Guatemala | Nummer 502 - April 2016

“MAUER DER STRAFLOSIGKEIT DURCHBRECHEN”

Luz Méndez über sexuelle Gewalt in Guatemala und den Prozess Sepur Zarco

Vergewaltigungen wurden im Bürgerkrieg in Guatemala (1960-1996) systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Bisher blieben diese Verbrechen straflos. Im Sepur Zarco-Prozess wurden erstmals zwei Ex-Militärs verurteilt (siehe S. 30). Im Interview spricht Luz Méndez, die Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der guatemaltekischen Frauen (UNAMG), darüber welche Auswirkungen der Prozess für die Zukunft Guatemalas hat.

VonInterview: Knut Henkel

Welche Bedeutung hat das Sepur Zarco-Verfahren für das Land?
Der Prozess hat eine immense Bedeutung, weil es der erste Prozess ist, der sexuelle Gewalt und sexuelle Versklavung im Bürgerkrieg thematisiert. Wir sprechen über eine Form der Gewalt gegen Frauen, die laut dem Bericht der kirchlichen Wahrheitskommission flächendeckend, massiv und systematisch vorkam. Die sexuelle Gewalt gegen indigene Frauen war ein Element des Genozids gegen indigene Ethnien, der erstmals im Jahrhundertprozess gegen Efraín Ríos Montt zur Sprache kam. Heute schlagen wir eine Bresche in die Mauer der Straflosigkeit, denn die sexuelle Gewalt ist eine latente Bedrohung für die Frauen in Guatemala. Die Zahl der Morde an Frauen steigt jedes Jahr und die Straflosigkeit sorgt dafür, dass die Täter unbehelligt bleiben.

Hat ein historischer Fall wie Sepur Zarco Relevanz für die Gegenwart?
Ja, denn die Straflosigkeit für ein Delikt der Vergangenheit außer Kraft zu setzen, hat Signalcharakter für die Gegenwart. Zudem sorgt so ein Fall für Debatten, für massive Diskussionen, für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und für die Zurückdrängung der Straflosigkeit. Das hat große Relevanz für die Zukunft. Die Vision eines Rechtsstaates wird sichtbar, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich und der Aufbau einer neuen Gesellschaft realistisch.

Gehörten Vergewaltigungen im Bürgerkrieg zur Kriegsstrategie?
Vergewaltigungen waren eine Kriegswaffe, sie sollten den Gegner schwächen, demütigen, desillusionieren und Terror generieren. Die Zivilbevölkerung sollte so viel Angst haben, dass sie erst gar nicht auf die Idee kam, sich der Guerilla anzuschließen. Aber die Frauen waren auch eine Kriegsbeute, eine Prämie für die Soldaten – das ist die andere Seite der Medaille. Frauen und mehr noch die Maya-Frauen spielten eine immens wichtige Rolle für die Erhaltung der Maya-Kultur – da ist viel Schaden angerichtet worden, denn sie leiten die Kultur weiter – über die Erziehung, über den Austausch, über die Arbeit in der Gemeinde. Das ist zumindest teilweise unterbrochen worden.
Zudem wurden die Frauen für ihre eigene Vergewaltigung verantwortlich gemacht – das ist ein traumatischer  Effekt. Sie haben dadurch Prestige, soziale Kompetenz und Legitimation in ihren Gemeinden verloren. Das ist für die Frauen, für die indigene Gemeinde und den Zusammenhalt eine Tragödie. Diese Tatsache war auch in dem Jahrhundertprozess gegen Ex-Diktator Efraín Ríos Montt ein Thema.

Gibt es Schätzungen über die Vergewaltigungszahlen unter der Ägide der Militärs?
Nein, dazu gibt es keine Zahlen, keine qualitativen Untersuchungen – das ist ein Defizit.

Welche Relevanz hat der Fall für Zentralamerika und darüber hinaus?
Der Fall wird in die Region und nach Lateinamerika ausstrahlen, denn in Ländern wie Kolumbien wird gerade über die Beilegung des bewaffneten Konflikts mit der FARC-Guerilla verhandelt und sexuelle Gewalt ist seit Jahren ein Element des Konflikts. Es gibt zahllose Opfer und die Wahrheitskommission wird sich dem Thema stellen müssen. Es darf keine Amnestie für derartige Verbrechen geben, denn deren Ahndung ist imminent wichtig für die sozialen Strukturen innerhalb der Gemeinden. Das ist das Signal, welches von diesem Prozess ausgeht und welches auch für El Salvador oder Honduras relevant ist.
In Guatemala ist die Zahl der Vergewaltigungen ausgesprochen hoch – eine direkte Folge des überaus brutal geführten Bürgerkriegs?
Sexuelle Gewalt ist eines der gesellschaftlichen Probleme, die lange Jahre ignoriert und totgeschwiegen wurden. Ohne Zweifel steht das im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen. Hinzu kommt der familiäre Inzest, der ebenfalls ein enormes Problem in Guatemala darstellt und ein Tabuthema ist. Gleiches gilt allerdings auch für die jungen Mädchen, die nach einer Vergewaltigung Mütter werden und deren Kindheit abrupt beendet wird. All das ist heute ein Thema in der gesellschaftlichen Diskussion im Kontext des Sepur Zarco-Prozesses. Das Verfahren und die Urteile bringen uns weiter.

Guatemala ist eines der Länder, in dem jedes Jahr hunderte von Frauen verschwinden und oft später ermordet aufgefunden werden. Ist dieser Feminizid auch ein Thema in der Öffentlichkeit?
Ich denke schon, denn mit dem Prozess wird auch die Frage nach den Ursachen der Gewalt gegen Frauen gestellt und dann sind wir schnell bei den patriarchalen Strukturen, die in Guatemala genauso dominieren wie in Mexiko, wo es ebenfalls Feminizide gibt.

Wie steht es um die Frauenbewegung in Guatemala?
Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1996 hat die Frauenbewegung an gesellschaftlichem Einfluss gewonnen. Ein Prozess wie Sepur Zarco, an dem viele Frauenorganisationen beobachtend teilnehmen und zu dem auch internationale Gäste kommen, hat sicherlich einen weiteren Schub für unsere Organisationen zur Folge.

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