Literatur | Nummer 369 - März 2005

Literarisches Ping-Pong in Mexiko

Ein gesuchter Guerillaführer und ein Krimiautor schreiben vierhändigen Roman

Unbequeme Tote – so soll der Krimi heißen, an dem der legendäre Sprecher der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, Subcomandante Marcos, und der bekannteste mexikanische Kriminalautor Paco Ignacio Taibo II derzeit vierhändig arbeiten – ohne sich dabei über Plot und Inhalte direkt verständigen zu können.

Miriam Lang

Ich habe mich gefühlt, als hätte Marylin Monroe soeben um meine Hand angehalten“, sagte Paco Ignacio Taibo II zu dem Vorschlag von Subcomandante Marcos, zu zweit und vor aller Öffentlichkeit einen Kriminalroman zu entwickeln. Alles fing mit einem Boten an, der an Paco Ignacio Taibo II’s Haustür in Mexiko-Stadt klingelte. Er trug einen Umschlag aus dem lakandonischen Regenwald im Süden des Landes bei sich, unterzeichnet von Subcomandante Marcos. Taibo, der Marcos nach eigenen Worten noch nie persönlich begegnet ist, sagt, die Umstände der Übergabe hätten ihm die Authentizität des Schreibens garantiert. „Noch nie hatte mir jemand ein derartig verrücktes Abenteuer vorgeschlagen.“ Gerade deshalb hat Taibo, der das Chaos leidenschaftlich liebt, sich auf die Sache eingelassen. Und weil er tiefe, unverhohlene Sympathien für die indigene Zapatisten-Guerilla und deren wortgewandten Sprecher hegt.
Muertos incómodos ist mehr als ein Roman, es ist ein literarisches Abenteuer. Auf Initiative des international für seine Schriften bekannten, in Mexiko aber polizeilich gesuchten Guerillaführers Subcomandante Marcos schreiben er und der Schriftsteller und Historiker Paco Ignacio Taibo II diesen Roman vierhändig. Und zwar ohne die Möglichkeit, die Weiterentwicklung des Werks direkt miteinander absprechen zu können.

Die Umstände beeinträchtigen nicht die Idee

Als Mittlerin zwischen dem im chiapanekischen Urwald lebenden Marcos und dem städtischen Autor Taibo II dient die Tageszeitung La Jornada, die seit Mitte Dezember in regelmäßigen Abständen ein Kapitel des Romans veröffentlicht. In einem literarischen Ping-Pong spielen die beiden Autoren sich die Bälle zu, wobei sie immer auf das reagieren müssen, was der jeweils andere im letzten Kapitel veröffentlicht hat. „Wir schreiben gegen die Zeit, es ist eine seltsame Tour de Force“, sagt Taibo, da jeder der Gegenspieler exakt zwei Wochen hat, um aufgrund der vom Gegenüber gelieferten Vorlage die Handlung weiterzuspinnen. Direkt austauschen können sie sich über ihre Arbeit nicht, denn Taibo II ist eingefleischter Städter und sitzt in der Hauptstadt, während Marcos seit zwanzig Jahren durch den südmexikanischen Dschungel streift und seit dem zapatistischen Aufstand von 1994 auf den Fahndungslisten der mexikanischen Behörden steht. In dem als Kriminalroman angelegten Werk fließen zwei zunächst parallel verlaufende Handlungsstränge, die in Chiapas bzw. Mexiko-Stadt ihren Ausgang nehmen, im siebten Kapitel ineinander. Die zwei Hauptfiguren, der zapatistische, indigene Elías Contreras, der im Auftrag der Kommandanten der zapatistischen Guerilla Nachforschungen in Kriminal- und anderen Problemfällen anstellt, und der einäugige Kommissar Héctor Belascoarán, der bereits aus zahlreichen Kriminalromanen von Paco Ignacio Taibo II bekannt ist, kommen in diesem am Revolutionsdenkmal in der mexikanischen Hauptstadt zusammen und arbeiten von da an am selben Fall. Sie sind einem Mann mit vielen Gesichtern auf der Spur, der seit der Studentenbewegung von 1968 bei allen bedeutsamen politischen Ereignissen der jüngeren mexikanischen Geschichte seine Finger im Spiel hatte. Die Machenschaften dieser Figur, namens Morales, gilt es aufzudecken. Der Roman ist in der Gegenwart angesiedelt und spielt bereits jetzt nicht nur auf den Kampf der ZapatistInnen, sondern auch auf eine Reihe von Missständen an, die derzeit für die mexikanische Öffentlichkeit relevant sind – so zum Beispiel auf die erwiesene Korruption aller großen politischen Parteien und die Weigerung der heutigen Herrschenden, die politische Verantwortung für den schmutzigen Krieg Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre zu übernehmen. So führte Taibo einen 1971 ermordeten Aktivisten der 1968er Studentenbewegung ein, der plötzlich Nachrichten auf Anrufbeantwortern hinterlässt.

Dialog zwischen zwei Lebens- und Denkwelten

Literarisch handelt es sich bei Muertos Incómodos jedoch auch um einen Dialog zwischen zwei Lebens- und Denkwelten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Welt der indigenen Dörfer Südmexikos, die häufig weder Strom noch fließendes Wasser haben, wo bis heute bittere Armut die Regel ist, und deren Bevölkerung noch bis vor wenigen Jahren häufig Sklaverei-ähnlichen Lebensbedingungen ausgesetzt war. Und auf der anderen Seite der Dschungel aus Fernsehantennen und Lichtmasten von Mexiko-Stadt mit seinen Fast-Food-Ständen, seinem Straßenstrich und seinen alltäglichen Gefahren. Diese Begegnung findet in der Sprache von Muertos Incómodos ihren deutlichen Ausdruck. Elías Contreras erzählt und spricht in einer Sprache, die Ko-Autor Paco Taibo als „español tzotzilizado“ bezeichnet hat, also einem verfremdeten Spanisch, das merklich mit der Maya-Sprache Tzotzil eingefärbt ist, und obendrein die Spuren der antiquierten, ja geradezu feudalistischen Lebensverhältnisse und des extremen Bildungsrückstandes in Chiapas in sich trägt. Héctor Belascoarán hingegen ist eine Großstadtfigur, die einerseits im Slang des Distrito Federal zu Hause ist, andererseits sich einer elaborierten, situativ angepassten Ausdrucksweise bedient.

Dem Anliegen öffentliches Gewicht verleihen

Ursprünglich war geplant, den Roman sogar sechshändig zu schreiben, gemeinsam mit dem Spanier Manuel Vázquez Montalbán, der sich mit Subcomandante Marcos lange Zeit geschrieben und ihn auch in Chiapas besucht hatte, um daraufhin das Buch Marcos, Herr der Spiegel herauszugeben (Wagenbach 2000). Dieses Vorhaben konnte jedoch aufgrund des Todes von Vázquez Montalbán im vergangenen Jahr so nicht durchgeführt werden. Die beiden verbliebenen Verfasser lassen „Unbequeme Tote“ nun auch als Hommage an den verstorbenen Spanier entstehen, indem sie zahlreiche Hinweise auf Montalbán und dessen kulinarisch interessierten Kommissar Pepe Carvalho einbauen. Taibo, der für die Arbeit an diesem Gemeinschaftswerk die Biographie des mexikanischen Revolutionshelden Pancho Villa beiseite legen musste, an der er gerade saß, hat keine Angst, von den Zapatisten instrumentalisiert zu werden: „Im Gegenteil: Der Gedanke, dass sie mich benutzen könnten, um ihrem Anliegen mehr öffentliches Gewicht zu verleihen, ist mir ganz und gar angenehm“, so der mehrfache Preisträger und Organisator des alljährlichen Krimi-Festivals Semana Negra im spanischen Gijón vor dem Publikum der Buchmesse in Guadalajara, wo er das gemeinsame Vorhaben öffentlich machte. Zahlreiche Verlage aus aller Welt haben bereits die Rechte des gerade erst entstehenden literarischen Werks erworben – in Deutschland der Berliner Verlag Assoziation A, bei dem nach Vier Hände, Erzengel und Gerufene Helden soeben mit Die Rückkehr der Schatten ein weiterer Roman von Paco Ignacio Taibo II erschienen ist, in dem es um die deutsch-mexikanischen Beziehungen während der Nazizeit geht.

Im Sommer im Buchregal

Unbequeme Tote wird voraussichtlich im Sommer 2005 in die deutschen Buchläden kommen. Den Erlös aus den Autorenrechten wollen Subcomandante Marcos und Paco Ignacio Taibo II einer Nichtregierungsorganisation aus Chiapas zukommen lassen, die den Kampf der ZapatistInnen unterstützt. Welche das sein soll, sei noch nicht entschieden, so Taibo.

Miriam Lang übersetzt den Roman derzeit ins Deutsche

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