Mexiko | Nummer 464 - Februar 2013

Letzte Zuflucht Mexiko

Eine Ausstellung des Aktiven Museums zeigt die Rolle der mexikanischen Asylpolitik sowie Exil und Rückkehr 25 deutscher Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg

„Wir wurden nie als asilados (Asylanten, Anm. d. Red.) behandelt, sondern fühlten uns als Angehörige einer politischen Bewegung geachtet“, schrieb Sophie Marum 1985 über ihr mexikanisches Exil während des Zweiten Weltkriegs. Dieser Satz fasst das Außergewöhnliche einer Politik zusammen, die Flüchtlinge nicht trotz, sondern wegen ihrer politischen Arbeit aufnahm und ihnen im Lande angekommen alle Möglichkeiten der beruflichen und politischen Betätigung gab. Dieser historischen Ausnahme widmet das Aktive Museum Faschismus und Widerstand in Berlin die Ausstellung „Letzte Zuflucht Mexiko – Gilberto Bosques und das deutschsprachige Exil nach 1939“, in deren Zentrum 25 Biographien stehen.

Jakob Müller

Mexiko stellte sich unter dem seit 1934 amtierenden Präsidenten Lázaro Cárdenas entschlossen an die Seite der Spanischen Republik. Nachdem 1937 erste Flüchtlinge aufgenommen worden waren, wurde der Volksfrontregierung 1938 die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen im Falle einer Niederlage im Bürgerkrieg zugesagt. Dies bezog sich zunächst nur auf spanische Republikaner_innen, die nach dem Sieg Francos zu Hunderttausenden nach Frankreich strömten. Mit der Besetzung Frankreichs durch Deutschland im Juni 1940 verschlechterte sich die Lage der Flüchtlinge dramatisch. Die mexikanische Regierung trat deshalb in Verhandlungen mit der Regierung des mit den Deutschen kollaborierenden Vichy-Regimes ein. Das Abkommen, das die Ausreise nach Mexiko ermöglichte, verpflichtete den lateinamerikanischen Staat sowohl für die Überfahrt als auch für den Unterhalt bis zur Abreise aufzukommen. Insgesamt flohen etwa 20.000 Spanier_innen auf diesem Wege, deutsche Emigrant_innen waren zunächst nicht vorgesehen. Diese waren jedoch besonders gefährdet, da das deutsch-französische Waffenstillstandsabkommen auf Verlangen ihre Auslieferung an das NS-Regime vorsah. Im August gewährte Präsident Cárdenas zunächst 20 prominenten Flüchtlingen und ihren Familien die Einreise nach Mexiko. Auch wenn nicht alle hiervon Gebrauch machten, verschafften die mexikanischen Papiere den Flüchtlingen zumindest die Möglichkeit, die französischen Internierungslager zu verlassen.
Eine zentrale Rolle bei der Rettung spielte Generalkonsul Gilberto Bosques, der die Vertretung nach dem Einmarsch der Deutschen nach Marseille verlegte. Die südfranzösische Stadt war Anlaufpunkt für tausende Flüchtlinge auf der Suche nach einer Möglichkeit Frankreich zu verlassen. Bosques mietete zwei Schlösser zu ihrer Unterbringung an und vergab Hotel- und Essensgutscheine. Laut seinen Angaben erteilte er mehr als tausend Einreisevisa an Deutsche und Österreicher_innen. Neben Bosques versuchten auch andere Organisationen zu helfen, so etwa das von Varian Fry geleitete „Emergency Rescue Committee“. Hilfe für Kommunist_innen war allerdings von den US-Organisationen nicht erwünscht. Für diese Gruppe war Mexiko in der Tat die letzte Zuflucht. Die Liste der Biographien liest sich dann auch wie ein who is who der DDR-Prominenz. Die Namen von Paul Merker, Alexander Abusch, Walter Janka, Steffie Spira, Anna Seghers, Ludwig Renn und Georg Stibi stehen neben Hanns Eisler, der allerdings nur ein kurzes mexikanisches Intermezzo hatte. Neben diesen moskautreuen Stalinist_innen, gab es auch Kommunist_innen, die nach den Erfahrungen des spanischen Bürgerkriegs und der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts auf Distanz zur Parteilinie gegangen waren. Zu Letzteren gehörte etwa Fritz Fränkel, der ehemalige Leiter der Psychopathologischen Fürsorgestelle am Berliner Urbankrankenhaus. Fränkel war bereits 1932 desillusioniert von einer Reise in die Sowjetunion zurückgekehrt. Nach der Machtübernahme der Nazis wurde er misshandelt und flüchtete zunächst nach Frankreich. Ab 1936 schloss er sich als Arzt den Interbrigadas in Spanien an. Wieder in Frankreich ging er 1941 mit einem Visum Bosques’ nach Mexiko. Hier gehörte er zu einer Gruppe von „Abweichler_innen“, unter denen sich auch Babette Gross, Gustav Regler und Franz Feuchtwanger – ein Cousin des Schriftstellers – befanden.
Wie berechtigt die Skepsis gegenüber der Parteilinie war, sollten viele „Linientreue“ noch erfahren. Nachdem sie voller Hoffnung auf den Aufbau eines neuen Deutschlands zurückgekehrt waren, gerieten sie Anfang der 1950er Jahre vielfach in den Sog der Stalinisierung der DDR. Als „Westemigrant_innen“, Jüdinnen und Juden waren viele doppelt verdächtig. Paul Merker, der zunächst Mitglied des Parteivorstands und Politbüros der SED wurde, verlor 1950 alle Ämter und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Merker wurde unter anderem zum Vorwurf gemacht, dass er sich für die materielle Entschädigung jüdischer Opfer und die Gründung eines jüdischen Nationalstaates ausgesprochen hatte. Rudolf Feistmann hatte als Chefredakteur der in Mexiko erscheinenden Demokratischen Post ähnliche Ansichten vertreten. Nach seiner Rückkehr 1947 wurde er zunächst Leiter der außenpolitischen Redaktion des Neuen Deutschland, 1950 trieben ihn die eigenen Genoss_innen in den Selbstmord. Das Neue Deutschland ehrte den Verstorbenen mit einem Nachruf, demzufolge Feistmann einer „schweren Fleischvergiftung“ erlegen war.
Die Rückkehrer_innen nach Westdeutschland waren weniger zahlreich. Zu ihnen gehörte Otto Klepper, der 1931 preußischer Finanzminister unter dem Sozialdemokraten Otto Braun gewesen war. Klepper kehrte ebenfalls 1947 zurück und war ab 1949 Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Über die Mentalität in Westdeutschland beklagte er sich bei einem Freund: „Man wünscht keine Konkurrenz, und vor allem nicht von den Leuten, die durch die Unbefangenheit und Erfahrung der Emigration bevorzugt sind.“ Im Mai 1951 trat Klepper nach Auseinandersetzungen über die politische Linie der FAZ zurück.
Einige Flüchtlinge blieben in Mexiko. Brigitte Alexander hatte erste schauspielerische Erfahrungen in dem von Emigrant_innen gegründeten Heinrich-Heine-Klub gemacht, der unter anderem die erste Aufführung von Brechts Dreigroschenoper in Lateinamerika auf die Bühne brachte. Alexander war eine Pionierin des mexikanischen Fernsehens, für das sie Stücke der Weltliteratur zu teleteatro verarbeitete.
Wer sich von zu viel Text der klassisch gestalteten Ausstellung nicht abschrecken lässt, erlebt die Präsentation eines faszinierenden Kapitels deutsch-mexikanischer Geschichte – die auch überraschende Einblicke in die frühe Geschichte der DDR bietet.

Letzte Zuflucht Mexiko // Ausstellung bis zum 14. April in der Berliner Akademie der Künste // Luisenstraße 60, 10117 Berlin // www.aktives-museum.de // Veranstaltungen des Rahmenprogramms siehe Seite 62

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