Literatur | Nummer 370 - April 2005

Meister des Wortspiels

Zum Tod des kubanischen Schriftstellers Guillermo Cabrera Infante

Als Gegner des Batista-Regimes saß er im Gefängnis, unter Fidel Castro protestierte er gegen die Zensur. Vom Exil aus reiste er in den 1960er Jahren nur noch einmal nach Kuba zurück. Ende Februar starb Guillermo Cabrera Infante im selbstgewählten Londoner Exil an einer Blutvergiftung.

Timo Berger

Nach Bekanntwerden des Todes von Guillermo Cabrera Infante rückten die deutschen Nachrichtenagenturen vor allem den politischen Aspekt seines literarischen und journalistischen Schaffens in den Vordergrund. Dass Cabrera Infante ein „Symbol des kubanischen Widerstands“ gewesen sei, fand sich auch in den Nachrufen von Spiegel bis Zeit. Zu lange, könnte man vermuten, lag das Erscheinungsdatum seines Hauptwerkes Tres tristes tigres (1967, deutsch 1987 Drei traurige Tiger) zurück, mit dem der Autor auch in Deutschland eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte.

„Puff für europäische Touristen“

Cabrera Infantes von den KritikerInnen vielgepriesenes intellektuelles Engagement beschränkte sich aber vor allem auf den spanischsprachigen Raum, zuletzt auf seine regelmäßigen Kolumnen in der Madrider Tageszeitung El País. Hierzulande fiel er vor kurzem durch einige abfällige Bemerkungen über das heutige Kuba auf: „Unter der (1959 von Castro gestürzten) Batista-Diktatur, so hieß es immer, war Kuba ein Bordell für die Amerikaner. Heute ist es zu einem Puff für europäische Touristen geworden“, erklärte der Schriftsteller mit seinem notorischen Hang zu Wortspielen Anfang diesen Jahres dem Spiegel.
Im Gegensatz zu anderen Boom-Autoren wie Gabriel García Márquez, Carlos Fuentes und Mario Vargas Llosa gehörte Cabrera Infante zu Unrecht zu den Autoren, deren Ruhm auf nur ein Buch gründete. Zwar war er nach Drei Traurige Tiger weiterhin schriftstellerisch tätig, doch seine Werke fanden weder bei den KritikerInnen noch bei der Leserschaft einen vergleichbaren Widerhall. Dazu mag auch der Autor selbst beigetragen haben, indem er Vorarbeiten und Teile seines Erfolgsbuches im Nachhinein als eigenständige Erzählungen veröffentlichte – so als würde er selbst wenig Vertrauen in seine späteren Werke setzen.
Überraschend kam dann auch die Verleihung des Cervantes-Preises 1997, der bedeutendsten Auszeichnung für spanischsprachige Literatur. Eine Art späte Genugtuung für einen Autor, der gegenüber anderen SchriftstellerInnen der Boom-Generation zunehmend ins Hintertreffen geraten war, während deren Veröffentlichungen bis heute als literarische Großereignisse gefeiert werden.
Guillermo Cabrera Infante wurde am 22. April 1929 in Gibara auf Kuba geboren. Als er zwölf Jahre alt war, zog er mit seinen Eltern nach Havanna um. Das Jahr 1947 markierte einen ersten Wendepunkt in seinem Leben: er gab das Medizinstudium auf und fing an zu schreiben. 1950 begann er ein Studium an der Journalistenschule – der Journalismus sollte, neben dem Kino, zu einer seiner großen Leidenschaften werden.
1952 geriet Cabrera Infante zum ersten Mal mit der strengen Zensurbehörde des Batista-Regimes in Konflikt. Aufgrund der Veröffentlichung einer Kurzgeschichte, die, so der Vorwurf, „englisch profanities“ (also Anzüglichkeiten) enthalten hätte, wurde er festgenommen und musste schließlich eine Geldbuße bezahlen. Aus dieser Zeit rührte seine erbitterte Gegnerschaft zum Batista-Regime, die ihn später noch ins Gefängnis bringen sollte. Auch seine Eltern waren als Mitgründer der kommunistischen Partei Kubas Oppositionelle.
1953 heiratete er zum ersten Mal. Ein Jahr später begann er unter dem Pseudonym G. Cain in der Wochenzeitung Carteles Filmkritiken zu schreiben. 1957 wurde er sogar Redaktionschef des Blattes. Zusätzlich zu seiner journalistischen Tätigkeit, verfolgte er seine schriftstellerischen Ambitionen und gewann in den folgenden Jahren mit seinen Kurzgeschichten Preise und Auszeichnungen. Er nahm aktiv am intellektuellen Leben Kubas teil, gründete die Cinemateca de Cuba, der er von 1951 bis 1956 als Leiter vorsaß. Nach der Revolution 1959 wurde er zum Direktor des Nationalen Kulturrats und des Filminstituts ernannt. Gleichzeitig dirigierte er die Literaturbeilage „Lunes de Revolución“ von der Gründung bis zu deren Schließung im Jahr 1961. Doch erst 1960 erschien seine erste bedeutende Erzählung Como en la paz en la guerra (deutsch Wie im Krieg so im Frieden). Ende 1961 heiratete er die Schauspielerin Miriam Gomez.
War Cabrera Infante anfangs als Teil des Batista-Widerstands ein Anhänger der kubanischen Revolution, begann bald nach den ersten Säuberungen und Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit seine Entfremdung von der Regierung Fidel Castros. Anfang der 60er Jahre protestierte er öffentlich gegen die Zensur literarischer Bücher und ging daraufhin in den diplomatischen Dienst nach Europa. Er selbst interpretierte seine Berufung zum Kulturattaché der kubanischen Vertretung in Belgien als „Abschiebung“. Dieser Aufenthalt im Ausland beschäftigte Cabrera Infante auch noch nach dreißig Jahren im Exil. Er schrieb, dass dieser ihm in Bezug auf die kubanische Revolution „die Augen geöffnet“ habe. Danach habe er sich in einen Gegner Castros verwandelt.
1964 gewann er seinen ersten internationalen Preis mit Vista del amanecer en el trópico (deutsch Die Ansicht der Tropen im Morgengrauen) den Preis „Biblioteca Breve“ des katalanischen Verlagshauses Seix Barral. 1965 kehrte er das letzte Mal nach Kuba zurück, um dem Begräbnis seiner Mutter beizuwohnen. Danach quittierte er den diplomatischen Dienst und ging freiwillig ins europäische Exil: zuerst für eine kurze Zeit nach Madrid, danach nach London. 1979 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.

Experimentelles Delirium

Mit der Veröffentlichung von Tres tristes tigres wurde er international berühmt. Es ist ein Sittengemälde des nächtlichen vorrevolutionären Havannas. Während einer endlosen Autofahrt erzählen sich drei Freunde, die „Tiger“, ihre Geschichten von Liebe, Sex, Musik, Drogen und Gewalt. Immer wieder wird diese Fahrt unterbrochen durch eingeschobene Erzählungen, Kino-Plots und Nebenhandlungen, in denen Cabrera Infante seine Vorliebe für Sprachspiele und Experimente verfolgt. Unvergessener Höhepunkt seines experimentellen Deliriums ist eine Folge von Erzählungen, die, den Stil verschiedener kubanischer Autoren imitierend, den Tod von Leo Trotzki schildern.
Andere Hauptwerke von Cabrera Infante sind Rauchzeichen (Holy Smoke, 1963), eine Kulturgeschichte des Tabaks, und der Essay Kino oder Sardine? (Cinema or Sardine?, 1997). Zudem verfasste er Drehbücher wie etwa für John Houstons Adaptation von Malcom Lowrys Unter dem Vulkan. Auf Deutsch erschien von ihm außerdem eine Sammlung von Film-Essays mit dem Titel Nichts als Kino (alle deutschen Titel im Suhrkamp Verlag).
Die letzten Jahre seines Lebens lebte er in London und widmete sich der Literatur und dem Journalismus. 1991 rechnete er in einer Sammlung politischer Schriften, Mea Cuba, mit Castro ab. Nach Kuba wollte er erst wieder zurückkehren, nach dem Ende der Regierung Castro, erklärte er noch 1997.
Im Alter von 75 Jahren erlag Cabrera Infante am 21. Februar 2005 in einem Londoner Krankenhaus einer Blutvergiftung, die er sich als Folge mehrerer schwerer Erkrankungen zugezogen hatte. Nach Angaben seiner Familie hatte er sich kürzlich bei einem Sturz eine Hüfte gebrochen. Außerdem litt er an Diabetes und einer Lungenentzündung.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren