Nummer 324 - Juni 2001 | Ökonomie

Lightlinien für Hermesreform

Exportversicherung dient auch unter Rot-Grün als Ausfuhrstimulanz ohne verbindliche Standards

Im August reisen Kanzler Schröder und Wirtschaftsminister Müller nach Brasilien. Zur dreihundertköpfigen Begleitung gehört angeblich ein Vorstandsmitglied von Siemens. Grund genug, für die brasilianische Atomlobby Morgenluft zu wittern, und für brasilianische UmweltschützerInnen aufzuhorchen. Sollte nämlich ein Siemensvertreter mitfahren, wird er sicher nicht versäumen, seinen Wunsch nach einer Hermesbürgschaft für den Bau des Atomkraftwerks Angra III zu äußern und entsprechende Lobbyarbeit zu betreiben.

Regine Richter

Hermesbürgschaften sind das bedeutendste Instrument der staatlichen Exportförderung der Bundesrepublik Deutschland. Mit ihnen sichert die Bundesregierung Ausfuhren einheimischer Firmen gegenüber politischen und wirtschaftlichen Risiken ab: falls der Empfänger einer Exportlieferung nicht zahlen kann, begleicht der Staat die Rechnung gegenüber dem Exporteur. Im internationalen Wettbewerb um Exportaufträge spielen diese Versicherungen eine immer größere Rolle. Im Jahr 2000 betrugen die von der Bundesregierung laut Wirtschaftsministerium neu übernommenen Hermesdeckungen 38,1 Milliarden DM. Besichert werden fast ausschließlich Exportgeschäfte mit Entwicklungsländern und mit Staaten Mittel- und Osteuropas, einschließlich der GUS-Länder. So entfielen 97 Prozent 1998 und 98 Prozent 1999 auf diese Kategorie.
Zu den gedeckten Exporten der vergangenen Jahre gehören unter anderem große Infrastrukturprojekte wie Turbinen und Leittechnik für Staudämme, Leittechnik oder Nachrüstung von Atomkraftwerken, Ausrüstungen für Kohlekraftwerke, Maschinen für Zellstoffwerke, Straßenbau, U-Bahn- oder Flughafenbau, aber auch Waffen und militärische Ausrüstungsgüter, zum Beispiel Mehrzweckhubschrauber, Unimogs, Patrouillenboote. Zu den Auswirkungen solcher Projekte gehören beispielsweise massive Umsiedlungen, Vernichtung kulturell bedeutender Städte, Verarmung von Ökosystemen, Zerstörung von Wäldern und Vergiftung von Flüssen, um nur einige besonders bedenkliche zu nennen.

Vergabe im Geheimen

Über die Gewährung von Hermesbürgschaften wird im Verborgenen entschieden, und zwar vom Interministeriellen Ausschuss (IMA), in dem das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) die Federführung hat. Das Finanzministerium, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) haben Mitsprache- und Widerspruchsrecht. Ohne direkt vertreten zu sein, kann der Bundeskanzler Einfluss auf die Entscheidungen des IMA nehmen. Bei Anträgen, die Deckungen über 15 Millionen DM betreffen, wird die Runde erweitert. In dem Fall werden zusätzlich Mitarbeiter der Hermes AG und der PwC Deutsche Revision AG sowie vom Bundeswirtschaftsministerium handverlesene Sachverständige aus Industrie, Handel und Banken gehört. Informationen aus der kleineren oder größeren, jedoch höchst exklusiven Runde dringen nur spärlich an die Öffentlichkeit. Das BMWi veröffentlicht einen Jahresbericht, in dem es über die verbürgte Gesamtsumme und Deckungssummen für wichtige Länder und Ländergruppen berichtet. Einzelinformationen über Länder und Projekte fehlen. Etwas mehr, jedoch vertraulich, erfährt der Haushaltsausschuss des Bundestages, der in Listenform über die übernommenen Gewährleistungen informiert wird. Die Öffentlichkeit in Deutschland erfährt oftmals nur von Projekten, wenn sich diese zu Skandalen entwickeln. Während nämlich zum Beispiel in Deutschland noch um den Atomausstieg gerungen wurde, gab es im März 2000 Hermesbürgschaften für Lieferungen an drei Atomkraftwerke:
– für die Elektro- und Leittechnik eines Atomkraftwerkneubaus in Lianyungang, China;
– für Nachrüstungs- und Reparaturmaßnahmen für ein Atomkraftwerk in Argentinien;
– für eine Entsorgungsanlage für flüssige radioaktive Abfälle des litauischen Atommeilers Ignalina.
Damit steht die rot-grüne Koalition in bester Tradition vorheriger Bundesregierungen, die den Ausbau der Nukleartechnik in Schwellenländern wie Indien, Brasilien und Argentinien unterstützten.

Atomförderung früher…

Brasilien und Deutschland schlossen 1975 ein Nuklearabkommen ab. Der Kooperationsvertrag sah den Bau von acht Atomkraftwerken vor, einer Reaktorfabrik, einer Urananreicherungs- und einer Wiederaufbereitungsanlage. Zudem sollten die brasilianischen Uranvorkommen erschlossen, gefördert und vermarktet werden. Davon wurde bisher glücklicherweise nur ein Atomkraftwerk realisiert: Angra II, das rund. 100 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt liegt. Es ging nach über 25 Jahren Bauzeit im vergangenen Juli ans Netz, die Siemens-Tochter KWU hat in dieser Zeit fast fünf Milliarden DM an dem Bau verdient. Um diese Summe zu bezahlen, nahmen die staatlichen Kraftwerksbetreiber Kredite bei deutschen Banken auf, die diese sich von Hermes absichern ließen.

…und heute

Kaum ist Angra II angelaufen, sind die Betreiber für die Zukunft optimistisch: „In fünf bis sechs Jahren kriegen wir Angra III gebaut“, so der Nuklearingenieur José Eduardo Costa Mattos. Bisher existiert Angra III vor allem als Baugrube mit den seit Jahren vor Ort lagernden Bauteilen und als Finanzgrab: bisher hat Angra III nach Schätzungen der staatlichen Betreiberfirma Electronuclear circa. 1,5 Milliarden DM gekostet. Bei einer Bauzeit von sechs Jahren wird von Restkosten in Höhe von 3 Milliarden DM ausgegangen. Siemens-KWU würde sich an dem Bau gerne beteiligen, jedoch nur mit staatlichen Hermesbürgschaften im Rücken. Ansonsten ist ihnen das Risiko zu groß, nicht bezahlt zu werden. Damit könnte Angra III zu einem Testfall für die neuen „Leitlinien für die Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten“ bei Hermesbürgschaften werden. In diesen Leitlinien ist zwar ausdrücklich formuliert, dass von der Exportförderung „Nukleartechnologien zum Neubau beziehungsweise zur Umrüstung von Atomanlagen“ ausgeschlossen sind. Unklar ist jedoch, was exakt unter „Nukleartechnologien“ fällt. Für Wirtschaftsminister Müller etwa gehört Leittechnik für ein Atomkraftwerk nicht zu Nukleartechnologien. Ebenso weit auslegbar ist, ob es sich bei Angra III um einen Neubau handelt, da die Baugrube ja bereits existiert. Da auf der anderen Seite das AKW Angra III noch nicht gebaut ist, kann es auch nicht umgerüstet werden. Also wäre Angra III weder ein Neubau noch eine Umrüstung. Und wenn dann möglicherweise noch nicht einmal Nukleartechnologie im strengen Sinne exportiert würde, stünde einer Hermesbürgschaft nichts im Wege. Fälle wie Angra zeigen vor allem die Grenzen der neuen Leitlinien, die als Hermesreform verkauft werden sollen, jedoch wegen ihrer mangelnden Verbindlichkeit eher als „Lightlinien“ zu bezeichnen sind. Des Kanzlers Brasilienreise wird auf jeden Fall von verschiedensten Seiten aufmerksam verfolgt.

Regine Richter, urgewald

Mehr Informationen zu Hermes und der Reform gibt es auf der Webseite www.gang-nach-genua.de.

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