Kuba | Nummer 329 - November 2001

Kubas Internet-Spagat

Das Internet im Spannungsfeld zwischen Bedrohung und unverzichtbarer Wissensquelle

Bis vor zwei Jahren gab es in Kuba kaum Internet-Anschlüsse, denn das neue Medium widersprach nicht nur der Verfassung, die ein staatliches Medienmonopol vorsieht, sondern bot auch RegimekritikerInnen ein öffentliches Forum. Doch ohne Zugang zum Netz verpasst Kuba den Anschluss an neue wissenschaftliche und technische Entwicklungen – ein unlösbares Dilemma.

Bert Hoffmann

„Internet“, so feierte das Zentralorgan der Kommunistischen Partei Kubas, sei „wie der Buchdruck für das Mittelalter“ (Granma Int., 21.12.97). Das war als die Parteizeitung Granma ihre erste Online-Ausgabe ins Netz stellte (http://www.granma. cubaweb.cu). Die Freude über die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wird im sozialistischen Kuba jedoch schnell getrübt, wenn es um anderes geht als nur die internationale Selbstdarstellung der Revolution. Internet, E-Mail & Co. stellen die Regierung in Havanna vor ein Dilemma, denn das staatliche Medienmonopol ist ein Grundbaustein des politischen Systems. Artikel 53 der Verfassung besagt: „Den Bürgern wird die Freiheit des Wortes und der Presse gemäß den Zielen der sozialistischen Gesellschaft zuerkannt. Die materiellen Voraussetzungen für ihre Ausübung sind dadurch gegeben, dass Presse, Radio, Fernsehen, Kino und andere Massenkommunikationsmittel in staatlichem oder gesellschaftlichem Eigentum sind und in keinem Falle Gegenstand privaten Eigentums sein können.“ Wie aber soll dies im Fall des Internet gehen?
Bis vor zwei Jahren war die Antwort des Staates darauf schlicht die weit gehende Verweigerung des Zugangs. Anfang 1999 gab es auf der Insel lediglich 22.000 Computer mit irgendeiner Art von Netzanschluss, darunter – bei einer Bevölkerung von 11 Millionen – ganze 2.000, die über geschlossene kubanische Netze hinaus tatsächlich Zugang zum World Wide Web hatten. Fast müßig zu sagen, dass die vorhandenen Anschlüsse fast ausnahmslos in den Händen hochrangiger Kader, zentraler staatlicher Institutionen oder ausländischer Geschäftsleute waren. Noch in der zentralen kubanischen Schaltstelle für Internet-Angelegenheiten, CENIAI, durften selbst AbteilungsleiterInnen nur unter Aufsicht im WWW surfen und mussten protokollieren, welche Seiten sie aufriefen. Darüber hinaus hatten sie zu begründen, warum dies nötig war.

Restriktive Lockerung

Dies hat sich inzwischen geändert. Zwar bemühen sich die Castro-GegnerInnen auf der Insel und im Ausland nicht weniger als zuvor, auch das Internet für ihre Ziele zu nutzen, von Freiheit-für-Kuba -Websites bis zu Hacker-Attacken. Dennoch wurde auch für die Regierung in Havanna mit der Zeit zu offensichtlich, dass ein derart restriktiver Umgang zwar die politischen Gefahren des Internet minimieren mag, dem Land aber seine Entwicklungschancen verbaut. Denn eine Öffnung zu den neuen Technologien ist für die Modernisierung der Wirtschaft genauso unverzichtbar wie für die Erhaltung eines hohen Niveaus im Bildungs- und Gesundheitssektor.
Öffentliches Signal für den Kurswechsel war die Gründung des neuen, nach chinesischem Vorbild organisierten Ministeriums für Informatik und Kommunikation (MIC) Anfang des Jahres 2000. Seit der Revolution von 1959 waren ähnliche Ministerien immer von Militärs geführt worden. Jetzt steht ihm erstmals ein Ziviler vor, Ignacio González Planas, zuvor Minister für Metallverarbeitung und Elektronik. Die neuen Technologien, so die Botschaft, sind nicht nur eine zu bewältigende Bedrohung, sie sind auch unverzichtbar für die Entwicklung des Landes und als solche zu nutzen und auszubauen. Gleichwohl bleibt die Sorge um Sicherheit und politischen Kontrollverlust. Der starke Mann im Hintergrund im Bereich von Informatik und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien bleibt Ramiro Valdés, altgedienter Comandante der Revolution und langjähriger Innenminister des Landes, und wohl kaum jemand würde bezweifeln, dass er im Zweifelsfall über deutlich mehr politische Macht verfügt als der formal zuständige Minister.
Seit Gründung des Ministeriums ist die verstärkte Nutzung der neuen I&K-Technologien zu einem zentralen Punkt auch im Diskurs von Fidel Castro avanciert, und erhebliche finanzielle Ressourcen fließen zurzeit in die Digitalisierung des Telefonnetzes, den Erwerb von Computern und in die Wiederbelebung der „Jugend-Computer-Klubs“ des Kommunistischen Jugendverbands. Ein nationaler Plan zur „Informatisierung der Gesellschaft“ ist aufgelegt worden, der eine Vielzahl ehrgeiziger Ziele zur Ausweitung der neuen Technologien im Land formuliert, vom E-Commerce zwischen den Staatsbetrieben bis zu Computer-Terminals in allen Postämtern des Landes. Carlos Lage, der Wirtschaftsbevollmächtigte des Politbüros, formulierte den Spagat der Regierung in einer programmatischen Rede so: „In Kuba arbeiten wir daran, die Informatisierung in bewusster und geordneter Form voranzutreiben, so dass wir ihre außergewöhnlichen Vorteile nutzen und ihre negativen Effekte verhindern“. Die angestrebte Ausweitung der Nutzung von Internet und E-Mail über die öffentlichen Institutionen geht einher mit der erklärten Verhinderung jeglichen privaten Zugangs. Schon Telefonanschlüsse sind in Kuba nicht allein für Geld plus Wartezeit zu erhalten, sondern werden nach mérito, nach „gesellschaftlichem Verdienst“, vergeben. Und private Computer sind denkbar dünn gesät. Doch selbst wer einen PC, Telefon und auch noch die Dollars für die monatlichen Anschlussgebühren hat, dem bleibt ein privater Internet-Anschluss verboten. Natürlich gibt es auch für Internetanschlüsse einen Schwarzmarkt, der allerdings auf Grund des damit verbundenen hohen politischen Risikos relativ schwer zugänglich, unzuverlässig und teuer ist.
Wo die Ausweitung nur in den offiziellen Institutionen von Staat und sozialistischer Gesellschaft erfolgt, müssen die NutzerInnen eine Selbstverpflichtung unterschreiben, im Internet keine rassistischen, pornografischen oder „anti-kubanischen“ – sprich: regierungskritischen – Inhalte zu suchen. Die erste Ebene der politischen Wachsamkeit stellt die soziale Kontrolle durch KollegInnen und Vorgesetzte dar. Die zweite Ebene ist dann indirekt und technisch. In jeder Insitution und jedem Betrieb mit Internet-Zugang gibt es Sicherheitsbeauftragte, denen von den Server-Betreibern regelmäßig Ausdrucke des Proxy-Speichers mit einer Auflistung der mit den jeweiligen Passwörtern aufgerufenen Internet-Seiten gegeben werden.
Mit zunehmender Ausweitung der Nutzung ist eine flächendeckende und lückenlose Kontrolle freilich kaum mehr ein praktikables Ziel, das weiß auch der kubanische Staat. Stattdessen wird die generelle Drohung mit einem teilweise bemerkenswert hohen Duldungsniveau, aber auch mit einzelnen exemplarisch harten Strafen kombiniert. So wurde einem ganzen Forschungszentrum in Havanna für ein halbes Jahr der Netzzugang gekappt, nachdem eines der dort verwendeten Passworte für eine gegen die Selbstverpflichtung verstoßende Nutzung verwendet worden war. Die Toleranzgrenze ist dabei von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit überaus unterschiedlich. So sind Free-Mail-Adressen via Hotmail oder Yahoo in Kuba weit verbreitet, und viele rufen sie von ihrem Arbeitsplatz aus ab, ohne deswegen Ärger zu bekommen – obwohl der Staat derartige ausländische Mail-Dienste als Sicherheitsrisiko ansieht und nur die offiziellen E-Mail-Adressen über die jeweilige Institution erlaubt, bei denen der staatliche Zugriff auf die nationalen Provider gewährleistet ist.

Kontrollierte Toleranz

Das Beispiel der Literatur-Fakultät der Universität Havanna mag den Wandel veranschaulichen, der sich in der Einstellung zum Internet in Kuba vollzogen hat. Als eine Studentin im Literaturverzeichnis ihrer Diplomarbeit auch Internet-Quellen aufführte, war dies vor zwei Jahren noch ein Politikum, und die Arbeit wurde erst nach langen Diskussionen und nach Rücksprache mit den höheren Ebenen angenommen. Inzwischen ist in der gleichen Fakultät ein Saal mit rund 20 Computern mit Internet-Zugang eingerichtet worden, an denen die Studis in alle Welt e-mailen und durchs World Wide Web surfen können. Die Aufsichtsperson liest gelangweilt ein Buch, und das Aufrufen von Seiten wie El País oder CNN sorgt nicht für Aufsehen. Unausgesprochen ist aber auch klar, dass Websites, die oppositionelle Gruppen oder dissidente JournalistInnen über das Ausland ins Netz stellen (etwa www.cubanet.org oder die von dem Schriftsteller Jesús Díaz im Madrider Exil begründete Internet-Tageszeitung www.cubaencuentro.com), die Grenze des Tolerierten überschreiten würden. Es bedürfte einiger Courage, beispielsweise einen Kuba-Bericht von Amnesty International am Bildschirm zu lesen (ganz zu schweigen davon, ihn auszudrucken).
Die Möglichkeiten des Zugangs haben sich für die StudentInnen der Fakultät, wie auch für viele andere im Land, merklich verbessert. Ob dies auch bei der Stimmung der NutzerInnen der Fall ist, sei dahingestellt. Oft scheinen just in dem Maße, in dem die enorme Informationsvielfalt des Internet praktisch erfahrbar wird, auch die Begrenzungen auf der Insel als drückender empfunden zu werden. Und gerade beim Internet, wo alle erdenklichen Websites nur den berühmten Mausklick weit entfernt sind, ist für die Einzelnen die Selbstzensur viel spürbarer – und unangenehmer – als bei anderen Medien, wo man eh’ keine anderen als die staatlich zugelassenen Kanäle oder Zeitungen erhalten kann.
Dem Internet ist oft in emphatischen Tönen politisch systemverändernde Kraft zugesprochen worden. „Das Internet wird Castro stürzen!“, hatte etwa Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Vorsitzender und davor Chef von IBM Deutschland, nach seinem Besuch auf der Insel prophezeit. Danach sieht es nicht aus. Bislang funktioniert die gegenwärtige Strategie einer schrittweisen Ausweitung unter Beibehaltung der staatlichen Kontrolle. Die Oppositionellen und DissidentInnnen auf der Insel erreichen via Internet zwar die internationale Öffentlichkeit, aber kaum die nationale. Gleichzeitig aber wird das staatliche Informationsmonopol in der Tat löchriger. Und einer umfassenden Nutzung der neuen Technologien für die nationale Entwicklung legen die politischen Kontrollbedürfnisse des Staates zwangsläufig immer wieder Bremsen an. Im vergangenen Jahr hatte das Ministerium für Informatik und Kommunikation offiziell angekündigt, im Gebäude des Ministeriums das erste Internet-Café für KubanerInnen einzurichten; noch nicht einmal geöffnet, wurde es wieder geschlossen, ohne Erklärung. Das Internet bleibt für Kuba ein Spagat.

Im Frühjahr 2002 erscheint: “Internet und Politik in Lateinamerika”;Roman Herzog / Bert Hoffmann / Markus Schulz: Vervuert Verlag, Frankfurt (ca. 500 S.). Weitere Informationen unter: www.rrz.uni-hamburg.de/IIK/nikt/d_nikt.html. Im Netz finden sich zahlreiche Sammlungen mit Links zu Kuba, unter anderem auf der Seite http://lanic.utexas.edu/la/cb/cuba/

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