Costa Rica | Nummer 481/482 - Juli/August 2014

„Mein Körper, meine Entscheidungen“

Junge Feministinnen kämpfen künstlerisch gegen Alltags-Machismo

La Tule, UVE und Las Caracolas, drei feministische Gruppen in Costa Ricas Hauptstadt, haben genug vom patriarchalischen System. Doch vom theoriebesessenen Altfeminismus fühlen sie sich nicht verstanden, nicht gehört. Deshalb finden sie eigene Wege, den Alltags-Machismo anzuprangern und ihre Forderungen klarzumachen.

Anna Hackl

Ein Morgen im November 2013, ganz Costa Rica zieht die Augenbrauen hoch. Weniger aus Anerkennung, die meisten aus Ablehnung. Im Fernsehen, in den Zeitungen, im Radio, überall wird über die „Schmierereien an der Bischofskonferenz“ berichtet. Die Zeitung Diario Extra titelt: „Eine Vagina und Beleidigungen verunstalten Bischofskonferenz“. Am Haupteingang des großen, grauen Gebäudes steht „Weder Jungfrau, noch Schlampe“ neben „Rosenkränze raus aus meinen Eierstöcken“. Und dazwischen thront die Zeichnung einer Vagina. Die Schuldigen (oder Künstlerinnen?), sind bis heute nur in feministischen Kreisen bekannt.
„Für uns sind Aktionen wie diese enorm wichtig“, lächelt Sandra (alle Namen der Aktivistinnen geändert; Anm. d. Red.) verschmitzt. Sie ist Teil von La Tule, einer der feministischen Gruppen, deren Spuren in ganz San José an Wänden und Mauern zu finden sind. „Unser Name entstammt der Geschichte einer Hexe, La Tule, die von Kindern geärgert wird und sich an ihnen rächt, indem sie sie erschreckt. Uns gefällt dieses Bild sehr, denn das ist auch unser Metier. Leute erschrecken, provozieren, anecken und so die Aufmerksamkeit auf unsere Themen ziehen.“
Die Themenliste der ambitionierten Gruppe ist lang. „Wir sind das patriarchalische System in Costa Rica und Lateinamerika leid“, empört sich María Lucía. „Uns wird oft gesagt: ‚Was wollt ihr denn, wir sind doch gleichberechtigt, haben doch dieselben Rechte! Wir hatten sogar eine Präsidentin, regt euch doch nicht auf!‘ Sowas macht mich zornig. Nur, weil wir eine Präsidentin haben, heißt das nicht, dass meine Rechte als Frau auf einer Ebene mit denen eines Mannes sind. Schaut euch doch um! In Costa Rica sind wir noch sehr weit weg von Gleichberechtigung…“
Das kleine zentralamerikanische Land hat den Ruf, die „Schweiz Lateinamerikas“ zu sein, einen relativ hohen Lebensstandard zu bieten, Menschenrechte zu respektieren. Alles Pura Vida also, wie der Slogan des Landes lautet? Eher nicht. Besonders die Situation der Frau trübt das Bild entscheidend. Häusliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein Tabuthema ohnegleichen. Im Jahr 2013 gebaren 14.000 Minderjährige Kinder, von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Abtreibung ist illegal. Machismo ist Alltag. Lässt ein Mann eine schwangere Frau zurück, ist das gesellschaftlich weithin akzeptiert. Frau sollte sich glücklich schätzen, wenn Mann überhaupt die Bürde auf sich nimmt, Familienoberhaupt zu werden. Und sowieso ist es nie die Schuld des Mannes. Die typischen Sprüche: „Was hat sie sich auch so angezogen? Die will das, die sucht das doch. Männer, tobt euch aus, Frauen hebt euch auf!“
Diese Botschaft wird in Weihrauch verpackt auch von der omnipräsenten katholischen Kirche verbreitet. Costa Rica zählt zu der Handvoll Länder weltweit, die diese als Staatskirche anerkennen. Drei Viertel der Menschen des Landes gehören ihr an und immer noch trotten die meisten ihren Hirten hinterher.
Estado Laico Ya, die Forderung nach der Trennung zwischen Staat und Kirche, ist deshalb eines der meist gesehenen Graffiti in San José. Unter vielen steht in hastig eckiger Schrift „UVE“. Diese Gruppe vereint ein knappes Dutzend Frauen zwischen 20 und 30, von denen sich die meisten an der Universität kennengelernt haben. Auch ihr Ziel ist es, aufzurütteln, die Schafe aufzuwecken. „Wir denken, wenn wir unsere Erfahrungen teilen, verteidigen wir uns und unsere Rechte. Gemeinsam fühlen wir uns stärker. Denn wir erleben alle ähnliche Situationen. Man pfeift uns auf der Straße hinterher, bombardiert uns mit sexistischen Werbungen, zwängt uns in ein Bild, dem wir uns anpassen sollen“, erklärt Sara.
Im Gegensatz zu La Tule und UVE sind Las Caracolas nicht nachts in San Josés Straßen unterwegs. Die Gruppe besteht aus 15 Freundinnen, die irgendwann beschlossen, einen Raum zu schaffen, in dem frau kritisch reflektieren kann. „Wir entstanden aus der Unzufriedenheit, aus der Notwendigkeit heraus, über Alltagsproblematiken zu sprechen und gemeinsam mit anderen Frauen nach Lösungen zu suchen“, erklärt Camila. Die Gruppe trifft sich regelmäßig, arbeitet an sich selbst, aber auch mit anderen. „Ein großer Teil des Machismo geht auch hier von Frauen aus“, fügt Camila hinzu. „Wir wollen erreichen, dass das aufhört. Dass Frauen sich verbünden, statt sich anzufeinden.“ So geben Las Caracolas Kurse, in denen sie den Themenkatalog der anderen zwei Gruppen aufgreifen.
Die drei Gruppen kennen sich untereinander und wenn es um große Aktionen geht, arbeiten sie zusammen. So auch am 17. November 2013, als die katholische Kirche zum „Marsch für das Leben“aufruft. Massive Werbekampagnen und das Angebot der Sündenvergebung bei Teilnahme führen dazu, dass an dem strahlenden Sonnensonntag die ganze Hauptstraße voller Menschen ist, die stolz Banner mit „Nein zur Abtreibung – Ja zum Leben“ oder „Wir unterstützen die gottgewollte Familie – Nein zur Homoehe!“ in die Höhe halten.
Nur ein Block von der Kathedrale entfernt ist der Ton ein anderer. „Ich habe abgetrieben“, schreit Sofía von Las Caracolas den Gläubigen entgegen. Auf ihrer nackten Brust steht: „Mein Körper, meine Entscheidungen“. Hand in Hand steht sie mit einem Dutzend Mädchen der drei Gruppen am Straßenrand, alle mit roten Augenmasken, manche mit rotgefärbten Hosen und die meisten mit Schriftzügen auf den nackten Oberkörpern. Ana hält ein Schild in die Luft, das „Auf dass dein Glauben meine Rechte nicht verletzt“ fordert. Gemeinsam fallen sie in einen Sprechgesang, den sie den „Abtreibungs-Rosenkranz“ nennen.
„Ja, ich habe abgetrieben“, rufen sie. „Weil ich zwölf war! Weil ich vergewaltigt wurde! Weil mir niemand erklärte, wie ein Kind entsteht! Weil ich kein Geld habe, ein Kind großzuziehen! Weil das Kondom gerissen ist! Weil der Vater sich verpisst hat! Weil es meine Entscheidung ist!“ Die Katholik_innen, die an ihnen vorbeilaufen, halten inne, verwirrte Blicke zieren die Gesichter, die eben noch „Ja zum Leben, nein zur Abtreibung“ riefen. Ein Pfarrer scheucht mit routiniert autoritärer Stimme seine Schäfchen weiter.
Sofía von Las Caracolas erklärt: „In Costa Rica wird nicht hinterfragt, hier nicken die Leute einfach brav. Dabei befinden wir uns in einer politischen Situation, die von der Unterdrückung der Frauenrechte geprägt ist. Die Kirche mischt bei allem mit und verhindert die Umsetzung von international anerkannten Menschenrechten. Wir wollen frei und kostenlos abtreiben können! Wir wollen die Trennung zwischen Staat und Kirche! Bis wir das nicht haben, werden wir weiter auf die Straße gehen und unbequem sein.“

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