Brasilien | Nummer 404 - Februar 2008

Krieg im Genfeld

Sicherheitskräfte des Schweizer Agrochemiekonzerns Syngenta töten Anführer der Landlosenbewegung MST. Ermittlungen gegen Konzern und AktivistInnen

Landnutzungskonflikte gehören aufgrund der extrem ungleichen Landverteilung in Brasilien zum Alltag. Einem Heer von landlosen LandarbeiterInnen stehen einige wenige GroßgrundbesitzerInnen gegenüber, die scheinbar willkürlich mit Recht und Gesetz umgehen dürfen. Ein Überfall auf eine Gruppe von LandbesetzerInnen durch eine Sicherheitsfirma des Schweizer Großkonzerns Syngenta im Oktober 2007 zeigt, dass auch multinationale Konzerne auf die brutalen Methoden der GroßgrundbesitzerInnen zurückgreifen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Sicherheitsfirma – jedoch auch gegen die AktivistInnen der Landlosenbewegung.

Sven Hilbig

Am frühen Morgen des 21. Oktober 2007 besetzten annähernd 150 LandarbeiterInnen der beiden Landlosenbewegungen Movimento de Trabalhadores Rurais Sem Terra MST und Vía Campesina friedlich das in der Gemeinde Santa Tereza do Oeste im Bundesstaat Paraná gelegene Versuchscamp des Schweizer Chemieunternehmens Syngenta. Nachdem es den LandarbeiterInnen gelungen war, die vier anwesenden Sicherheitskräfte der Firma NF zu entwaffnen, verließen diese das Gelände.
Wenige Stunden später erschien ein Omnibus vor dem Eingangstor des Versuchscamps. 40 schwer bewaffnete Männer der Sicherheitsfirma stiegen aus dem Bus und stürmten das Gelände. Aus nächster Nähe erschossen sie den 42 Jahre alten MST-Anführer Valmir Motta de Oliveira. Die Hinrichtung der Landarbeiterin Izabel Nascimento de Souza schlug zwar fehl, doch die Kugel durchschlug ein Auge des Opfers und verletzte die Frau schwer. Der Wachmann Fábio Ferreira starb im Kugelhagel der „Sicherheitskräfte“. Insgesamt kamen zwei Menschen ums Leben, acht wurden schwer verletzt.
Vorausgegangen war dem Scharmützel ein Konflikt zwischen den landlosen LanderarbeiterInnen und Syngenta, der sich schon seit Anfang 2006 hinzieht. Damals begann die Schweizer Firma auf ihrem 127 Hektar großen Grundstück zu Forschungszwecken genetisch manipuliertes Getreide anzubauen. Durch dieses Vorgehen brach sie das bestehende brasilianisches Recht, denn das Versuchsfeld liegt nur sechs Kilometer vom weltbekannten, unter Naturschutz stehenden Iguaçu Nationalpark entfernt. Die Pufferzone, innerhalb derer keine genetisch veränderten Pflanzen angebaut werden dürfen, liegt aber bei zehn Kilometern. Die staatliche Umweltbehörde IBAMA untersagte Syngenta deswegen im Februar 2006 die weitere Nutzung des Versuchsgeländes und verhängte ein Bußgeld in Höhe von umgerechnet etwa 400.000 Euro. Der Chemiekonzern allerdings ignorierte die Anweisungen und hat bisher auch die Strafzahlung nicht geleistet.
Als die Landlosenbewegungen MST und Vía Campesina im März 2006 durch die Besetzung des Versuchsgeländes auf die illegale Unternehmenspraxis aufmerksam machen wollten, begann die Auseinandersetzung. 150 LandarbeiterInnenfamilien errichteten damals ein Zeltlager auf dem Syngenta-Gelände, mussten aber nach einer 13-monatigen Besetzung die Pflanzungen wieder verlassen, da ein Amtsgericht die von Syngenta beantragte Räumung für rechtens erklärt hatte.
Die Familien verließen daraufhin das Camp. Als sich Syngenta dem Anbauverbot weiterhin nicht beugte, besetzten sie im Oktober 2007 erneut die Versuchsfelder. Daraufhin kam es zur brutalen Räumung durch das „Sicherheitsunternehmen“.
Es war nicht das erste Mal, dass NF, das seit Juli 2007 bei Syngenta unter Vertrag steht, durch gesetzeswidriges Verhalten und Nötigungen auffällt. Bei der Sicherheitsfirma, deren Initialen vom Namen des Eigentümers Nerci de Freitas stammen, handelt es sich um eine in der Region bekannte Miliz. Seit dem Frühjahr 2007 wurde NF insbesondere von der Bewegung ländlicher Produzentinnen – einem Zusammenschluss von GroßgrundbesitzerInnen – bezahlt, um Landarbeiterfamilien von ihren Besetzungen zu vertreiben. Zur Not auch durch massive Einschüchterung und Gewalt.
Bei einer Hausdurchsuchung im September 2007 beschlagnahmte die brasilianische Bundespolizei in den Räumen von NF illegale Waffen und Munition und verhaftete die Direktorin der Firma, Maria de Freitas. Der Eigentümer hingegen konnte fliehen. In dem anschließenden Polizeibericht stand: „Die Mehrzahl der von der Firma NF unter Vertrag genommenen Personen hat weder die Fähigkeit noch die Erlaubnis, um in einer privaten Sicherheitsfirma tätig zu sein.“ Trotz der polizeilichen Ermittlungsergebnisse kündigte Syngenta den Vertrag mit NF nicht.
Seit Ende vergangenen Jahres scheint sich nun das Blatt doch noch gegen NF zu wenden. Denn der tödliche Überfall auf die Landarbeiterfamilien und deren Anführer rief in Brasilien – aber auch international – einen Aufschrei der Empörung hervor. Landlosenbewegungen und Menschenrechtsorganisationen wandten sich an den Gouverneur von Paraná, die brasilianische Bundesregierung und die Vereinten Nationen.
Ende November 2007 forderte die ermittelnde Polizei die Staatsanwaltschaft auf, Nerci Freitas und neun seiner Mitarbeiter wegen Mordes, versuchten Mordes und Bandenbildung anzuklagen. Im Dezember erhob die Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen acht Sicherheitskräfte. Dem Eigentümer der Sicherheitsfirma, Nerci Freitas, sowie dem Präsidenten des Farmerverbandes Sociedade Rural do Oeste do Paraná, Alessandro Meneghel, wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Unterdrückung sozialer Bewegungen vorgeworfen. Gleichzeitig hat die Staatsanwaltschaft allerdings auch Anklage gegen acht Mitglieder der Vía Campesina erhoben. Unter ihnen ist auch die während des Angriffs schwer verletzte Izabel Maria do Nascimento de Souza. Die Staatsanwaltschaft argumentiert, mit der Besetzung hätten sie Gefahr für Leib und Leben billigend in Kauf genommen. Desweiteren erhebt sie den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel des Landraubes.
Für Darci Frigo, Koordinator der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Terra de Direitos aus Paraná, sind die Anklagen gegen die LandbesetzerInnen illegal und substanzlos, da die Gewalt von einer paramilitärischen Gruppe ausging, deren Opfer die Mitglieder sozialer Bewegungen in der Region sind. „Einige Repräsentanten der Staatsanwaltschaft haben offensichtlich immer noch ein gebrochenes Verhältnis zum demokratischen Rechtsstaat.“ Dies zeige sich nun deutlich in dem Versuch, „die Aktionen der sozialen Bewegungen zu kriminalisieren“, ergänzt Frigo.
Indessen versucht Syngenta, gegen die Entscheidung der Umweltbehörde, die Nutzungserlaubnis für das Versuchsgelände zu entziehen, gerichtlich vorzugehen, um ihre Feldversuche von genetisch manipuliertem Getreide fortsetzen zu können.

KASTEN:

Das Unternehmen Syngenta

wurde 2000 durch den Zusammenschluss von AstraZeneca und Novartis, das seinerseits 1996 aus der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz entstanden war, neu gegründet. Mit einem Jahresumsatz von 8,1 Milliarden US-Dollar und weltweit 21.000 Beschäftigten gehört das Schweizer Unternehmen zu den führenden transnationalen Saatgut- und Agrarkonzernen. 800 Millionen US-Dollar investiert das Unternehmen jährlich in die Erforschung und Entwicklung von genmanipuliertem Saatgut und neuen Pflanzenschutzmitteln. Syngenta produziert unter anderem das hochtoxische Herbizid Paraquat, das weltweit jährlich tausende PlantagenarbeiterInnen und Kleinbauern und -bäuerinnen vergiftet. 2007 hat der Europäische Gerichtshof in erster Instanz die Verwendung von Paraquat verboten. In vielen Ländern des Südens ist es jedoch noch erlaubt. Der weltweiten Kampagne „Stopp Paraquat“ haben sich über 34.000 Personen und Organisationen angeschlossen.
Im für die Corporate-Responsibility-Grundsätze entwickelten Verhaltenskodex von Syngenta heißt es: „Für Syngenta ist der Schutz der Umwelt sowie der Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch anderer Personen, die von den Aktivitäten von Syngenta betroffen sein könnten, ein wichtiges Anliegen.“ Die Einhaltung der Menschenrechte gehört ebenfalls zur offiziellen Firmenpolitik. Sind diese Unternehmensgrundsätze mit den Vorfällen in Santa Tereza do Oeste vereinbar?

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