Literatur | Nummer 389 - November 2006

„Literatur wird in einigen Jahren etwas Extravagantes sein“

Interview mit dem peruanischen Autor Jorge Eduardo Benavides

Die politische und soziale Situation in Peru bestimmt die Inhalte der Werke von Jorge Eduardo Benavides, eingebettet in Geschichten voller Ironie, Tragik und der unausweichlichen Konfrontation mit der Realität. Noch sind seine Werke nur auf Spanisch erhältlich, es gibt aber, so der peruanische Autor, bereits Verhandlungen mit deutschen Verlagen. LN traf Jorge Eduardo Benavides anlässlich des 6. Literaturfestivals in Berlin und sprach mit ihm über Peru, seine Schreibwerkstatt in Spanien, seinen Landsmann Mario Vargas Llosa und den heutigen Stellenwert von Literatur.

Leonie Görting

In den spanischsprachigen Ländern bist du bereits ein bekannter Autor. In Deutschland bist du jedoch ein neues Gesicht. Könntest du uns in deinen eigenen Worten von deiner Arbeit erzählen?

Meine Texte befassen sich vor allem mit der politischen und sozialen Situation in meinem Heimatland Peru, zumindest die beiden Romane, die ich veröffentlicht habe. Ich denke, diesen realen Ansatz könnte man als traditionell lateinamerikanisch, als „politisch engagiert“ bezeichnen. In meinen Kurzgeschichten bewege ich mich oft im Genre der Fantastischen
Literatur.

Welches deiner Werke ist für dich das Wichtigste?

Ich denke, dass für einen Autor immer jenes Werk am wichtigsten ist, das er noch nicht geschrieben hat. Man versucht immer einen noch besseren Roman zu schreiben, jeder neue Roman ist eine Herausforderung. Wenn du einen Roman beendet hast, bist du diesem inhaltlich so nah, das es schwer ist, ihn noch zu beurteilen. Für mein erstes Werk Los años inútiles (Die unnützen Jahre) habe ich sechs Jahre gebraucht. Dabei habe ich sehr viel gelernt. Wenn ich also eines meiner Werke wählen müsste, dann wäre es wohl dieses.

Du wirst häufig mit deinem Landsmann, dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa, verglichen und hast einmal gesagt, du hättest seine Werke sehr intensiv studiert. Gibt es deiner Meinung nach wirklich Parallelen zwischen Vargas Llosas Werken und deinen?

Vargas Llosa stammt, ebenso wie ich, aus Arequipa und unsere Werke behandeln politische Inhalte. Aber ich denke, die Kritiker suchen auch krampfhaft angebliche Parallelen zwischen uns. Die Umstände, unser Alltag, haben uns Schriftsteller dazu gezwungen, die Politik in unsere Werke einfließen zu lassen. Hier enden meiner Meinung nach allerdings die Parallelen zwischen Vargas Llosas’ Werken und meinen. Ich schreibe einfach zu einem späteren Zeitpunkt und behandle natürlich andere Themen aus einem anderen Kontext heraus.

War die Politik immer Teil deiner Werke?

Bisher schon. Für mich war die Situation, die ich in Peru erlebt habe, sehr schwierig und das spiegelt sich in meinen Romanen wider. In meinem zweiten Roman El año que rompí contigo (Das Jahr, in dem ich mich von dir trennte) erzähle ich von einer Gruppe von Freunden, die alle so tun, als würde sie die politische und wirtschaftliche Situation nicht berühren. Die Frage ist: Wie beeinflusst die politische Situation eines Landes den Alltag der Einzelnen? Jede schwierige politische Situation zwingt uns doch, das Beste aus uns heraus zu holen, denn das Schlimmste können wir sowieso nicht verhindern. Die Politik ist eben einfach Teil des Alltags und berührt jeden von uns.

1991 hast du Peru Richtung Teneriffa verlassen, heute lebst du in Madrid. Was brachte dich dazu, auszuwandern?

Der Hauptgrund war, dass ich mich vollkommen auf die Literatur konzentrieren wollte und dies damals in Peru fast unmöglich war. In Spanien hingegen konnte ich damals meine Arbeitsfelder auf die Literatur abstimmen. Ich hatte die Möglichkeit meine Arbeit zu professionalisieren und außerdem aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Mich hat das sehr bereichert. Ich hatte plötzlich andere Bezüge zu dem, was in der Welt passiert. Nicht nur weil ich in einem anderen Land lebte, sondern weil die Distanz meine Perspektive erweiterte. Ich lernte andere Dinge kennen, verglich, erlebte andere Problematiken aus erster Hand und lernte, vieles zu relativieren. Diese Distanz bietet mir eine, ich weiß nicht ob exaktere, aber auf jeden Fall weniger leidenschaftliche, abgeklärtere Sichtweise auf die Dinge, die in Peru passieren. Ich reise aber regelmäßig nach Peru, denn dort spielen auch nach wie vor meine Geschichten.

Außer deiner Arbeit als Autor bist du auch noch als Journalist und Dozent tätig. Du hast eine Schreibwerkstatt namens Entrelíneas in Spanien gegründet. Wie können wir uns deine Arbeit vorstellen und wer sind deine StudentInnen?

Das ist mir der liebste Teil meiner Arbeit. Meine Schreibkurse besuchen Menschen aller Altersstufen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, die ihre Liebe zur Literatur vereint. Die Literatur ist ein Handwerk, deshalb arbeiten wir mit verschiedenen Werkzeugen, um uns diese bei der Erstellung einer Geschichte zu Nutze zu machen. Meinen ersten Schreibkurs gab ich im Kunstmuseum in Lima etwa 1987 oder 1988 und diese Arbeit ist mir bis heute nie langweilig geworden. Ich reise mit meinen Kursen auch gerne umher, zu verschiedenen Universitäten, aber eine kleine Gruppe trifft sich immer bei mir zu Hause. Ich rede nicht gerne über Literatur mit Menschen, die einfach nur zeigen wollen, wie viel sie wissen; ich ziehe Menschen vor, die die Sache wirklich lieben. Viele meiner Schüler haben schon Werke veröffentlicht, einige haben sogar Preise gewonnen. Das macht mich in gewisser Weise sehr stolz.

Der mexikanische Autor Daniel Sada hat einmal gesagt, die Menschen seien zu faul, anspruchsvolle Literatur zu lesen. Deine Romane sind dafür bekannt, sich eines anspruchsvollen Stils zu bedienen. Teilst du die Meinung von Sada?

Ich denke schon, dass wir sehr viel bequemer geworden sind. Die Dinge, die uns unterhalten, sind sehr viel unmittelbarer und weniger anspruchsvoll als früher. Jede Art von Literatur unterhält, aber jede auf andere Weise. Kinder lesen aus Sicht der Erwachsenen sehr einfache Geschichten, das Problem beginnt aber, wenn wir immer Kinder bleiben und nur nach dem Einfachen suchen. Dies ist eine problematische und traurige Tendenz, die dazu führt, dass die Unterhaltung immer platter wird. Eine befreundete Verlegerin sagte mir einmal, dass Literatur in einigen Jahren zu dem werden wird, was Briefmarken sammeln heute ist: etwas Extravagantes.

Welche Zukunftspläne hast du?

Ich werde einige Texte über Literatur beenden. Dann beginne ich die Recherche für meinen nächsten Roman, der nichts mit Politik zu tun haben wird. Er wird in einem geschlossenen Konvent im Jahre 1870, zur Zeit des Krieges zwischen Chile und Peru, spielen und von Nonnen, Liebschaften und Intrigen handeln. Es ist schwierig, Informationen darüber zu bekommen und der Roman wird erst in etwa zwei Jahren erscheinen. Die Geschichte spielt in Arequipa, wo es tatsächlich ein Kloster gibt, in dem einst ein geschlossenes Nonnenkonvent war. Dieser Ort, an dem nur Frauen lebten und ihren Alltag bewältigten, hat mich sehr fasziniert.

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