Argentinien | Nummer 381 - März 2006

Mehr als nur ein Tennismatch

Deutsche Diplomaten mit offenkundiger Sympathie für die argentinische Militärdiktatur

Die deutsche Wirtschaft profitierte vom „schmutzigen Krieg“ in Argentinien. Mercedes-Benz zum Beispiel ließ in Argentinien während der Diktatur mit Hilfe der Militärs unbequeme ArbeiterInnen verschwinden. Doch auch die Diplomatie drückte gern beide Augen zu: Der deutsche Botschafter ging mit den Generälen des Regimes Tennis spielen und hatte Sicherheitsleute aus den Reihen der Todesschwadron Triple A. Ein Mitarbeiter der Botschaft gab Informationen über Verschwundene an die Militärs weiter, anstatt den Angehörigen zu helfen. Viele dieser Details sind von den
deutschen Diplomaten lange geleugnet worden.

Esteban Cuya

Hansjörg Kastl, von September 1975 bis September 1977 deutscher Botschafter in Argentinien, pflegte samstags auf dem Gelände der deutschen Vertretung mit Admiral Emilio Eduardo Massera Tennis zu spielen. Bei einem dieser Treffen im Februar 1976, vier Wochen vor dem Putsch, informierte Massera Kastl nach dessen späterer Aussage darüber, dass die Streitkräfte einen Staatsputsch herbeiführen würden und bat ihn, diese Information an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland weiterzugeben. Massera war einer der drei Mitglieder der Militärjunta, die in Argentinien am 24. März 1976 gewaltsam die Macht an sich riss.
In den Jahren 1976 und 1977 wurden über 40 deutsche StaatsbürgerInnen, darunter Klaus Zieschank und Elisabeth Käsemann, beziehungsweise deutschstämmige Personen entführt, gefoltert und getötet. Über seine Aktivitäten im Fall Klaus Zieschank sagte Hansjörg Kastl im Jahr 2002: „Ich habe mich sofort mit Herrn Massera in Verbindung gesetzt, der eine schreckliche Rolle gespielt hat und der auch nicht davor zurückgeschreckt ist, Nebenbuhler aus dem Wege zu räumen, das ist nachher bekannt geworden. Dieser Mensch hat mich mit großem Geschick auf falsche Spuren gebracht“.
Die Deutsche Botschaft verfügte während der Jahre 1975 bis 1980 über ein Sicherheitskorps, in dem Mitglieder der Todesschwadron Antikommunistische Allianz Argentiniens (AAA, genannt Triple A) beschäftigt wurden. Die Triple A war in den 1970er Jahren für mehr als 300 Morde an politischen Oppositionellen verantwortlich. Der Chef des Sicherheitspersonals der Botschaft war Kommissar Moreno vom „Ausländermeldeamt“ der Argentinischen Bundespolizei. Als Chef dieser Abteilung wurde Moreno von mehreren StudentInnen als Folterer identifiziert. Unter ihnen befanden sich die Deutschen Werner Würtele und Gisela Burckhard, die im April 1976 zwei Tage lang fest gehalten wurden. Botschafter Kastl wies damals die Kritik an Kommissar Moreno zurück: „Ich sehe keine Veranlassung, aufgrund des Vorfalls eine Abberufung von Moreno zu fordern. Es gibt keinen Hinweis dafür, dass Moreno an Folterungen teilgenommen hat. Beide Studenten wurden nicht gefoltert. Seine Entlassung würde unser Bewachungssystem gerade heute, da wir besonders bedroht sind, praktisch entblößen. Vermutlich sind alle abgestellten argentinischen Polizeibeamten während ihrer Dienstzeit mit der oft nicht konventionellen Bekämpfung des Terrorismus mehr oder weniger beschäftigt. Nähmen wir hieran Anstoß, müssten wir praktisch das gesamte argentinische Wachpersonal entlassen.”

IM Peirano

Seit dem Beginn der Arbeit der Koalition gegen Straflosigkeit (siehe Kasten) im Jahre 1998 berichteten die deutschen Familienangehörigen von Verschwundenen außerdem über die dubiose Figur des Mayors Peirano. Dieser diente der Deutschen Botschaft als angeblicher Kontaktmann zu den argentinischen Streitkräften bei der Suche nach deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen. Er nahm in der deutschen Botschaft in Buenos Aires die Proteste der Familien verschwundener Deutschstämmiger, manchmal sogar anstelle des zuständigen Botschaftspersonals, entgegen. Nach Auskunft der Familien versuchte Mayor Peirano, mehr Informationen über die Verschwundenen, ihre Freundschaften und täglichen Aktivitäten zu erhalten, anstatt dabei zu helfen, sie tatsächlich ausfindig zu machen.
Weder die argentinische Justiz noch deutsche Stellen gaben klare Auskünfte über Mayor Peirano. Überlebende Gefangene der argentinischen Haftzentren Brigada de La Plata und Campo Arana erklärten 1984 vor der Untersuchungskommission über das Verschwindenlassen von Personen (CONADEP), dass ein gewisser Mayor Españadero (=Mayor Peirano) an Operationen wie Entführung, Folter und Verhören teilnahm.
Von deutscher Seite gab das Auswärtige Amt erst 1999 – nach mehreren Anfragen der Koalition gegen Straflosigkeit – in einem Schreiben zu, dass während der Jahre der Militärdiktatur die Botschaft die Zusammenarbeit mit Mayor Peirano akzeptiert hatte, „in der Hoffnung, dass er möglicherweise durch seine Vermittlung helfen würde, das Schicksal der Deutschen oder Deutschstämmigen aufzuklären“. Erstmals wurde damit bestätigt, was Angehörige von Verschwundenen über Jahre hinweg wiederholt hatten, ohne dass dem Beachtung geschenkt oder nachgegangen worden war.
Vor seiner Argentinienreise im März 1999 forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog das Auswärtige Amt dazu auf, zu klären, ob und unter welchen Bedingungen die Deutsche Botschaft die Zusammenarbeit mit Mayor Peirano akzeptiert habe. Kurz darauf enthüllte die argentinische Tageszeitung Página 12 die Identität des bis dato unbekannten Mayor Peirano, den sie als Carlos Antonio Españadero, ehemaligen Geheimdienstoffizier des argentinischen SIDE, identifizierte. Dieser gab zu, in der Deutschen Botschaft in Buenos Aires gearbeitet und die Beschwerden der deutschen Angehörigen entgegengenommen zu haben: „Wenn der Verhaftete terroristisch aktiv war, wurde er nicht gerettet“ – unter den vierzig Fällen von deutschstämmigen Verschwundenen seien aber keine Terroristen gewesen. Bei seiner Aussage vor dem argentinischen Bundesrichter Cattani im Februar 2000 gab Peirano aber auch an, dass in allen Fällen, in denen er tätig wurde, trotz der Gespräche und der Hilfe von Familienangehörigen niemand gefunden werden konnte. Heutzutage vermarktet Carlos A. Españadero seine Erfahrung und Wissen als Experte für private Sicherheit.

Der Autor ist Mitglied der Koalition gegen Straflosigkeit mit Sitz in Nürnberg. Der in Auszügen veröffentlichte Beitrag erscheint demnächst in dem neu aufgelegten Buch Außenpolitik und Menschrechte von Konstantin Thun

Kasten:

Lautlose Loyalität

Die deutsche Regierung wusste von Anfang an Bescheid. Bereits im Vorfeld war sie über den anstehenden Putsch in Argentinien informiert worden. Unternommen hat sie dagegen nichts. Schon 1985 entlarvt eine Analyse von Konstantin Thun die „stille Diplomatie“ der BRD als „stille Sympathie“ mit dem Militärregime. Der Bundesrepublik Deutschland waren die guten Wirtschaftsbeziehungen zu Argentinien wichtiger als jede Kritik an der staatlichen Repression unter der argentinischen Diktatur – selbst als Deutsche in Argentinien verschwanden und ermordet wurden.
Seit 1998 arbeitet die deutsche Koalition gegen Straflosigkeit gemeinsam mit argentinischen Menschenrechtsorganisationen daran, die Fälle von deutschen und deutschstämmigen Opfern vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden untersuchen und verfolgen zu lassen. Neben den juristischen Auseinandersetzungen spielt auch die nach wie vor nicht erfolgte politische Aufarbeitung der deutsch-argentinischen Vergangenheit eine große Rolle. In diesem Kontext hat Thuns Buch Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland – Argentinien 1976-1983 nicht an Brisanz und Aktualität verloren. Es wird deshalb anlässlich des 30. Jahrestages des Putsches in Argentinien von der Koalition gegen Straflosigkeit neu aufgelegt – ergänzt mit Beiträgen über die Entwicklungen seit dem Ende der argentinischen Militärdiktatur 1983 und dem Regierungsantritt von Kirchner im Jahr 2003.

Koalition gegen Straflosigkeit: Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland – Argentinien 1976-1983. Neuauflage mit Beiträgen von Konstantin Thun, Osvaldo Bayer, Kuno Hauck, Roland Beckert, Wolfgang Kaleck, Esteban Cuya, Horlemann Verlag, Bad Honnef.
Am 10. März 2006 veranstaltet die Koalition gegen Straflosigkeit mit dem FDCL eine Fachtagung zum Thema „30 Jahre Putsch in Argentinien 1976-2006“ (nähere Informationen, siehe Service-Teil, S. 71).

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