Mexiko | Nummer 380 - Februar 2006

Kultureller Souverän

Der mexikanische Maler und Kulturkämpfer Francisco Toledo

Berühmt bereits seit jungen Jahren, scheint Toledo seinen Ruhm jedoch nicht sonderlich zu genießen. Vielmehr nutzt der mexikanische Künstler seine Werke und innovative Kunstaktionen, um die kulturelle Souveränität seiner Heimatstadt Oaxaca zu bewahren und ästhetische Überzeugungsarbeit zu leisten: Wider die Interessen von Fast-Food-Konzernen oder der Landesregierung. Für sein Engagement erhielt er am 9. Dezember 2005 in Stockholm den Alternativen Nobelpreis.

Anne Huffschmid

Das Kolonialstädtchen Oaxaca im Süden Mexikos ist von sanfter Pracht: Die Häuserwände leuchten in einer Palette verwaschener Farben, von Scharlachrot über Sonnenocker und Meerblau bis zu Schwimmbadgrün und Fliederlila. Auf den Kopfstein gepflasterten Gassen herrscht gelassene Geschäftigkeit. Kolonialer Prunk und indigen inspirierte Künste scheinen auf das Friedlichste zu koexistieren. Seit 1987 ist die Altstadt von Oaxaca Weltkulturerbe der UNESCO. Doch die Sanftmut hat seine Grenzen. Das bekam etwa der McDonalds-Konzern zu spüren, als er vor ein paar Jahren versuchte, an der zentralen Plaza eine Filiale zu eröffnen. Monatelang hatte der Fastfood-Fabrikant die Stadtverwaltung umworben, die Beibehaltung der Kolonialfassaden versprochen und versichert, auch sonst könne das Städtchen nur profitieren – vergebens: die Hamburger-Station war gegen den Widerstand der Oaxaqueños nicht durchsetzbar. Dass der 300.000-Seelen-Ort sich eine kulturelle Souveränität bewahrt, wie sie in Lateinamerika nur selten anzutreffen sein dürfte, verdankt die Stadt vor allem dem Künstler und Kulturmäzen Francisco Toledo. Dafür erhielt der 65-Jährige am 9. Dezember 2005 in Stockholm den undotierten Ehrenpreis Right Livelihood, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis.

Verwirrend attraktiv

Der Maler selbst ist von malerischer Gestalt und noch als Mittsechziger eine verwirrend attraktive Erscheinung. Die markanten Züge sind von einem silbermelierten Bart und Lockenschopf gerahmt, der Körper zumeist weiß gewandet, die Füße stecken in Ledersandalen. Auf den internationalen Kunstmärkten wird Toledo so hoch gehandelt wie kaum ein anderer lebender Künstler Mexikos. Dennoch gilt er als publikumsscheuer Eigenbrötler, der ungern spricht, die Medien meidet und so zurückgezogen wie irgend möglich lebt. Geboren wurde Francisco Toledo 1940 in Juchitán, der Heimatstadt der für ihren Stolz berühmten Zapoteken an der südmexikanischen Pazifikküste. Er wuchs in der Provinzhauptstadt Oaxaca auf, schon als 17-Jährigen zog es ihn dann hinaus in die größere Welt. Zunächst nach Mexiko-Stadt, wo er mit 19 seine erste Ausstellung eröffnete. Kurz darauf verschlug es ihn nach Paris. In nur wenigen Jahren machte sich der junge Mexikaner in London, Amsterdam und New York einen Namen. Doch schon Mitte der Sechziger Jahre kehrte er nach Mexiko und Anfang der Neunziger Jahre nach Oaxaca zurück, wo er sich verstärkt den zapotekischen Bilderwelten zuwendete.
Toledos Gemälde und Zeichnungen leben nicht von knalliger Farbig- und Flächigkeit, wie man sie der mexikanischen Kunst seit den Muralistas, den Wandmalern, als Erkennungsmerkmal zuschreibt. Seine Bilder sind vielmehr in Grau- und Schlammtönen gehalten, verschlungene Linien, die zu surrealen Universen verwoben sind, bevölkert von vielbeinigem Getier, Kröten und Krebsen, Spinnen und Heuschrecken, aber auch Frauen- und Männerleibern, nackten Bäuchen und erigierten Schwänzen.

Keine neue Frida Kahlo

Kritiker lesen in seinem Werk immer wieder Querverweise zu den Kunstwelten der Moderne, zu Beuys oder Goya, Kafka oder auch Picasso. Der wortkarge Maler selbst schert sich um kunsthistorische Einordnungen kaum. Nur auf exotistische Schubladen reagiert er allergisch. „Ich habe von prähispanischen Mythen ungefähr soviel Ahnung, wie in jedem Reiseführer steht“, fuhr er einmal die Reporterin eines deutschen Kulturmagazins an. Und anlässlich einer Kunstschau in London, wo er wahlweise als „Schamane“, „mexikanisches Delirium“ oder „zapotekischer Dandy“ gefeiert wurde, konstatierte er lakonisch: „Sie suchen wohl eine neue Frida Kahlo.“
Anders als die kokette Kahlo scheint Toledo den Ruhm nicht sonderlich zu genießen. Aber er weiß ihn zu nutzen. Aus eigener Tasche, durch die Versteigerung von Aquarellen und Radierungen, hat Toledo mehr in die kulturelle Infrastruktur Oaxacas investiert als jede Kulturbürokratie. Ihm verdankt die Kleinstadt eine grandiose Bibliothek und eine Graphiksammlung, ein Fotografiezentrum, ein Museum zeitgenössischer Maler aus Oaxaca und sogar eine Papiermanufaktur für Naturpapierschöpfung. Das ehemalige Wohnhaus Toledos fungiert inzwischen als Kommunalkino, im Hof des Barockklosters hat er einen ethnobotanischen Garten initiiert.

Ästhetische Überzeugungsarbeit

Zusammen mit anderen 30 Kulturschaffenden rief er vor ein paar Jahren die Organisation Pro-Oax ins Leben, die seither gegen kulturellen Kahlschlag mobilisiert: sei es gegen die Zweckentfremdung prähispanischer Ruinenstätten durch Shopping-Center oder illegale Hüttenbauer, sei es gegen nationalistische Denkmäler für Feldherren und Eroberer.
Dabei gründet sich der Kulturkampf Toledos weniger auf puristische Traditionspflege denn auf ästhetische Überzeugungsarbeit. Als etwa die Landesregierung die Plaza mit weißen Zementbänken zieren wollte, schleppte der Künstler mit seinen Leuten stundenlang ein schmiedeeisernes Parkbänkchen durch die Stadt – und erreichte, dass die Regierung von ihrem Vorhaben abließ. Auch beim Bürgerbegehren gegen die Burger-Invasion setzte Pro-Oax auf die Kraft des Arguments. Mitten im Zentrum veranstaltete man eine gigantische Tamaliza, ein großes Fressen Abertausender von Tamales, die in Mais- oder Bananenblätter gewickelten, mit Huhn oder Fleisch, würzigen Salsas oder Früchten gefüllten Maisfladen, die hier seit Urzeiten die Mägen erfreuen. Auch dies keine Frage der kulturellen Reinhaltung, sondern schlicht eine der kulinarischen Ästhetik.

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