El Salvador | Nummer 274 - April 1997

Machtmonopol der Rechten gebrochen

Große Erfolge der FMLN bei den Wahlen

Auch wenn das Endergebnis der Kommunal- und Parla­mentswah­len in El Sal­vador vom 16. März bei Re­daktions­schluß noch nicht vorlag, so war doch ei­nes klar: Die frü­here Gue­rilla FMLN ist aus die­sem Urn­engang als eind­eutiger Sie­ger und poli­tisch gestärkt her­vorge­gangen. Sie gewann mit großem, auch von Optimisten nie er­warteten Vorsprung in der Hauptstadt San Salvador. Auch in rund 60 weiteren Or­ten, darunter viele Groß- und Departementshauptstädte, stellt die Partei künftig die Bürgermeister und Gemeinderäte. Bei den Wahlen zum Parlament legte die FMLN ebenfalls kräftig zu und zog an Mandaten mit der regierenden ARENA gleich, die ih­rerseits rund ein Viertel ihrer Sitze verlor.

Reimar Paul

In San Salvador, wo knapp ein Drittel aller WählerInnen des Landes eingeschrieben sind, stand der Wahlsieger bereits am Sonntag abend fest: Mit rund 49 Prozent der Stimmen trium­phierte Héctor Silva, “Kandidat der Zivilgesellschaft” für eine Koalition aus der ehemaligen Guerrila Frente Farabundo Mar­tí de Liberación Nacional (FMLN), Convergencia De­mo­crá­tica (CD) und dem christli­chen Movi­mien­to de Uni­dad (MU), klar über den ARENA-Bewerber und bis­heri­gen Bür­germeister Mario Valien­te , der es nur auf gut 36 Prozent brachte.
Héctor Silva, in den USA ge­boren und von Beruf Gy­näko­lo­ge, war während des Bürger­krie­ges einer der Sprecher des Op­po­si­tionsbündnisses FMLN/ FDR in Mexiko. Bei den Wah­len von 1994 machte er sich einen Na­men als Berater und Wahl­kampf­ma­nager des Präsi­dent­schafts­kan­di­daten der Oppo­si­tion Ru­bén Zamora, der erst in der Stich­wahl gegen Armando Cal­de­rón Sol ver­loren hatte.
“Wir werden ihnen zeigen, daß wir reg­ieren können”, rief der 50jährige zukünftige Bür­ger­meis­ter in der Wahlnacht tau­sen­den jubelnden An­hän­gerIn­nen zu. Eine “Hauptstadt des 21. Jahr­hunderts” wolle er schaffen, eine “Politik der Stabilität” ma­chen. Silva kündigte unter an­de­rem den Verzicht auf den Bau ei­ner von Valiente geplanten, mil­lio­nenteuren und höchst um­strit­tenen Müllanlage an.
Der Bürgermeisterposten von San Salvador gilt als eines der wich­tigsten politischen Ämter im Land. Er war sowohl für den Christ­demokra­ten Napoleon Duar­te als auch für Cal­de­rón Sol das Sprung­brett in den Prä­si-den­tenpalast. Die FMLN han­delt Silva bereits als möglichen Kan­di­daten für die Prä­si-dent-schaftswahl 1999.
Außer in San Salvador hat die FMLN auch in na­he­zu allen an­de­ren Großstädten der “area me­tro­politana” gewonnen. Als sen­sa­tionell ist vor al­lem der Sieg der Linken in Santa Ana, der zweit­größten Stadt des Lan­des und Kaffee-Metropole des Wes­tens, zu bewerten. Auch wei­tere De­partementshauptstädte (So­na­te, Zacatecoluca, Cha­la­te­nan­go) gin­gen an die FMLN bzw. linke Wahl­bündnisse; in ei­ni­gen an­de­ren bedeutenden Ge­mein­den wie Nue­va San Sal­va­dor und San Vi­cen­te hat ARENA den Sieg der FMLN juristisch an­gefochten.
Letzten Zwischenergebnissen zu­folge stellen die Ex-Guerilla oder von ihr eingegangene lokale Koa­litionen in rund 60 der 262 Ge­meinden des Landes die künf­ti­gen Bürgermeister. Bei den Wah­len von 1994 hatte die FMLN lediglich 15 Ortschaften an der Urne erobern können. ARE­NA gewann eigenen Anga­ben zufolge nur noch in etwa 115 Ge­meinden (nach über 200 bei den Wahlen 1994), darunter in den De­parte­mentshauptstädten San Mi­guel, Usulutan, Sen­sun­te­peque und San Francisco Go­tera.

FMLN-Sperrminorität im Parlament

Bei den Parlamentswahlen zeich­nete sich seit Beginn der Aus­zählung ein knappes Rennen zwi­schen FMLN und ARENA ab. Bei­de Parteien kamen auf rund 35 Pro­zent der Stimmen, was je­weils 28 bis 30 Mandaten in der 84-köpfigen Asamblea ent­spricht. In jedem Fall ver­fügt die Frente nunmehr al­lei­ne über das not­wendige Drittel an Stim­men, um Ver­fas­sungs­än­de­rungen gut­heis­sen oder ver­hin­dern zu kön­nen. Die Par­la­ments­prä­si­den­tin Glo­ria Sal­gue­ro Gross der re­gie­ren­den Alianza Re­pu­blicana Na­cionalista (ARE­NA) gestand ein, daß “das zu­künf­tige Par­la­ment plu­ra­lis­ti­scher sein wird.” ARE­NA werde künf­tig nicht mehr schalten und walten kön­nen wie gewohnt, kom­men­tierte der der­zei­tige FMLN-Frak­tions­chef Gerson Mar­tí­nez das Er­geb­nis: Von nun an herrsche ein Kräf­te­gleich­ge­wicht in El Sal­vador.
Das ist allerdings nur bedingt rich­tig. Denn klar ist ebenfalls, daß die rechte Par-la-ments-mehr­heit auch für die kommen­den drei Jahre bestehen bleibt. So­wohl die frühere Regie­rungs­par­tei Partido de Con­ci­lia­ción Na­cio­nal (PCN), wie auch der rech­te Flügel der zer­split­terten Christ­demokratischen Par­tei (PDC) schnit­ten mit je­weils rund acht Prozent und vo­raus­sichtlich eben­sovielen Par­la­ments­sitzen über­raschend gut ab. Bei­de Par­teien werden sich for­ma­len oder in­formellen Koali­tio­nen mit ARE­NA nicht verweh­ren.
Noch unklar war bei Re­dak­tions­schluß das Abschneiden der übri­gen Parteien. Den letzen be­kannt­ge­gebenen Zwischen­ergeb­nis­sen zufolge errangen CD, MU, das fun­damentalistisch-re­li­gi­öse Mo­vimiento de Re­no­vación Na­cio­nal so­wie die von dem ul­tra­rech­ten Zeitungskolumnisten Ki­rio Waldo Salgado gegründete Par­ti­do Liberal De­mo­crática (PLD) je­weils zwei Sitze.
Trotz eines Stimmenanteils von we­niger als ei­nem Prozent ist auch Villalobos’ PD mit ei­nem Ver­treter in der neuen Asamblea vertreten – sie war in ei­ni­gen Departements Wahl­bünd­nisse mit den Christ­demo­kra­ten eingegangen, er­gat­ter­te über diese Listen­verbindung so eben noch ein Man­dat und konn­te ihre Zwangs­auflösung dadurch zu­mindest vor­läufig verhindern.

Geringe Wahlbeteiligung

Bei der Suche nach den Grün­den für den großen Erfolg der FMLN hilft zunächst ein Blick auf die Wahlbeteiligung. Sie lag deut­lich unter 45 Prozent – nur knapp eine Million Wahl­be­rech­tig­te stimmten ab – und da­mit zehn Prozent weniger als noch 1994. Im Landes­durch­schnitt hat die Frente also ab­so­lut an Stim­men weniger hin­zu­ge­won­nen als es das Ergebnis auf den ersten Blick suggeriert.
ARENA behauptete sogar, die FMLN habe in Wirklichkeit kei­ne einzige Stimme dazu­gewon­nen, man selbst habe lediglich Wäh­ler verloren, die einfach nicht zur Wahl gekommen seien.
Wie auch immer: Die Regie­rungs­partei, die wie schon in der Ver­gangenheit einen ungeheuer auf­wendigen Wahlkampf führte und dafür nicht nur Partei-, son­dern auch erhebliche öffentliche Mit­tel investierte, hat mit ihrer Pro­paganda keine Mehrheit in der Bevölkerung mehr zu über­zeu­gen vermocht. Bis zum Wahl­tag hatte ARENA weniger auf eine inhaltliche Auseinan­der­set­zung über ihre – in den Augen auch vieler ehemaliger Anhänger wei­tes­gehend gescheiterte – Poli­tik gesetzt als vielmehr auf Pole­mik und Hetzpropaganda gegen die FMLN. In Fernsehspots wur­den minutenlang von “den Terro­ris­ten” im Bürgerkrieg ge­spreng­te Brücken und Strommasten ge­zeigt. In Zeitungsanzeigen oder be­stellten Artikeln wurde die FMLN wahlweise der lo­gis­ti­schen Unterstützung für die Za­pa­tistas in Mexiko oder die MRTA in Peru beschuldigt, und wie bestellt flog zum rechten Zeit­punkt auch ein weiteres “FMLN-Waffenlager” in Mana­gua auf. Die PD-Führung betei­lig­te sich übrigens in wider­wär­tig­ster Weise an dieser Pro­pa­gan­da, indem sie öffentlich füh­ren­de FMLN-Vertreter der Be­tei­ligung an Kriegsverbrechen be­zichtigte.
Das von ARENA geschaffene Kli­ma der Gewalt hatte auch prak­tische Folgen: In den Wo­chen vor der Wahl ermordeten ver­mutlich Todesschwadronen in Ne­japa einen FMLN-Vertreter; fünf weitere Aktivisten der Par­tei wurden bei Überfällen ver­letzt und mußten im Kran­ken­haus be­handelt werden.

Quittung für die schlechte Politik der ARENA

Das Kalkül jedenfalls, die FMLN als Vereinigung von “Terro­risten” und “Kriminellen” zu be­zeich­nen und dadurch von den ei­genen Mißerfolgen in der Wirt­schaftspolitik und der Ver­bre­chensbekämpfung abzu­len­ken, ging nicht auf. Zwar ver­zeich­ne­te die salvadorianische Öko­no­mie in den vergangenen Jah­ren den Statistiken zufolge kräf­tige Wachstumsraten, am Mas­sen­elend in El Salvador än­der­te sich jedoch nichts: Mehr als die Hälfte der rund fünf­ein­halb Millionen Ein­woh­nerInnen le­ben in extremer Armut. Auch bei ihrem Lieb­lingsthema “Ver­bre­chens­be­kämpfung” versagte ARE­NA offen­sicht­lich auf gan­zer Linie. Das Land ist noch vor Ko­lum­bien das gewalttätigste in La­tein­amerika, jede Stunde stirbt ein Mensch eines gewaltsamen To­des. Eine Entwicklung, zu der die ARENA-Regierung we­sent­lich beigetragen hat, indem sie sich einer wirklichen Säuberung der Sicherheitsorgane wider­setz­te, Menschen­rechts­ver­le­tzun­gen in der neuen Polizei PNC deck­te und praktisch nichts ge­gen die ho­he Zahl von Schuß­waffen in pri­vaten Händen unter­nahm.
Die FMLN hat sich, da bis­lang von der Machtteilhabe wei­tes­gehend ausgeschlossen, auf den ge­nannten Feldern zwar bis­her nur wenig profilieren kön­nen. Sie hat aber mit dem Ent­schluß, sich an der politischen Schlamm­schlacht des Wahl­kamp­fes nicht zu beteiligen, auf große Versprechungen zu ver­zich­ten und mit einem allgemein ge­hal­tenen, reformistischen Pro­gramm, das an vorderster Stelle die Forderungen nach Senkung von Mehrwertsteuer, Mieten so­wie Wasser- und Strom-ge­büh­ren umfaßt, richtig gelegen.
Der Wahlerfolg der FMLN ist auch deshalb besonders hoch zu be­werten, weil sich ARENA in den vergangenen drei Jahren stand­haft geweigert hatte, das – weil es für eine niedrige Wahl­be­tei­ligung sorgt und “technischen Wahl­betrug” erleichtert – sie be­güns­tigende Wahlsystem zu re­for­mieren. Alle Vorschläge einer ge­mischt besetzten Reform­kom­mis­sion – u.a. Einführung eines Per­so­nalausweises, der gleich­zei­tig zur Wahl berechtigt, Wahl­pflicht an den Wohnorten und professionelle, parteilose An­gestellte der Wahlbehörden – wur­den von ARENA abgelehnt oder einfach nicht umgesetzt.

Chaotische Wahlvorbereitung

In der Praxis bedeutet dies: Im Wahl­register wimmelte es wie auch schon 1994 von Toten, längst Ausgewanderten und Mehr­fachnennungen; ein Ab­gleich zwischen dem zentralen und den lokalen Wählerlisten fand praktisch nicht statt, Wahl­aus­weise wurden nicht oder zu spät ausgehändigt. Gesetzes­wi­drig hatte das Finanz­minis­terium zu­dem den Gratis­trans­port für Wäh­ler aus dem Kosten­vor­an­schlag der Obersten Wahl­tri­bu­nals (TSE) gestrichen. Damit wur­den, weil gleichzeitig der öf­fent­liche Verkehr ruhte, hundert­tau­sende von Personen zu langen Fuß­märschen gezwun­gen, um in die Wahllokale zu gelangen. Be­deutende Unterneh­men, wie etwa die Maquilas und Super­markt­ket­ten, hatten am Wahl­sonntag nicht geschlossen; auch die rund 15.000 Angehö­rigen der Polizei konn­ten nicht wählen; zahl­reiche lokale Wahl­kom­mis­sio­nen be­schwer­ten sich bis zum Schluß da­rü­ber, daß ihnen noch nicht ein­mal Schreibtische zur Verfü­gung gestellt und Telefon­an­schlüs­se gelegt wurden, ganz zu schwei­gen von Computern oder Fahr­zeugen.
Der Wahltag selbst verlief ohne größere Zwischenfälle. Da­zu hat sicherlich auch die Prä­senz von mehreren hundert inter­na­tionalen Beobachtern beige­tra­gen.
Wie Oligarchie, Militär und die politische Rechte auf den Wahl­erfolg der FMLN reagieren ist Spe­kulation. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahler­geb­nisse getätigte Einzel­äus­se­run­gen ergeben jedenfalls noch kein einheitliches Bild. Während Ex-Präsident Alfredo Cris­tiani, der das größte Finanz­imperium El Salvadors dirigiert, vor wirt­schaftlichem Rückgang warn­te, er­klärte der unterlegene ARE­NA-Bür­germeister­kandidat Va­li­en­te, er wolle für die FMLN be­ten

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