Mexiko | Nummer 360 - Juni 2004

Lügen und Videos ohne Sex

Ein Korruptionsskandal in Mexiko verschlechtert die Beziehungen zu Kuba

Im März tauchten Videos auf, die Politiker der linksgemäßigten PRD zeigten, wie sie Geld des Unternehmers Carlos Ahumada annahmen. Manuel López Obrador, PRD-Bügermeister von Mexiko- Stadt, spricht von einer Verschwörung gegen seine Regierung. Weil Ahumada nach Kuba floh, erreichten die ohnehin schon gespannten Beziehungen einen neuen Tiefpunkt.

Dinah Stratenwerth

Entweder korrupt und tatkräftig. Oder ehrlich und unfähig: Zwischen diesen beiden Politikertypen konnten die LeserInnen der mexikanischen Tageszeitung Reforma in einer Telefonumfrage wählen. 54 Prozent entschieden sich für den korrupten Macher. Nur 26 Prozent für den unfähigen Ehrenmann. Andrés Manuel López Obrador, linksgemäßigter Bürgermeister von Mexiko Stadt, versucht verzweifelt, als ehrlich und tatkräftig zu erscheinen. Das wird immer schwerer. Denn seit Anfang März wird seine Oppositionspartei PRD (Partei der demokratischen Revolution) von einem Korruptionsskandal erschüttert, der sie als politische Alternative zu den alteingesessenen Parteien PAN (Partei der Nationalen Aktion) und PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) immer weniger überzeugend erscheinen lässt.

Videoshow
Anfang März 2004 tauchten Videos auf, die drei politische Mitarbeiter von López Obrador in Schwierigkeiten brachten: Innerhalb weniger Tage wurde im mexikanischen Fernsehen ausgestrahlt, wie López Obradors Finanzsekretär Gustavo Ponce in Las Vegas hohe Geldsummen verspielte und der Abgeordnete René Bejarano im Büro des Unternehmers Carlos Ahumada große Geldsummen entgegennahm. Schließlich erschien noch ein Band, auf dem der ehemalige Bezirksabgeordnete Carlos Imaz ebenfalls Geld von Ahumada annimmt.
Alle drei Videos hat Ahumada filmen lassen. Als Besitzer der Unternehmensgruppe Quart unterhält er schon seit Jahren gut laufende Geschäfte mit der gesamten politischen Klasse Mexikos. „Das bestgehütete Geheimnis der mexikanischen Politik – obwohl es eigentlich alle wussten. Aber niemand hat darüber gesprochen“, schätzt Efrain Poot, Politologe am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Yucatán, das Verhältnis der Politiker zu Ahumada ein.
Ahumada hatte regelmäßig Politiker geschmiert, um öffentliche Aufträge für seine Firmen an Land zu ziehen. Auch Obradors Finanzsekretär Ponce hatte Aufträge an ihn genehmigt. Er unterzeichnete einen Vertrag über die Konstruktion von Gebäuden, für die er 31 Millionen Pesos (ca. 240.000 Euro) erhielt. Bis heute steht kein einziges Haus. Die Frage ist, welches Interesse Ahumada mit den Videos verfolgte. Denn sie beweisen seine eigene Schuld ebenso wie die der Politiker.
Ahumada hatte sich im Februar mit Vertretern der rechten Pan-Partei des amtierenden Regierungschefs Fox sowie mit Ex-Präsident Salinas de Gortari von der PRI getroffen. Im Einverständnis mit Ahumada ließen PAN-Politiker die Videos den Fernsehstationen zukommen.

Verschundener Sekretär
López Obrador setzte Ponce sofort nach Erscheinen der Videos am 2. März ab. Dieser verschwand noch am gleichen Tag und ist bisher nicht wieder aufgetaucht. López Obrador vermutet, dass der mexikanische Geheimdienst CISEN ihn festhält. Der Abgeordnete René Bejarano ist von all seinen Ämtern zurückgetreten. Derzeit wird die Aufhebung seiner Immunität verhandelt. Carlos Imaz hat sich freiwillig der Justiz gestellt, gibt jedoch an, sich „keiner illegalen Aktivitäten“ bewusst zu sein.
López Obrador spricht indes von einem Komplott gegen seine Regierung. Grund genug gäbe es dazu: Der beliebte Oppositionspolitiker könnte bei den Präsidentschaftswahlen 2006 als Sieger hervorgehen. Daher ist er der Regierungspartei PAN und der PRI ein Dorn im Auge. Eine Verschwörung bis hin zum Präsidenten hält Politologe Poot allerdings für übertrieben: „Wenn es eine Strategie gegen López Obrador gibt, dann wurde sie auf der Ebene der Staatsanwaltschaft und des Innenministeriums ausgearbeitet.“
Am 16. April präsentierte López Obrador ein Dokument, das bewies, dass Staatsanwaltschaft sowie Innenministerium schon seit Mitte Februar den illegalen Aktivitäten Ponces auf der Spur waren. Warum, fragte der Bürgermeister, wurde Ponce nicht festgenommen? Und warum wurde seine Regierung nicht informiert? Er verlangte eine Unterredung mit Präsident Fox, die ihm jedoch nicht gewährt wurde. Stattdessen bekam er eine Vorladung. Mit der Präsentation des Dokuments verletze López Obrador ein bilaterales Abkommen mit den USA, so die Staatsanwaltschaft. Die USA hatten der Staatsanwaltschaft und dem Innenministerium Informationen über Ponces finanzielle Aktivitäten zukommen lassen. Und solche Dokumente seien vertraulich zu behandeln, hieß es.

Die Kubakrise
Carlos Ahumada setzte sich am 27. Februar nach Kuba ab, wo er wenige Tage später festgenommen wurde. Die mexikanische Staatsanwaltschaft stellte einen Auslieferungsantrag. Doch anstatt diesem nachzukommen, wies die kubanische Regierung den Unter nehmer Ende April aus. Zugleich hieß es aus der kubanischen Regierung, der Fall habe wohl eindeutig eine politische Dimension. Nachdem Fidel Castro in seiner Rede zum 1. Mai die mexikanische Regierung auch noch beschimpfte und ihr Unterordnung unter die Interessen der USA vorwarf, schickte diese den kubanischen Botschafter nach Hause. 24 Stunden später bemühte man sich allerdings schon wieder um die Verbesserung der Beziehungen. Diese waren dadurch vorbelastet, dass Mexiko im April bereits zum zweiten Mal vor der UN-Kommission für Menschenrechte gegen Kuba gestimmt hatte.
Doch nun zeigten die Kubaner, dass sie auch Videos drehen können: Auf einer Pressekonferenz zeigte der kubanische Kanzler Felipe Pérez Roque ein Video, auf dem Ahumada aussagt, er habe die Videos an Politiker weitergegeben, um nicht vor Gericht zu kommen. Die Ausstrahlung der Videos im Fernsehen sei von langer Hand geplant gewesen und verfolge politische Ziele, sprich, die Regierung López Obradors zu diskreditieren.
Und auch der Unternehmer selbst soll mit Videobändern nach Mexiko zurückgekehrt sein: Ein weiterer Streit zwischen Insel und Festland entbrannte, als die kubanische Staatsanwaltschaft behauptete, Ahumada habe fünf DVDs dabeigehabt, welche die bekannten Szenen mit Bejarano, Ponce und Co. zeigten. Die mexikanische Staatsanwaltschaft hingegen hatte angeblich keine Videos im Besitz des Unternehmers gefunden.
Die Beziehungen zwischen Kuba und Mexiko verschlechtern sich seit dem Amtsantritt von PAN-Präsident Fox kontinuierlich. Bis dahin hatten beide Länder meist friedlich koexistiert, beziehungsweise ein stillschweigendes Abkommen über die Nichteinmischung in die Angelegenheiten des jeweils anderen gehalten. PAN-Politiker hatten die Insel besucht und sich über den „interessanten Austausch, der trotz bestehender Differenzen möglich war“ gefreut. Bis zum April 2002 hatte sich Mexiko bei der Abstimmung vor der UN-Kommision in Genf stets enthalten. Doch seit Fox` Amtsantritt werden die Beziehungen zwischen beiden Ländern im Abstimmungsmonat immer wieder auf die Probe gestellt.

Verschwörungstheorien
Was versprach sich die kubanische Regierung von der Festnahme und späteren Ausweisung Ahumadas? Einige politische AnalytikerInnen vermuten, dass Castros Regime auf diese Art Druck auf Fox ausüben wollte, um dessen Abstimmungsverhalten in Genf zu beeinflussen. Als das nicht funktionierte, wurde der Unternehmer kurzerhand zurückgeschickt. Die Details seiner Aussage – wenn sie denn stimmen – könnten die mexikanische Regierung ziemlich in Verlegenheit bringen, machte Pérez Roque gerne publik.
Auch innerhalb Mexikos gehen die Vermutungen um ein Komplott gegen die Opposition weiter: Die mexikanische Wochenzeitung Proceso berichtet, dass Ahumada regen telefonischen Kontakt mit der Staatsanwaltschaft pflegte, bevor er den damaligen Finanzsekretär Ponce in Las Vegas filmte.
López Obrador wird indes weiter von der Staatsanwaltschaft verfolgt: Sie leitete Untersuchungen gegen ihn ein, weil er seine Stadtautobahn auf Grundstücken bauen wollte, deren rechtlicher Status noch unklar ist. Er sieht diese Vorwürfe als einen neuen Versuch an, ihn politisch zu diskreditieren. Und versucht weiter, ehrlich und kompetent zu erscheinen.

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