Kuba | Nummer 435/436 - Sept./Okt. 2010

Kuba verschafft sich Luft

Freilassung von politischen Gefangenen bringt die USA in Zugzwang

Die kubanische Regierung hat im Juli mit der Freilassung von 52 politischen Gefangenen begonnen. Das könnte auch wieder Bewegung in die US-amerikanisch-kubanischen Beziehungen bringen. Gewisse Anzeichen gibt es: Im August wurde mit Daniel Erikson ein Kritiker der bisherigen Kuba-Politik zum Chefberater in der Sektion Westliche Hemisphäre im Außenministerium ernannt. Auch neue Reiseerleichterungen sollen in Vorbereitung sein. Eine generelle Entspannung oder gar eine Aufhebung des Embargos sind derweil nicht in Sicht.

Andreas Knobloch

Die Bedingungen sind bekannt: Die USA haben seit jeher eine Neuausrichtung ihrer Kuba-Politik vom „Ende der Unterdrückung, der sofortigen und bedingungslosen Freiheit für alle politischen Gefangenen auf Kuba und der Respektierung der Grundrechte des kubanischen Volkes“ abhängig gemacht. Seit seinem Amtsantritt hat US-Präsident Barack Obama wiederholt seine Bereitschaft zu einem Neuanfang bekräftigt. Eine Vorlage dazu hat er jetzt bekommen. Auf Vermittlung des spanischen Außenministers Miguel Angel Moratinos hat sich die kubanische Regierung im Juli bereiterklärt, bis spätestens zum Jahresende 52 politische Häftlinge freizulassen. Moratinos hat zugesagt, dass sein Land alle freigelassenen Häftlinge aufnimmt und die ersten sind längst in Spanien eingetroffen.
Die freikommenden Gefangenen gehören zu jener Gruppe von 75 DissidentInnen, die im Rahmen des „Schwarzen Frühlings“, einer Verhaftungswelle von 90 Regimekritikern im März 2003, zu Haftstrafen von 20 Jahren oder mehr verurteilt worden waren. Mit den Freilassungen lässt Kuba, wie auch schon in der Vergangenheit praktiziert, innenpolitisch Druck ab. Die Verschickung der DissidentInnen ins Exil bedeutet einen gewaltigen personellen Aderlass für die ohnehin kleine Opposition. Zudem beraubt sie den seit sieben Jahren demonstrierenden „Damen in Weiß“, wie die allsonntaglich in weiß gekleideten durch Havanna ziehenden Frauen der Inhaftierten gennant werden, die „Existenzgrundlage“. Ihr Faustpfand, der Dissident Guillermo Fariñas, beendete nach der Entscheidung Havannas außerdem seinen 135-tägigen Hungerstreik. ”Diese Konfrontation hat keine Gewinner oder Verlierer, nur Kuba, unser Volk, hat gewonnen”, rief er in einer Erklärung seinen Anhängern durch das Fenster eines Krankenhauses in der Stadt Santa Clara zu.
Während die kubanische Regierung ihr internationales Ansehen aufbügelt, steht die Opposition vor einer ungewissen Zukunft. Denn die Freilassung der Gefangenen wurde an ihr vorbei mit der katholischen Kirche verhandelt, deren Rolle damit überraschend aufgewertet wurde.
Die Regierung Castro erhofft sich angesichts der tiefen Wirtschaftskrise und Devisenknappheit, die Kuba an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht hat, wohl vor allem eine weitere Aufweichung der Wirtschaftssanktionen seitens der USA. Zwar hat die US-Regierung eine kurzfristige Änderung ihrer Haltung mit Verweis auf die weiterhin bestehende drakonische Gesetzgebung auf Kuba ausgeschlossen; Außenministerin Hillary Clinton hat die Freilassungen aber als „positives Zeichen“ gelobt. Doch bevor nicht alle politischen Gefangenen wie angekündigt auf freiem Fuß und die im November anstehenden Kongresswahlen vorüber sind, werden seitens der USA keine drastischen Maßnahmen zu erwarten sein.
Es gibt einige ermutigende Zeichen. So wurde Anfang August Daniel Erikson zum Chefberater in der Sektion Westliche Hemisphäre im Außenministerium ernannt. Erikson gilt als Kubaspezialist und Kritiker der bisherigen Kuba-Politik. Auch deutet einiges darauf hin, dass demnächst die Reisebeschränkungen für alle US-BürgerInnen fallen und der Export von Agrarprodukten nach Kuba weiter erleichtert wird. Ein entsprechendes Gesetzesprojekt hat die Unterstützung der US-amerikanischen Tourismus- und Agrarindustrie. Die BefürworterInnen verweisen darauf, dass der Tourismus eine Brücke schaffen und den demokratischen Wandel auf der Insel vorantreiben könnte.
Vielleicht kommt nun endlich Bewegung in die bilateralen Beziehungen, die so schlecht sind wie zum Ende der Amtszeit von George W. Bush. Dabei war Obama angetreten, die US-amerikanische Kuba-Politik von Grund auf zu ändern. Mitte April 2009 eröffnete er den Gipfel der Organisation Amerkanischer Staaten in Trinidad und Tobago mit dem historischen Angebot eines Neubeginns. Der darauffolgende Austausch gegenseitiger Bereitschaftsbekundungen schuf eine enorme Erwartungshaltung in Bezug auf eine Normalisierung der Beziehungen.„Die USA suchen einen Neuanfang mit Kuba“, bekräftigte Obama damals. „Ich weiß, dass wir einen langen Weg vor uns haben, um mit den Jahrzehnten des Misstrauens aufzuräumen, die die Beziehungen zwischen Washington und Kuba geprägt haben.“ Rechtzeitig vor Gipfelbeginn hatte der US-amerikanische Kongress Reisen und Geldüberweisungen von ExilkubanerInnen nach Kuba erleichtert sowie Beschränkungen auf den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten durch die kubanische Regierung in den USA aufgehoben. Damit verband Obama die Erwartung von Zugeständnissen seitens Havannas in Menschenrechtsfragen.
Raúl Castro machte bereits damals deutlich, dass er diese Politik gegenseitiger Gesten nicht mitmachen werde. Er äußerte aber seine Bereitschaft zu einem offenen Dialog auf Augenhöhe über „alle Themen“. Jedoch seien weder „die Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung noch das politische oder soziale System verhandelbar“. „Kuba hat keinerlei Sanktionen gegen die USA oder seine Bevölkerung verhängt. Es ist auch nicht Kuba, das den Unternehmern seines Landes verbietet, mit uns Geschäfte zu machen (…) und deshalb ist es auch nicht an Kuba, Gesten zu zeigen“, so Raúl Castro.
Zwar war die Aufhebung von Beschränkungen auf Reisen und Geldüberweisungen von Exil-KubanerInnen nach Kuba wichtig, kann aber auch als Zugeständnis Obamas an die exilkubanischen WählerInnen in Miami verstanden werden. Echte vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus. Obama hat es versäumt, jene Bereitschaft zur Verständigung zu zeigen, die er von der kubanischen Regierung einfordert. Dabei hätte beispielsweise eine Prüfung des Falls der seit 1998 in den USA inhaftierten fünf kubanischen Geheimagenten, der so genannten Cuban Five, als Entgegenkommen verstanden werden können. Stattdessen irritierte Obama im November 2009 die kubanische Regierung, als er einen Fragebogen der oppositionellen Bloggerin Yoani Sánchez beantwortete. Die Festnahme des US-Amerikaners Alan P. Gross im Dezember, der Laptops, Mobiltelefone und anderes technisches Equipment an die kleine jüdische Gemeinde Havannas verteilt hatte, verschlechterte die Beziehungen weiter. Kuba wirft ihm Spionage vor, ohne bisher formal Anklage erhoben zu haben. Die USA dagegen fordern seine Freilassung. Im Januar dann verurteilte das kubanische Außenministerium in einer Presseerklärung das „ungerechtfertigte und willkürliche Vorgehen der US-Regierung“, Kuba auf eine neue Liste von insgesamt 14 Ländern zu setzen, die als „Schirmherren des Terrorismus“ bezeichnet werden. Und als der US-Gesandte Craig Kelly im Februar nach Gesprächen mit kubanischen RegierungsvertreterInnen zu Migrationsfragen in Havanna mit Oppositionellen zusammentraf, sah sich die kubanische Regierung bestätigt, dass Washington mehr an der „Hilfe für die Konterrevolution und Unterstützung subversiver Kräfte zur Beseitigung der Kubanischen Revolution“ interessiert sei, als an der „Schaffung eines geeigneten Klimas zur Lösung der bilateralen Probleme“. Die Hungerstreiks von Orlando Zapata und Guillermo Fariñas und das harte Vorgehen der kubanischen Behörden gegen die Demonstrationen der „Damen in Weiß“ verhärteten die Fronten zusätzlich.
Allerdings hat auch Kuba mit seiner harten Kritik an den fehlenden Reformen Obamas das politische Klima verschärft. Überhaupt hat in der Vergangenheit nicht selten die kubanische Regierung selbst die vorsichtige Annäherung beider Seiten torpediert. Als Bill Clinton Versuche einer Entspannungspolitik startete, schoss die kubanische Luftwaffe im Februar 1996 zwei zivile, aus Miami kommende Kleinflugzeuge über internationalen Gewässern ab und machte damit alle Bemühungen zunichte. Wenige Wochen später unterschrieb Clinton das sogenannte Helms-Burton-Gesetz, das die Blockade gegenüber Kuba weiter verschärfte. Unter anderen Umständen hätte Clinton vielleicht sein Veto gegen dieses Gesetz eingelegt.
Als Antwort auf die Verschärfung der Blockadepolitik verließ die kubanische Regierung damals den Weg einer vorsichtigen Öffnung und schlug einen härteren Kurs ein. Die Regierung George W. Bush ihrerseits antwortete mit weiteren Sanktionen und schränkte Reisen, Geldüberweisungen und Austauschprogramme ein. Diese Maßnahmen wurden zwar von Obama zum Teil rückgängig gemacht, daran sieht man aber auch, dass diese Schritte keineswegs so groß waren, wie von ihm selbst begriffen.
Eine neue Chance zur Annäherung könnte sich ergeben, sollten US-Repräsentantenhaus und Senat in den nächsten Monaten die Reisebeschränkungen für alle US-AmerikanerInnen und Ausfuhrsperren für Agrarprodukte nach Kuba aufheben. Eine vollständige Aufhebung der Blockade ist im Moment dagegen kaum zu erwarten.
Aber gerade in der Embargopolitik wird das ganze Dilemma der US-amerikanischen Kuba-Politik deutlich. Bis 1992 konnte die kubanische Regierung die Sanktionen als Konsequenz seiner ideologischen Ausrichtung und geopolitischen Strategie verstehen. Danach aber wurde die US-Blockadepolitik zu einem zentralen Thema der kubanischen Propaganda und fungierte angesichts der Härten der sogenannten Spezialperiode als ideologische Klammer nach innen. Mit dem Erlass des Cuban Democratic Act, dem sogenannten Torricelli-Gesetz, und der damit einhergehenden Verschärfung der Sanktionen 1992 durch die damalige Regierung Clinton, veränderte die Blockade ihre Funktion. Das Torricelli-Gesetz fügte den Handelsbeschränkungen mit Drittstaaten eine Demokratieagenda hinzu, die die Förderung der Zivilgesellschaft und Verbesserung der Menschenrechtssituation einschließlich Presse- und Meinungsfreiheit propagierte. Diese Politik implizierte die Rückendeckung für Reisen und Geldüberweisungen der kubanischen Exilgemeinde und förderte kulturellen und akademischen Austausch.
Die Kuba-Politik Obamas und seiner Außenministerin Clinton steht in dieser Tradition. Augenscheinlich setzt auch sie auf die Strategie Reisen, Geldüberweisungen, akademischen und kulturellen Austausch als „Türöffner“ zu nutzen. Doch damit begeht die Regierung Obama dieselben Fehler wie ihre Vorgänger. Sie macht eine Aufhebung der Blockade von substantiellen Veränderungen auf Kuba abhängig. Diese Politik aber ist 50 Jahre lang gescheitert und es sieht nicht danach aus, als sollte sie nun Resultate bringen. Gleichzeitig entlarvt sich der Menschenrechtsdiskurs von USA und EU recht schnell als doppelmoralisch und interessengeleitet, wenn er zum Gefangenenlager in Guantanamo oder zur Folter baskischer Gefangner in spanischen Gefängnissen schweigt. Andererseits ist es wohl illusorisch zu erwarten, dass die USA das Thema Menschenrechte ausklammern, genauso wenig wie die kubanische Regierung aufhören wird, die Embargopolitik als Propagandainstrument zu benutzen. Die bilateralen Beziehungen sind zur Geisel der gewaltigen symbolischen Dimension des Konfliktes geworden.
Obama steht vor der Herausforderung der Welt zu zeigen, dass sich seine Außenpolitik von der seines Vorgängers George W. Bush grundlegend unterscheidet. Dagegen gibt es kaum einen Bereich der US-amerikanischen Außenpolitik, der so stark von früherer Arroganz beherrscht wird und somit die Beziehungen zu Iberoamerika reizt, wie die Haltung gegenüber Kuba. Diese in eine respektvolle und konstruktivere Politik zu verwandeln, hätte für Obama großen symbolischen Wert und wäre zudem ein Vermächtnis historischen Ausmaßes. Dazu zählt die schreiende Ungerechtigkeit, das US-Embargo gegenüber Kuba, ohne Bedingungen aufzuheben. Dieser Schritt muss am Anfang jeglicher Annäherung stehen.

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