Literatur | Nummer 378 - Dezember 2005

Masken und Zyklone – Enttäuschung und Neubeginn auf Kuba

Endlich ist auch der dritte und vierte Band von Leonardo Paduras Havanna-Quartett auf Deutsch erschienen

Der kubanische Journalist und Schriftsteller setzt mit Labyrinth der Masken und Meer der Illusionen seine Zeichnung der kubanischen Gesellschaft fort: Diesmal begibt er sich in den gesellschaftlichen Randbereich der Schwulen- und Transvestitenszene, konfrontiert nicht nur seinen Kommissar Mario Conde, sondern auch die LeserInnen mit tief sitzenden Vorurteilen und lässt einen Zyklon über Kuba hinweg sausen, der dem Havannaquartett ein dramatisches Ende setzt und gleichzeitig ein Neuanfang für Mario Conde ist.

Eva Danninger

Er lüftet Geheimnisse hinter Masken und lässt Illusionen wie Seifenblasen platzen. Leonardo Padura entführt seine LeserInnen in Havannas Parallelwelten und folgt dem kubanischen Traum. Damit stehen sowohl der dritte als auch der vierte Teil seines Havanna-Quartettes den ersten Bänden in nichts nach. Im ersten Teil hatte er seinen Anti-Helden, den Kommissar Mario Conde mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, indem er ihn gegen einen Mitabiturienten recherchieren ließ. Dabei musste er auf- und entdecken, dass der vermeintlich perfekte Saubermann und zuverlässige Genosse nur Fassade war und sich dahinter ein korrupter Machtmensch verbarg.
Die Ideale, zu denen die Kinder der sozialistischen Revolution erzogen werden sollten, zeigten hier sowie in den weiteren Bänden des Quartetts ihr wahres Gesicht.
Auch im dritten Band, Labyrinth der Masken, werden Saubermänner entlarvt und die kriminalisierten oder diskriminierten Außenseiter entlastet. Kommissar Mario Conde, der keine gute Meinung von sich hat, versinkt in diesem Band zeitweilig in tiefen Depressionen. Das Leiden seines Freundes Carlos, dessen gescheiterten Beziehungen und Einsamkeit, belasten ihn.
In diesem Moment bekommt er einen Fall übertragen, der nach Routine aussieht, sich aber bald als äußerst delikat herausstellt, nicht nur weil das Opfer Sohn eines hochrangigen Diplomaten ist.

Transvestismus, Masken und Vorurteile

Bei den Recherchen gerät Mario Conde immer tiefer in die Transvestitenszene Havannas. Er muss seinen anfänglichen Ekel überwinden, wobei ihm ausgerechnet der schwule Alberto Márquez hilft, ein alternder Theaterregisseur, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere von der Zensur für immer gestoppt wurde.
Er führt Mario Conde ein in die Welt der Schwulen und Transvestiten, eine Welt von Menschen, deren Exaltiertheit Mario im Laufe der Ermittlungen immer verständlicher wird, je mehr er die Diskriminierung und Repression spürt, denen sie ausgesetzt sind. Es öffnet sich ihm eine gesellschaftliche Parallelwelt, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte, weil er, wie alle anderen, diese Realität mittels machistisch verbrämter Vorurteile verdrängte.

Dekonstruktion von Vorurteilen und Empathie

Auch wenn die Vorurteile über Homosexualität und gesellschaftliche Randbereiche aufgezeigt und aufgebrochen werden, kippt dies im Roman nicht in eine Romantisierung der marginalisierten und diskriminierten Themen um. Die Realität ist zu hart für die Betroffenen, als dass Romantik aufkommen könnte.
Der Roman bleibt spannend bis zum Schluss – und auch dieses Mal kann man eher von einem Gesellschaftsroman sprechen als von einem Krimi. Dem Krimianteil verdankt der Roman aber seine Spannung, die nicht zuletzt auch durch das geschickte Spiel mit den Masken entsteht. Die Spannung löst sich allerdings nicht einmal am Schluss, als einige Geheimnisse hinter den Masken gelüftet werden. Denn was man dahinter sieht, ist nicht beruhigend. Im Gegenteil – nach der Lösung des Falles, als man tatsächlich hinter einige Masken blicken kann, werden Abgründe sichtbar, die alles in Frage stellen. Die Ermittlungen werfen mehr Fragen auf, als sie überhaupt lösen sollten.

Illusionen gehen über Bord – die Realität beginnt

Im letzten Band des Quartetts, Das Meer der Illusionen, löst Mario Conde seinen letzten Fall. Der Fall spielt im Herbst 1989, „die Illusionen in Kuba waren beendet, und die Realität begann“. (Padura im Interview in LN 370). Mario Conde und seine Freunde sind die versteckte Generation, die immer fremdbestimmt war und jetzt zwischen Nostalgie und Wut hin und her gerissen ist. „Immer bestimmen andere für uns, vom Kindergarten bis zum Grab auf dem Friedhof, auf den man uns einmal bringen wird.“
Daher sehnt Conde den Zyklon herbei, der Kuba bedroht, damit diese reinigende Katastrophe endlich Platz für einen Neuanfang schafft. Er löst seinen letzten Fall und zieht nebenbei Bilanz über sein Leben. Am Ende läuft alles auf einen dramatischen Höhepunkt zu, auf einen Wendepunkt. Manches wird für immer beendet, mancher geht für immer weg und manches fängt ganz neu an.
Mehr noch als in allen anderen Bänden ist der kubanische Traum und sein Ende das Thema, ohne dass der Autor polemisch würde. Die Illusionen sind geplatzt, aber die Erinnerungen und die Hoffnung bleiben: auf einen Neuaufbruch.
Auch wenn der Schluss ein bisschen überladen wirkt, da alles zu einem gewaltigen Höhepunkt auf einmal zusammenläuft, ist dieser Band wahrlich ein würdiger Abschluss für das Roman-Quartett, da er alle Fäden aufgreift und zu einem Ende führt. Man gewinnt einen tiefen und spannenden Einblick in die kubanische Realität, differenziert, düster und doch voller Hoffnung.

Leonardo Padura: Labyrinth der Masken und Das Meer der Illusionen.
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, Zürich, 2005, je 19,90 Euro

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