarbeit oder ein Mädchen bei ihrer quinceañera, dem traditionellen Fest zum 15. Geburtstag, zu sehen sind.
Seit das Parlament Mexiko-Stadts – hier lebt immerhin gut ein Fünftel der mexikanischen Bevölkerung – im Frühjahr 2007 das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche durchsetzte, zählt die regionale Gesetzgebung hinsichtlich der Rechte auf reproduktive Gesundheit von Frauen zu einer der liberalsten in Lateinamerika. Da der Eingriff in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos durchgeführt werden kann, ist der Zugang zu einer medizinisch sicheren Abtreibung unproblematischer als in den USA oder großen Teilen Europas. So ist etwa in Deutschland die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches tatsächlich noch illegal. Nur unter Einhaltung diskriminierender Bedingungen gehen Frauen, die abgetrieben haben, straffrei aus.
Von der progressiven Rechtssprechung in der mexikanischen Hauptstadt erhofften sich Frauen- und Gesundheitsorganisationen positive Impulse für die problematische Situation in weiteren Teilen des Landes. Im übrigen Mexiko ist die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch je nach Bundesstaat unterschiedlich geregelt.
Allerdings werden die progressiven Bestimmungen von Mexiko-Stadt im innermexikanischen Vergleich eine Ausnahme bleiben. Schon bei ihrer Verabschiedung hatten diese für heftige Kontroversen gesorgt und erzkonservative Gruppen, angeführt von VertreterInnen der katholischen Kirche sowie Abgeordneten der Parteien PAN (Partei der Nationalen Aktion) und PRI (Revolutionäre Instiutionelle Partei), auf den Plan gerufen. Verfolgt die PAN seit jeher einen ultra-rechtskonservativen Diskurs, hatte sich die PRI bis in die 1980er Jahre noch für eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes eingesetzt. Ihr Sinnerswandel erklärt sich vor allem damit, dass sich die PRI von einer Allianz mit der katholischen Kirche Wählerstimmen für die Wahlen 2012 erhofft. Allerdings ist dieses Thema in der PRI nicht unumstrittenen, einige weibliche Abgeordenete haben sich gegen eine Verschärfung ausgesprochen.
Um eine Entkriminalisierung sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene zu verhindern, sind auf Initiative reaktionärer Kräfte die zuvor wenig beachteten Gesetzesgebungen zum Schwangerschaftsabbruch in den einzelnen Bundesstaaten zunehmend untersucht und schließlich modifiziert worden. So wurden in den letzten Jahren in 18 von 32 Bundesstaaten Gesetze erlassen, die das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über den eigenen Körper massiv bedrohen.
Zuletzt hatte am 18. Dezember des vergangenen Jahres der Kongress des südmexikanischen Bundesstaats Chiapas einstimmig den Artikel 4 der landeseigenen Verfassung geändert. Die Gesetzgebung wurde dahingehend modifiziert, dass die betroffene Person künftig zwar nicht mehr mit einer Gefängnisstrafe belangt wird. Dafür muss sie sich aber einer psychologischen Behandlung unterziehen, in der ihr „die menschlichen Werte der Mutterschaft“ näher gebracht werden sollen. Frauenorganiosationen kritisieren, dass Frauen, die sich für die Abtreibung entschlossen haben, damit in die Nähe psychisch Kranker gerückt werden. Gefängnisstrafen drohen aber weiterhin ÄrztInnen, medizinischem Personal oder Personen, welche die Eingriffe durchführen oder die schwangere Person zu einem solchen überzeugen.
AktivistInnen für sexuelle und reproduktive Rechte bezeichneten die Reform als getarntes Antiabtreibungsgesetz, welches Embryonen mehr Rechte einräume als Frauen. Denn in Artikel 4 wird nun das ungeborene Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod zum eigenständigen Rechtssubjekt deklariert. Demgemäß gilt jeglicher Fall von Abtreibung künftig als Mord. Nur bei Vergewaltigungen, schweren Missbildungen des Kindes oder ernsthafter Lebensgefahr für die Mutter sollen die betroffenen Personen straffrei ausgehen. Durch die Kriminalisierung des medizinischen Fachpersonals sowie der UnterstützerInnen eines Schwangerschaftsabbruches wird der ohnehin prekäre Zugang zu einer medizinisch sicheren Versorgung unmöglich gemacht. Die Umsetzung der nach den Maximen der katholischen Kirche lancierten Gesetzesinitiative werde zu einem Anstieg von Müttersterblichkeit und geschlechtsspezifischer Gewalt führen, so die AktivistInnen weiter.
Der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung ist in dem zu den ärmsten zählenden Bundesstaat Mexikos als äußerst prekär einzuschätzen. Insbesondere indigene und ökonomisch marginalisierte Frauen sind von den Folgen des maroden Gesundheitssystems betroffen. So weist Chiapas im landesweiten Vergleich eine der höchsten Raten an Müttersterblichkeit auf. Laut Statistik sterben 117 Frauen bei 100.000 Geburten, wobei mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet werden muss. Neben dem mangelnden Zugang zu gesundheitlicher Versorgung liegen die Gründe hierfür in Mangelernährung, häuslicher Gewalt, ungewollten Schwangerschaften und unprofessionell durchgeführten Abtreibungen.
Hierzu zählt der traurige Fall der 30-jährigen Chol-Indigenen María Arcos Jiménez aus San José Mariscal Subicuski aus dem Gemeindebezirk Tila, der sich am 4. Februar 2008 ereignete. Wie das in San Cristobal de las Casas ansässige Centro de Derechos de la Mujer (Frauenrechtszentrum) berichtete, suchte die schwangere Mutter von fünf Kindern in Begleitung ihrer Eltern in den Abendstunden das nächstliegende Krankenhaus auf, weil sie in den Wehen lag. Da es sich um einen komplizierten Fall handelte, den die Einrichtung nicht behandeln konnte, wurde sie als Notfall in das Krankenhaus des eine Stunde entfernt liegenden Bezirk Yajalón geschickt. Doch auch hier konnte Arcos keine Hilfe finden. Da sie nicht über den Versicherungsschutz des Seguro Popular und das Krankenhaus über kein kompetentes chirurgisches Personal verfügte, wurde sie in ein zwei Stunden entferntes Krankenhaus nach Ocosingo verlegt. Auch hier wurde Arcos nicht behandelt und weiter in das drei Stunden entfernte Krankenhaus nach Palenque gebracht. Wegen des mangelnden Versicherungsschutzes wurde sie in Palenque nur unter der Bedingung empfangen, als letzte Person behandelt zu werden. Die viel zu lange Wartezeit führte schließlich zum Tod der Frau und ihres ungeborenen Kindes.
Wie das Frauenrechtszentrum auf seiner Homepage deutlich macht, stellt die hier beschriebene Begebenheit in Chiapas keinen Einzelfall dar: „Der Fall von María Arcos Jiménez ist ein Beispiel der Diskriminierung beim Zugang zu gesundheitlicher Betreuung aufgrund ihrer ökonomischen Situation.”
An der unterschiedlichen juristischen Situation im Land werden zudem die klientelistische Orientierung, beziehungsweise die patriarchalen Tendenzen innerhalb des gesamten mexikanischen Parteiensystems deutlich, welche die Einhaltung der Frauenrechte entscheidend behindern.
Hatten die Abgeordneten der im landesweiten Vergleich als eher linksliberal geltenden Partei der demokratischen Revolution (PRD) sich vor zwei Jahren noch für die Stärkung reproduktiver Rechte von Frauen in Mexiko-Stadt eingesetzt, forcierten Mitglieder derselben Partei vor zwei Monaten in Chiapas die frauenfeindliche Initiative. Als Hintergrund für die Abweichungen der PRD von der landesweiten Linie sind unter anderem die Vetternwirtschaft und blanke Machtorientierung im chiapanekischen Parteiensystem zu sehen. So war der amtierende Gouverneur Juan Sabines Guerrero noch bis 2006 führender Funktionär der PRI. Aufgrund geringer Chancen seiner Kandidatur wechselte er allerdings kurz vor den Wahlen im gleichen Jahr zur PRD.
Die nationale Führung der PRD verurteilte die Modifizierungen der chiapanekischen Verfassung als eine trügerische Simulation, die allein dazu diene, sich mit der katholischen Kirche gut zu stellen. Hortensia Aragón Castillo, Generalsekretärin der PRD, bezeichnete die Reform als Rückschritt, und schloss sich der Kritik an, dass dadurch Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheiden, als psychisch krank stigmatisiert werden.
Bezüglich der Abtreibungsgesetzgebung gelten in den Bundesstaaten Baja California, Campeche, Chihuahua, Colima, Durango, Guanajuato, Jalisco, Morelos, Nayarit, Oaxaca, Puebla, Quintana Roo, Querétaro, San Luis Potosí, Sonora, Veracruz und Yucatán ähnliche Bestimmungen wie in Chiapas.
Bis dato steht der Hauptstadtdistrikt mit seiner progressiven Gesetzgebung, die das Recht auf Selbstbestimmung für den eigenen Körper sichert, alleine auf weiter Flur. Da sich nur wenige Frauen die Reise- und Unterbringungskosten für einen Eingriff in Mexiko-Stadt leisten können, kommt das Gesetz vor allem ökonomisch und sozial gut situierten Frauen zugute.
In einem Kontext wie Chiapas sind die Folgen der Kriminalisierung von Abtreibung aufgrund des katastrophalen Zugangs zu medizinischen Leistungen als besonders heftig einzuschätzen.
FrauenrechtlerInnen und VertreterInnen von sozialen Organisationen mobilisieren für die Einhaltung und Gewährleistung sexueller und reproduktiver Rechte. Am 5. Februar organisierten AktivistInnen im ganzen Land einen Aktionstag. In zahlreichen Aktionen und Protestmärschen forderten sie die Kommission für Gleichheit und Geschlecht der Abgeordnetenkammer auf, sich des Themas anzunehmen. Sie stellten klar, dass die Bestimmungen in den 18 Bundesstaaten eine klare Verletzung des Menschenrechts auf Zugang zu Gesundheit, des Rechts auf Nicht-Diskriminierung, auf die Freiheit des Bewusstseins, sowie auf reproduktive und sexuelle Autonomie von Frauen bedeuten.

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