Literatur | Nummer 489 - März 2015

„Mit Regen und Erinnerung bekleidet“

Die Frau, die ich bin ist eine neu zusammengestellte Sammlung der persönlichsten Gedichte Gioconda Bellis

Philine Kemmer

Zwischen den magentarot-pinken Buchdeckeln wartet eine Frau aus Nicaragua, „mit Regen und Erinnerung bekleidet“. Sie versammelt ihre Wörter, um zu dichten: über das Schreiben an sich, den politischen Kampf, ihr Selbst und ihre Sinnlichkeit. In dem Band Die Frau, die ich bin wurden Gedichte von Gioconda Belli, die sie selbst als ihre persönlichsten bezeichnet, auf Deutsch neu zusammengestellt.

Die Dichtungen aus allen Schaffens- und Lebensperioden Bellis zeichnen ein vielschichtiges Bild der Schriftstellerin. Als sie Anfang der 1970er Jahre ihre ersten erotischen Gedichte veröffentlichte, löste ihre Offenheit einen Skandal in den konservativen katholischen Kreisen Nicaraguas aus. So zelebriert auch die Mehrheit der vorliegenden Gedichte in provokanter Spielweise heterosexuelles Frausein und erotisches Vergnügen. Daneben besticht auch der Blick der Dichterin auf sich selbst als reife Frau, gezeichnet von Trennungen, Verlust und Melancholie. Im Dezember tourte Belli mit großem Erfog zu ihrem neuen Buch El intenso calor de la luna (in etwa: Die starke Wärme des Mondes) durch Lateinamerika. Der Roman, noch nicht auf Deutsch erschienen, thematisiert das Selbstbild einer Frau in der Menopause. Die neueren Gedichte liefern einen Vorgeschmack auf den Roman, wenn sie offensiv über die erfüllende Zufriedenheit des Mutterseins spricht und mit dem Bild der Ehefrau hadert. Die späteren Verse nicht weniger temperamentvoll und leidenschaftlich als die der jungen Frau. Doch gerade weil die Gedichte aus unterschiedlichen Lebensperioden stammen und die vielen Gesichter Giocondas zeichnen, ist zu bemängeln, dass in der Sammlung Hinweise auf die jeweilige Entstehungszeit der Gedichte fehlen.

Das literarische Werk Bellis war von Beginn an mit ihrem politischen Leben und ihrem Einsatz für die Sandinistische Revolution verknüpft. Ihre poetische Stimme ist daher auch die Stimme einer engagierten Kämpferin, einer Muse der Revolution und einer Patriotin, die ihr kleines tropisches Land leidenschaftlich liebt. Politisch ambitionierte Gedichte stehen in der vorliegenden Sammlung allerdings nicht explizit im Vordergrund. Zwar ziehen in „Die Träger der Träume“ die Genoss*innen aus, um die Idee eines freien und gerechten Landes umzusetzen, aber das Scheitern der Utopie lässt sich bereits erahnen: Enttäuscht vom politischen Versagen der Sandinist*innen, sagte sich Belli Anfang der 1990er Jahre vom Ortega-Clan los und lebt seitdem mit ihrer Familie zwischen Los Angeles und Managua.

Dort, wo die Tropfen der Regenzeit donnernd auf die heiße Erde prasseln und drohen, Erinnerungen wegzuschwemmen, ist Gioconda Belli zu Hause. In ihrer Heimat tanzt sie im Regen mit ihren Emotionen und mit ihren Worten. In einem Interview hat sie kürzlich erklärt, dass sie von Los Angeles ganz nach Nicaragua zurückziehen werde. Der Umzug sei wichtig für ihr persönliches Schaffen. Charakteristisch ist darin die Personifizierung von Kosmos, Urwald und Vulkanen. Nur in Nicaragua entfalte sich die Bedeutung ihrer Worte in der Verbindung von Mensch, Natur und Magie.
Wem das sinnliche Feuer Bellis zu direkt ist, der wird insbesondere abgedroschene Themen kritisieren: Die Gedichte über Beschwerden einer Ehefrau oder ihr „Männerrezept“ wirken eher fad. Darüber lässt sich aber leichthändig hinwegblättern, wenn Lesende auf der nächsten Seite von stürmischer Sehnsucht mitgerissen werden. Für Spanischsprachige ist es nachteilig, dass die Gedichte nicht zweisprachig abgedruckt sind. Obwohl die meisten Übersetzungen sehr gelungen sind, verschwindet einerseits mit der Originalsprache ein Teil des prägenden Rhythmus von Bellis Schreiben. Andererseits geht eine inhaltliche Dimension verloren, wenn um des Klanges willen machista mit „männlich“ übersetzt wird.

Insgesamt zeigt Gioconda Belli, im Rausch der Sinne und umringt von bildgewaltigen Worten, eine vertraute Seite. Mit der Auswahl der Texte und der darin enthaltenen Verletzlichkeit, ihrem Hunger nach Phantasie und Freiheit gelingt es ihr, die Lesenden zu berühren und die Frau zu beschreiben, die sie ist – eingehüllt in Magentarot.

Gioconda Belli // Die Frau, die ich bin. Gedichte // Aus dem Spanischen von Angelica Ammar, Lutz Kliche, Dieter Masuhr, Erna Pfeiffer, Dagmar Ploetz und Anneliese Schwarzer // Peter Hammer Verlag // Wuppertal 2014 // 19.90 Euro // www.peter-hammer-verlag.de.

Ich, die ich dich liebe

Deine ungezähmte Gazelle bin ich,
der Donner, der das Licht auf deine Brust ergießt.
Der ungezügelte Wind in den Bergen bin ich
Und der helle Schein des Kienspans.
Deine Nächte erhitze ich,
entfache Vulkane in meinen Händen,
deine Augen lasse ich feucht werden mit dem Rauch aus meinen Kratern.
Zu dir bin ich gekommen, mit Regen und Erinnerung bekleidet,
lache das unveränderte Lachen der Jahre.
Unerforscht ein Weg bin ich,
Klarheit, die das Dunkel bricht.
Zwischen deine und meine Haut setze ich Sterne,
und bereise dich ganz und gar,
Pfad um Pfad,
barfuß meine Liebe,
meine Furcht entblößt.
Ein Name bin ich, der erklingt und dich betört
von der anderen Seite des Mondes,
bin ein Teil deines Körpers und deines Lächeln.
Etwas Wachsendes bin ich,
etwas Lachendes, Weinendes,
ich,
die ich dich liebe.
Gioconda Belli
(mit freundlicher Genehmigung des Peter Hammer Verlags)

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