Literatur | Nummer 317 - November 2000

Mittlerin zwischen AutorIn und Verlag

Die Literaturagentin Ray-Güde Mertin im Gespräch

Beraten, vermitteln und verhandeln – das sind die Hauptaufgaben der Agentin für spanisch- und portugiesischsprachige Literatur Ray Güde Mertin, die außerdem als Übersetzerin und Professorin tätig ist. Als sie 1981 das erste Mal in den Gängen der Frankfurter Buchmesse stand, hatte sie AutorInnen aus Brasilien und Portugal im Gepäck, die bis dahin weitgehend unbekannt waren. Heute vermittelt sie AutorInnen aus Afrika, Lateinamerika und von der iberischen Halbinsel, und so mancher ihrer Autoren ist weltberühmt. Dazu gehören der Nobelpreisträger José Saramago aus Portugal, Mia Couto aus Mozambik, und aus Lateinamerika unter anderem Jesús Díaz, Mario Delgado Aparaín, Santiago Gamboa und Sylvia Iparaguirre. Anlässlich ihres zwanzigsten Messeeinsatzes sprachen die LN mit Ray-Güde Mertin über den Literaturbetrieb in Lateinamerika und hierzulande.

Ann-Catherine Geuder

In den USA gehören Literaturagenten ganz selbstverständlich zum Literaturbetrieb; fast jeder Autor arbeitet mit einem Agenten zusammen. In Deutschland hingegen ist dieser Beruf kaum bekannt. Könnten Sie Ihr Arbeitsfeld kurz beschreiben? Was sind die Aufgaben einer Literaturagentin?

Wenn Sie zehn Agenturen fragen, bekommen Sie zehn verschiedene Antworten, weil sich alle auf einer Skala zwischen Kultur und Kommerz an unterschiedlicher Stelle ansiedeln. Wenn ich zum Beispiel mit nordamerikanischer oder deutschsprachiger Literatur arbeite, sind das völlig andere Vorzeichen, als wenn ich mit Portugiesisch und Spanisch arbeite, zumal Portugiesisch, das viel weniger zugänglich ist.
Ich übernehme einen Autor, weil ich Bücher von ihm schätze und meine, sie sollten übersetzt werden. Ich betreue ihn, indem ich ihn, wenn möglich, an verschiedene Länder vermittle und mich auch mit ihm darüber berate, mit welchem Buch man zuerst anfängt. Ich bin also eine Gesprächspartnerin für den Autor, eine korrigierende Gesprächspartnerin, wenn es um die Vermittlung an Verlage geht, weil nämlich die Vorstellungen von Autoren oft auch ganz unrealistisch sind. Eigentlich geht es einem ja darum, dass man zwischen beiden Seiten gut vermittelt und zu beiden Seiten ein gutes Verhältnis hat. Das klappt nicht immer, man kann es sich auch mit Verlagen verscherzen, indem man zum Beispiel mit einem berühmten, großen Autor den Verlag wechselt. Das heißt, die Hauptarbeit besteht darin, den Autor zu vermitteln und den Autor auch davon zu überzeugen, dass man für ihn den richtigen Verlag sucht. Dahinter stecken in meinem Fall achteinhalb Jahre Brasilien, davor einige Jahre in Spanien, überhaupt eine sehr frühe Bindung an Latino-Welten. Diese Brasilienerfahrung, die sehr intensiv und wichtig für mich gewesen ist, weiter zu geben, ist einfach spannend.

Wie sind Sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?

Durch meinen Wegzug aus Brasilien, wo ich Lektorin beim DAAD war. Ich hockte in New York ohne Arbeitserlaubnis und musste mich als Freelancer betätigen. Da hab ich angefangen zu übersetzen, zunächst für Suhrkamp. Dann gab es einen Kontakt zu einem New Yorker Agenten, der damals so unerfahren und jung war wie ich, aber schon angefangen hatte. Als ich fünf Jahre später wieder nach Deutschland zog, habe ich als Agentin begonnen. Dieses Jahr ist meine zwanzigste Buchmesse.

Sie vermitteln ja nicht nur Autoren aus Lateinamerika, sondern auch aus Afrika, Portugal und Spanien. Wie ist denn da die Gewichtung?

Es hat angefangen mit Brasilien und Portugal. Damit alleine hätte ich die Agentur schließen können, das war einfach zu wenig. Sie kennen ja sicher die Übersetzungsstatistiken, Spanisch ist wenig vertreten und Portugiesisch ist ein Sechstel, ein Fünftel von Spanisch. Ich habe dann nach Lateinamerika ausgeweitet, über Portugal kamen Angola und Mosambik hinzu. Zur Zeit vertrete ich zum Beispiel Autoren aus Chile, Angola, Portugal, Mosambik, Uruguay, Argentinien, Kuba und Kolumbien – kreuz und quer verteilt.
Wenn ich für einen Autor nicht genug habe tun können, finde ich es ehrlicher, ihm zu sagen, „Lass uns aufhören, der Vertrag ist abgelaufen, vielleicht hast du mit jemand anderem mehr Glück“. Manchmal gelingt es, jemanden sofort unterzubringen, manchmal gelingen auch Erfolgsstorys, dass man jemanden vermittelt, der dann in 30 Ländern gedruckt wird.

Das heißt, Sie haben sowohl junge, unbekannte Autoren wie auch ältere, etablierte?

Wir haben aus Chile gerade zwei ganz junge Autoren übernommen, die sind 30. Und dann gibt es ältere: Da ist zum Beispiel ein sehr guter Autor aus Argentinien, der wollte, dass sich jetzt jemand um seine Verträge und Bücher kümmert, damit er das nicht mehr selbst tun muss. Ich habe einen ganz anderen Überblick als ein Autor. Ich habe Hunderte von Verträgen abgeschlossen und kann ein Angebot viel besser einordnen als ein Autor. Außerdem kann ich für jemand anderes viel besser verhandeln als für mich selber, und ich denke, ein Autor sollte sich dem auch nicht aussetzen. Man hat eine Stellvertreterfunktion, der Autor muss nicht selber anklopfen und sagen: „Hier ist mein Buch“. Das halte ich für sehr wichtig.

In den 80er Jahren war die sogenannte engagierte Literatur sehr präsent, Eduardo Galeano, Rigoberta Menchú, Ernesto Cardenal gehörten in Solidaritätskreisen zur Pflichtlektüre. Heute werden kaum noch Bücher publiziert, die Literatur und Politik miteinander verbinden. Und wenn, dann finden sie nur ein sehr kleines Publikum.

Das hat damit zu tun, dass das Interesse für die Länder immer dann besonders stark war, wenn politische Umbrüche stattfanden. Das Interesse an bestimmten Ländern lässt wieder nach, und dann ist auch das Interesse, entsprechende Bücher zu machen, einfach nicht mehr so groß. Als ich in den Achtzigerjahren anfing, haben wir viele Autoren zur Diktatur in Brasilien und zur politischen Öffnung gehabt. Das hat sich dann wieder gelegt, diese ganze Testimonio-Literatur ist als bessere Landeskunde gelesen worden. Das Sachbuch ist wieder zum Sachbuch geworden und die Literatur wieder zur Literatur, was auch richtig ist.
Ich konnte das in Brasilien verfolgen, wo ich zur schlimmsten Zeit der Diktatur gelebt habe. Die Diktatur hat eine bestimmte Literatur zur Folge gehabt, die wegen der Zensur als Zeitungsersatz diente. In den Büchern ist vieles an Engagement und Information versteckt worden, was die Zeitung nicht bringen konnte, und so nicht ausgesprochen werden konnte. Das Buch war relativ ungefährlich, wurde nicht so häufig zensiert. Als das alles vorbei war, war die Notwendigkeit für solche Bücher nicht mehr gegeben. Es folgte eine Welle von history revisited, man begann, die eigene Geschichte neu zu überdenken. Eine ganze Reihe von Sachbüchern entstand, eine Art Standortbestimmung. Und Literatur wurde wieder zur Literatur, ohne solche Nebenfunktionen zu haben.
Diese Entwicklung hat es überall gegeben. In anderen Ländern kommt hinzu, dass es seit dem sogenannten Boom die großen Namen gibt, die leider wenig oder gar nichts getan haben für die Literatur in ihrem Land, so dass immer der Eindruck entstand, wir haben für Kolumbien nur García Márquez, für Peru Vargas Llosa und so weiter. Die Boom-Autoren waren so erfolgreich, dass die jüngeren Autoren, die sich jetzt zu Wort melden, völlig im Schatten gestanden haben, als gäbe es in all diesen Ländern hinter diesen großen Namen nichts. Das hat mich immer sehr geärgert. Und es reizt einen natürlich auch, das aufzubrechen.

Gemeinsam mit der Literatur hat sich ja auch verändert, welche Verlage lateinamerikanische Literatur publizieren. Verlage, die sich bisher kaum für lateinamerikanische Literatur interessiert haben, werden aktiv, dagegen scheinen sich Verlage aus dem Solidaritätsbereich eher zurückzuziehen. So antwortete Hermann Schulz vom Peter Hammer Verlag in einem Interview mit den Lateinamerika Nachrichten auf die Frage, warum sein Verlag kaum noch lateinamerikanische Literatur herausbringe, dass eine große Langeweile bei Autoren und Lesern in Lateinamerika eingetreten sei.

Das glaube ich nicht. Da tut sich doch immer wieder eine ganze Menge. Ich kann nicht sagen, dass das langweilig geworden wäre. Es gibt Länder, in denen mehr oder weniger los ist. Brasilien ist zur Zeit weniger interessant. Und es gibt andere Länder, wo sich mehr tut, in Chile ganz sicher, in Kolumbien oder auch in Peru. Bolivien ist ein weißer Fleck für uns. Was die Verlage angeht: Ich habe früher schon mehrmals gesagt, Literatur sei kein Vehikel für Landeskunde. Wenn Bücher gut sind, dann können sie in jedem literarischen Verlag erscheinen. Ich habe von Anfang an versucht, ganz weit zu streuen. In Lateinamerika ist der Suhrkamp Verlag identisch mit dem deutschen Verlagswesen. Sie hatten so eine Art Monopolstellung. Das hat sich geändert.

Stichwort Cubanissimo. Was glauben Sie, was diesen Kuba-Boom ausgelöst hat?

Ich habe das Gefühl, dass es ein bisschen Mode geworden ist. Und da haben wir wieder das Phänomen politischer Veränderung, also, mal gucken, was da passiert. Ich fahre jetzt zum ersten Mal nach Kuba, und es wird höchste Zeit, weil ich dieses Kuba noch erleben will, ehe die Amerikaner es wieder vereinnahmen. Ich denke, viele andere sehen das auch so und wollen einfach dieses Kuba erleben und sehen und mitnehmen. Buena Vista Social Club hat sicher auch noch ein bisschen dazu beigetragen.

Glauben Sie, dass dieser Kuba-Boom langfristig Auswirkungen haben wird auf die lateinamerikanische Literatur, dass die Literatur dadurch mehr Chancen auf dem deutschsprachigen Büchermarkt hat?

Nein, das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass ein Land oder ein Bereich sich so auswirken kann, dass dies auf alle anderen einen Einfluss hat. Generell ist ein Interesse an lateinamerikanischer Literatur da, es hat in den letzten Jahren eher wieder zugenommen und bleibt glücklicherweise ein stetig vorhandenes Interesse.

Interview: Ann-Catherine Geuder

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