Chile | Nummer 229/230 - Juli/August 1993

Mehr Frauen ins Parlament

Feministische Positionen im Wahlkampf

Mit der Demokratie kann es nur etwas werden, wenn die Frauen dabei sind! Das ist die Meinung vieler chilenischer Frauen und Feministinnen. Aber großes Vertrauen in die Männerparteien haben sie nicht mehr. Obwohl die chilenischen Frauen im Demokratisierungsprozeß aktiv mit dabei sind, sind in führenden Positionen von Parteien und Volksvertretung Frauen nur unwesentlich vertreten. An politischen Entscheidungsprozessen sind sie kaum beteiligt. Ihre aktive Beteiligung ist lediglich dann gefragt, wenn es um Inhalte geht, die mit der Familie und dem Aufrechterhalten der traditionellen Werte und Rollen zu tun haben. Was hat sich in den drei Jahren der Concertación für die chilenischen Frauen getan, sind ihre Forderungen erfüllt worden und was wird ihre Rolle bei den nächsten Wahlen sein?

Lisa Luger

Obwohl Frauen mit 52 Prozent mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, waren bei den Abwahlen der Diktatur im Dezember 1989 nur 7 Prozent aller 528 KandidatInnen für das neu zu konstituierende Parlament Frauen. Zudem fühlten sich die Kandidatinnen durchweg mehr ihrer Partei als ihren Artgenossinnen verpflichtet. Parteiloyalität siegte wieder einmal über Frauensolidarität. Und auch die chilenische Frauenbewegung, die seit Jahren immer wieder über Parteigrenzen hinweg nach gemeinsamen politischen Forderungen und Aktionen gesucht hat, war nicht fähig, eigene konkrete Vorstellungen zu entwickeln. Eine gemeinsame Kandidatin der Frauenbewegung mit frauenpolitischem Wahlprogramm stand nicht zur Debatte. Als Konsequenz daraus sind heute unter den 120 Abgeordneten nur sechs Frauen (darunter eine Feministin), unter 47 SenatorInnen nur zwei Frauen und in Führungspositionen der Regierung nur eine Ministerin zu finden.

Die Linke und ihre Probleme mit der Frauenbewegung

Daß die konservativen chilenischen Parteien nicht sehr fortschrittlich in Frauenfragen sind, verwundert nicht weiter. Aber auch die linken Parteien haben im Grunde genommen die Frauenbewegung nie ernst genommen. Tatsächlich ging es ihnen nicht darum, die Probleme der Frauen zu lösen, sondern lediglich, Frauen als Stimmvieh zu gewinnen. Sie scheinen bisher nicht begriffen zu haben, daß sie ihre Stärke zum Großteil aus den Frauen beziehen, die im Plebiszit und während der Wahlen eine wichtige Rolle gespielt haben und bereits während der Zeit der Diktatur ebenso wie die Jugendlichen immer wieder HauptakteurInnen im Widerstand waren.
Mittlerweile hat in der chilenischen (ebenso wie in der bundesdeutschen) Linken eine gewisse Bewußtseinsänderung stattgefunden. Das Wort “Gleichberechtigung” ist in aller Munde und auch die sozialen und geschlechtsspezifischen Ungleichheiten werden benannt. Jedoch stößt frau in der Praxis schnell an die Grenzen dieses neuen Bewußtseins, wenn es um Macht und Sicherung von Privilegien geht.
Und das, obwohl sich die linken Parteien doch immer auf Seiten der Unterdrückten sehen. Der sogenannte Demokratisierungsprozeß in Chile bietet eine Chance zur sozialen und politischen Neuorientierung. Jetzt ist es an der Zeit, daß die Linke konsequent Stellung bezieht, sich für die Errichtung einer wirklich gleichberechtigten Gesellschaft einsetzt und eine Politik anstrebt, die über die Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung und gleicher Entlohnung hinausgeht. Sie muß sich endlich auch mit Themen wie Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung, Gewalt in der Ehe, Ehescheidung, Abtreibung und den spezifischen Lebensbedingungen von Frauen auseinandersetzen und Entscheidungsbefugnis für Frauen in allen Lebensbereichen fordern.
Probleme, denen Frauen ausgesetzt sind, gehen nicht nur die Frauen an.
Soll es zu einer echten Demokratie kommen, dürfen diese Themen nicht wieder als Nebenwiderspruch auf später verschoben und hinten angestellt werden. Andererseits ist es auch an der Zeit, daß sich die Frauen ihrer Stärke bewußt werden und ihre Rechte einklagen.

Was hat sich für die Frauen verändert?

Von den konkreten Forderungen nach Gesetzesreformen, 1989 während des Wahlkampfes von Frauen aus Parteien, Gewerkschaften, sozialen Gruppen und Frauengruppen als “konzertierte Aktion der Frauen für Demokratie” eingebracht, wurde bisher nur sehr wenig verwirklicht.
Zwar wurde mittlerweile – angegliedert an das Familienministerium – das Nationale Frauenbüro Sernam (Servicio Nacional de la Mujer) eingerichtet, doch der eng begrenzte Etat limitiert die Arbeit des Büros erheblich. Es gibt kaum Mittel für Öffentlichkeitskampagnen, um Frauenbelange breiter bekannt zu machen und zu diskutieren. Auch die politische Wirkung des Frauenbüros ist eher bescheiden. Insgesamt scheint Sernam eher eine Maßnahme zur Beschäftigungstherapie und ein Projekt der Befriedung von Frauen zu sein, als ein politisches Instrument zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Auch die drängendsten Forderungen nach Gesetzesreformen wurden nicht annähernd erfüllt: Immer noch ist Ehescheidung ein Tabuthema. Abtreibung ist immer ein Straftatbestand, während Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe trotz eindringlicher Forderung immer noch nicht eindeutig unter Strafe gestellt sind.

Aber die Frauen bewegen sich

Viele langjährig in politischen Parteien organisierte Frauen mußten letztlich feststellen, daß sie in den männerdominierten Parteien untergehen und ein Demokratisierungsprozeß für Frauen nicht mittels politischer Parteien erfolgen kann. Viele sind frustriert aus ihrer Partei ausgetreten, weil sie für sich und die Durchsetzung ihrer frauenpolitischen Interessen keine Basis sahen.
In der Frauenbewegung sehen sie ihre neue Wirkungsstätte und eine Möglichkeit zum Engagement.
Noch während der Zeit der Diktatur haben sich zahlreiche Frauengruppen gebildet, die in einem breiten Spektrum aktiv wurden: von konkreter finanzieller Hilfe z.B. für die BewohnerInnen der Elendsviertel, über politische Unterstützung z.B. der politischen Gefangenen, hin zu frauenpolitischen Forderungen, wie etwa der Legalisierung der Abtreibung.
Seit Ende der 80er Jahre gibt es in allen Regionen Chiles eine breite Frauenbewegung unterschiedlichster Couleur, die auf vielfältige Art dabei ist, das Leben in Chile für die Frauen zu verändern.
Es gibt konkrete Hilfe für geschlagene Frauen, sowie Rechtsberatung und Unterstützung bei gesundheitlichen und psychischen Problemen. Es werden feministische Studien durchgeführt, feministische Ausbildungsprogramme für Frauen und Mädchen entworfen, Kampagnen gestartet, die Probleme von Frauen öffentlich gemacht. Diskussionen über die Rolle der Frauen in Führungspositionen werden angeregt und Themen wie “Frau und Macht”, “Frau und Geld”, “Frau im Arbeitsprozeß” aus feministischer Sicht angesprochen. Es gibt ein feministisches Radio, eine Frauenbuchhandlung, eine Frauenzeitschrift, ein Frauenhaus … und vieles andere mehr.
Die Frauen bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen, und in der Diversität liegt ihre Stärke.
Bei öffentlichen Kampagnen zu einschlägigen Frauenthemen wird die Stärke der chilenischen Frauenbewegung deutlich, wenn sich trotz ideologischer Unterschiede Frauen aus den unterschiedlichsten Gruppen für eine gemeinsame Sache engagieren. So zum Beispiel am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen: In der FußgängerInnenzone im Zentrum Santiagos gingen Hunderte von Frauen auf die Straße, um Unterschriften zu sammeln für die Durchsetzung einer Gesetzesänderung zur Bestrafung von Gewalt in der Ehe. Innerhalb weniger Stunden trugen sie über 5.000 Unterschriften zusammen und diskutierten mit den PassantInnen über den unmöglichen Zustand, daß ein bereits vor drei Jahren eingebrachter Antrag, Gewalt in der Ehe endlich unter Strafe zu stellen, vom Parlament bisher immer noch nicht behandelt worden ist. Er wird ganz offensichtlich blockiert. Im Gegensatz zu uns deutschen Feministinnen scheuen sich die Chileninnen nicht, punktuell mit Männern zusammenzuarbeiten. Nur mit der Masse an Unterschriften von Männern und Frauen gibt es eine Chance, Druck auf Parlament und Gerichtsbarkeit auszuüben und die Debatte über Gewalt gegen Frauen ins Rollen zu bringen.
Für die nächsten Wahlen gibt es eine feministische Kandidatin aus der Frauenbewegung. Ihre Kandidatur wird von der Iniciativa Feminista (Feministische Initiative), einer Organisation, der diverse Gruppen der feministischen Bewegung angehören, unterstützt.

Mehr Frauen ins Parlament

Unter diesem Motto wurde im Hinblick auf die nächsten Wahlen im Dezember 1993 vor kurzem unter Federführung des Instituto de la Mujer (Institut der Frau) in Santiago eine Kampagne gestartet, die auf die geringe Präsenz der Frauen in Führungspositionen aufmerksam machen sollte. Sie soll aber auch die Kandidatur von Frauen unterstützen, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen und “Politik der Bevölkerung wieder näherbringen und humanisieren” wollen.
Die Unterstützung galt sowohl den wenigen Frauen in den politischen Parteien der Concertación als auch unabhängigen Kandidatinnen, wie z.B. der Kandidatin der feministischen Initiative.
Die Situation der Kandidatinnen innerhalb der Concertación und der Unabhängigen ist sehr unterschiedlich, aber beide sind von dem chilenischen Wahlgesetz betroffen. So wird die Kandidatur von Parteiunabhängigen fast unmöglich gemacht, aber auch innerhalb der Parteien führt das zu Ausgrenzungen.
Was die Kandidatur der Feministinnen in den Parteien der Concertación betrifft, werden sie im Parteienhickhack aufgerieben. Ihre Forderungen und Programme werden als politisch unwichtig abgetan. Sie erhalten für ihre Kandidatur innerhalb ihrer Partei keine Unterstützung (nicht mal von ihren eigenen Parteigenossinnen). Konkret bedeutet das, daß diese Frauen entweder gar nicht berücksichtigt wurden und stattdessen männliche Parteikollegen nominiert worden sind, oder auch, daß die viel zu wenigen Frauen in Konkurrenz zueinander kandidieren sollen. So geschehen im Falle der bisher einzigen feministischen Abgeordneten Adriana Munoz, die einzige die sich in der letzten Regierungsperiode überhaupt um Frauenbelange gekümmert und Themen wie Abtreibung oder Gewalt in der Ehe öffentlich benannt hat. Ihre bisherige erfolgreiche politische Arbeit wurde nicht honoriert, sondern fiel der Parteiraison zum Opfer. Sie bekommt von ihrer eigenen Partei (PS) in ihrem Wahlbezirk Pudahuel in Santiago eine Konkurrenzkandidatin zugeordnet, Denis Pasqual (aus der Familie Allende), die zwar Frau, aber in keinster Weise an Frauenfragen interessiert ist, geschweige denn ein frauenpolitisches Bewußtsein an den Tag legt. Denis Pasqual hat aber allein aufgrund ihrer familiären Herkunft gute Chancen. Adriana Munoz wird so wohl kaum WählerInnenstimmen erhalten.
Doch daß in den Parteien Kandidaturen von Individuen zulasten von KandidatInnen gehen, die eine gesellschaftliche Bewegung hinter sich haben, führt zur Konzentration von Macht in den Händen weniger. Die Politik entfernt sich immer mehr von der Bevölkerung.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Kandidatur von Isabel Carcamo, der Vertreterin der Feministischen Initiative zu sehen, die sich mit konkreten Forderungen der Frauenbewegung zur Wahl stellen wird. Die Chileninnen schätzen die Kandidatur selbst als einen “saludo a la bandera”, einen Gruß an die Fahne, realistisch ein. Als unabhängiger Kandidatin bleibt ihr angesichts der Stärke der politischen Parteien und deren Rückhalt in der chilenischen Bevölkerung keine Chance. Wie in anderen Ländern auch ist die feministische Bewegung in Chile im Verhältnis klein und ökonomisch unbedeutend. Sie nimmt von daher in den Medien nur einen sehr geringen Raum ein.
Das Gute an dieser Kandidatur ist jedoch – und daher kommt letztendlich auch die Motivation dazu -, daß sie durch ihre Unabhängkeit keine Rücksicht auf parteiinterne Sensibilitäten und Tabus nehmen braucht und deswegen lautstark und aggressiv die Themen benennen kann, die ihr wichtig sind und die bei allen politischen Parteien untergehen.
Natürlich ist es schwierig, angesichts des aussichtslosen Kampfes und der Übermacht der Parteien trotzdem die Kraft für diese Kandidatur aufzubringen. Aber die chilenischen Feministinnen sehen darin zumindest eine Möglichkeit, ein Stück verlorengegangenen Idealismus wieder in die Debatte einzubringen, die vom Pragmatismus der neuen Zeiten bestimmt ist.

Kasten:

Unter den konkreten Forderungen nach Gesetzesreformen sind u.a.:
– sofortige Unterzeichnung der UNO-Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierungen von Frauen
– Festschreibung der Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Verfassung, unabhängig von Familienstand der Frau
– volle Rechte für verheiratete Frauen
– im Strafrecht: Anerkennung und Verfolgung des Deliktes “Gewalt in der Familie”, die sich gegen Frauen, Kinder und alte Menschen richtet
– Anerkennung von Vergewaltigung als Strafdelikt
– Anerkennung von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe als Strafdelikt

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