Kolumbien | Nummer 457/458 - Juli/August 2012

„Mit Büchern gegen Gewehrkugeln“

Interview mit Guillermo Antonio Correa und Miguel Enrique Morantes über die schwierige Situation von Gewerkschaftern in Kolumbien

Kolumbien ist trauriger Rekordhalter bei der Anzahl der ermordeten Gewerkschater_innen. Mehr als 60 Prozent der weltweit an Gewerkschafter_innen verübten Morde fanden in Kolumbien statt. Die LN sprachen mit Guillermo Antonio Correa und Miguel Enrique Morantes Sabogal über die veränderte Situation der Gewerkschafter_innen in Kolumbien, sowie über die Konsequenzen der Freihandelsabkommen mit den USA und der Europäischen Union.

Interview: Knut Henkel

Guillermo Antonio Correa, Sie sind Autor der Studie Mit Büchern gegen Gewehrkugeln, die Sie nun in Europa vorstellen. Was kann ein Buch bewirken anlässlich der anhaltenden Verfolgung von Gewerkschaftern in Kolumbien?
Correa: Uns ging es darum die Geschichte der Opfer am Beispiel einer spezifischen Gewerkschaft von Lehrern in einer bestimmten Region Kolumbiens, in Antioquia, aufzuzeichnen. Zudem hat es uns interessiert, ob sich die Vorgehensweise gegen organisierte Lehrer von der gegen organisierte Arbeiter unterscheidet.

Ist dem so?
Correa: Wir haben festgestellt, dass diese eine Gewerkschaft mehr als 350 Opfer, Lehrer, Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter, zu beklagen hatte in einem Zeitraum von 30 Jahren. Diese Lehrer sind meist die am besten informierten, die lesenden Gesellschaftsmitglieder, die ein hohes Ansehen genießen und ihre Schüler und ihre Studenten informiert und verteidigt haben. Das war oft schon der zentrale Grund für ihre Ermordung durch die Paramilitärs oder die Guerilla und diese gingen genauso vor wie bei der Verfolgung von Gewerkschaftern anderer Sektoren.

Ziel des Buches war es Strukturen aufzudecken?
Correa: Ja, wir wollen die Strukturen hinter den Morden und die Geschichte der Opfer aufdecken.

Hat sich daran etwas geändert? Die Zahl der Morde an Gewerkschafter_innen ist in Kolumbien gesunken, auch der Anteil der Lehrer_innen an den Ermordeten?
Correa: In diesem Jahr hat es bisher acht Morde an Gewerkschaftern gegeben und alle sind hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre und das Gros stammt aus dem Verwaltungsdistrikt Valle de Cauca, anders als vorher als wir viele Morde in Santander und in Antioquia zu verzeichnen hatten.

Warum ist der Verwaltungsdistrikt so riskant?
Morantes: Wir als CTC (Gewerkschaftsdachverband, Amn. d. Red) sind in der Region sehr aktiv und viele der Opfer gehören unseren Gewerkschaften an – wie der SintraXamundi. Das ist eine neue Organisation, die Arbeiter im öffentlichen Sektor vertritt und im Fokus der Verfolgung steht, obwohl der oberste Dienstherr letztlich der Bürgermeister der Stadt Jamundí ist. Er weigert sich Verhandlungen mit der Gewerkschaft, die erst im Januar gegründet wurde, aufzunehmen. Ein Grund ist sicherlich die Korruption im öffentlichen Sektor, die ja wiederholt Schlagzeilen gemacht hat, aber auch die diversen Skandale der Regierung von Álvaro Uribe Vélez, die nun ans Tageslicht kommen. Eine unserer Direktoren musste in diesem Kontext nach Panama gehen, weil sie abgehört und bedroht wurde im Kontext des Geheimdienstskandals. Da hat der DAS, der mittlerweile aufgelöste Geheimdienst, im Auftrag des Präsidentenpalastes Richter, Politiker, Gewerkschafter und Journalisten, insgesamt mehr als einhundert Menschen des öffentlichen Lebens, abgehört und überwacht.

In Deutschland kommt dazu wenig an, da wird registriert, dass die Zahl der ermordeten Gewerkschafter sinkt und das wird als positive Entwicklung wahrgenommen. Ist es so einfach?
Morantes: Nein, denn es gibt nicht mehr Sicherheit. Zum Beispiel gab es früher 5000 gepanzerte Wagen für gefährdete Personen, heute sind es 3000.

Wie reagiert denn die Regierung auf die Situation im Valle de Cauca und in Jamundí?
Morantes: Wir haben mit dem Vizepräsident gesprochen, der hat einen Brief auf den Weg gebracht und die lokalen Verantwortlichen gebeten sich zu kümmern.
Correa: Generell kann es sein, dass sich oben etwas tut und neue Positionen vertreten werden, aber in der Verwaltung gibt es viele Leute, die alles andere als gewerkschaftsfreundlich eingestellt sind und dann kann es vorkommen, dass eine Anweisung von oben kommt, die verschleppt wird. Die Form kann sich durchaus ändern und das hat sie auch, aber unter dem Strich ist dabei nicht viel herausgekommen.

Gibt es denn den politischen Willen die Gewerkschaften zu schützen?
Morantes: Nein, den gibt es nicht und das beweist folgende Tatsache. Bei jeder neu gegründeten Gewerkschaft in Kolumbien werden am nächsten Tag die Leute entlassen, auch im öffentlichen Sektor und obwohl die Gesetze das verbieten. Sie werden schlicht nicht respektiert, obwohl es geltendes Recht ist.
So versucht man in Kolumbien die Organisationsstrukturen von vornherein zu unterbinden und die Zahlen der organisierten Arbeiter klein zu halten und zu reduzieren. Früher war die Strategie Leben auszulöschen, heute löscht man Organisationen aus, versucht die organisatorischen Grundlagen der Gewerkschaftsarbeit zu treffen.

Ist das ein Strategiewechsel?
Morantes: Genau, das ist neu, viel schwieriger zu beweisen und zu bekämpfen. Es ist richtig, dass die Gewalt abgenommen hat, aber sie ist nicht verschwunden. Sie ist nur weniger sichtbar.
Correa: Das hat auch einiges mit den Forderungen der USA zu tun, die verlangt haben, dass Kolumbien sicherer für Gewerkschafter werden muss. Deshalb wurde das Freihandelsabkommen auf Eis gelegt und da musste sich die Regierung bewegen und Änderungen einleiten. So wurde zum Beispiel eine Form von Subunternehmen, die Cooperativas de Trabajo Social, die keinerlei gewerkschaftliche Organisation dulden, verboten. Doch daraufhin wurden die Sociedades anónimas simplificadas gegründet – das gleiche Modell unter anderem Namen.

Also ein Etikettenschwindel… Hat sich denn gar nichts geändert, nach dem Druck der USA, den internationalen Debatten und den zahlreichen Artikeln?
Correa: Doch, es gibt schüchterne Reformen. Es gibt ein neues Gesetz zum Schutz der Gewerkschafter, welches in der Praxis aber nicht anwendbar ist und der Geheimdienst wurde wegen seiner Verwicklungen mit den Paramilitärs aufgelöst. Doch die Leute, die dort arbeiteten musste man weiterbeschäftigen und sie untersuchen nun die Verbrechen gegen die Gewerkschaften. Aber noch einmal: Es gibt Änderungen, aber es ist noch nicht absehbar, ob sie zum Erfolg führen, denn für den Gewerkschafter in Kolumbien sind sie nicht spürbar. Sie ändern bisher nichts an deren Realität.
Morantes: Es fehlt am politischen Willen dahinter und nun hat die US-Regierung schließlich das Freihandelsabkommen unterzeichnet.

Die Unterzeichnung mit der Europäischen Union steht noch aus. Wie denken Sie darüber?
Morantes: Das Abkommen wird uns weitere Armut bringen, denn wir sind darauf gar nicht vorbereitet. Die ohnehin schon weit auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich wird noch weiter auseinandergehen, denn unsere Regierung ist eine neoliberale. Das belegt auch der Gini-Koeffizient, der den Grad der Ungleichheit misst. Der ist gravierend in Kolumbien und die kleinen Unternehmen sind genauso dabei zu verschwinden wie die kleinen Bauern. Folgerichtig wird die Arbeitslosenquote steigen.

Was versprechen Sie sich von dem Besuch in Deutschland?
Morantes: Wir möchten aufklären, werben um Solidarität und hoffen auf öffentlichen Druck bevor der Freihandelsvertrag unterzeichnet wird. Auch wenn es letztlich schon zu spät ist.

Wie viele Mitglieder hat denn der CTC?
Morantes: Die FENASER, die Gewerkschaft der öffentlich Beschäftigten hat etwa 10.000 Mitglieder, der CTC vielleicht 50.000 und die Tendenz ist sinkend. Insgesamt gibt es in Kolumbien drei Gewerkschaftszentralen mit rund 500.000 Mitgliedern und die drei Dachverbände arbeiten zum Beispiel im öffentlichen Sektor zusammen. Generell ist es sehr schwierig in Kolumbien als Gewerkschaft zu wachsen, die hohe Arbeitslosigkeit und die geschilderten Bedingungen machen das fast unmöglich.

Gibt es faire Unternehmen wie den Zement-hersteller Argos, die anders mit ihren Arbeiter_innen umgehen, fair und dialogbereit?
Morantes: Ja, die gibt es. Meist sind es kleinere Unternehmen wie Colombina. Oder derzeit versucht die Supermarktkette Carrefour eine Gewerkschaft in dem Unternehmen zuzulassen und geht neue Wege. Aber ein deutsches Unternehmen fällt mir in diesem Kontext leider nicht ein.

Wie beurteilen Sie die Perspektiven der Gewerkschaften?
Correa: Die Geschichte der Gewerkschaften ist eine Geschichte des Widerstands und ich bin ein optimistischer Mensch. Ich hoffe, dass die Kolumbianer und die Kolumbianerinnen irgendwann die Nase von so viel Konservatismus, von so viel rechtem Gedankengut voll haben und sich neu orientieren – zumindest etwas demokratischer. Ich hoffe, dass unsere Zukunft dann anders aussieht.

Kasten:

Guillermo Antonio Correa ist stellvertretender Direktor der Nationalen Gewerkschaftsschule ENS in Medellín und Direktor der Forschungsgruppe zur Welt der Arbeit in Kolumbien, Miguel Enrique Morantes Sabogal ist Buchhalter und Direktor für Kommunikation im Vorstand des Gewerkschaftsdachverbandes CTC. Die beiden sind derzeit gemeinsam in Europa unterwegs, um auf die anhaltend schwierige Situation von Gewerkschaftern in Kolumbien aufmerksam zu machen.

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