Mexiko | Nummer 273 - März 1997

Mörder und Gärtner in der Staatspartei

Südlich des Rio Grande spielen die Bosse der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) Reality-TV

Rauchende Colts, korrupte Politiker und miese Intrigen sind Standardingredenzien für Krimis, die beim Publikum anzukommen pflegen. Wenn außerdem noch verwickelte Love-Affairs mit von der Partie sind, dann ist garantiert für Spannung gesorgt und der Fernsehabend gerettet. In Mexiko muß schon längst niemand mehr Filme anschauen, deren Handlung ein kreativer Drehbuchautor kunstvoll eingefädelt hätte. Hier reicht es, Nachrichten zu sehen, um die Nerven zu strapazieren. Für den besonderen Kitzel sorgt dabei, daß in Mexiko echtes Blut und kein Ketchup fließt.

Boris Kanzleiter

Die Vorgeschichte der aktuellen Serie geht so: Am 28. September 1994 machte sich Hektik und Unsicherheit in der Parteizentrale der ältesten diensthabenden Staatspartei der Welt breit. PRI-Generalsekretär Francisco Ruiz Massieu war auf offener Straße in der Hauptstadt erschossen worden. Die Traueranzeigen für die Zeitungen waren noch nicht geschrieben, da begann die Gerüchteküche bereits überzukochen. Alles deutete auf eine Abrechung unter Parteifreunden hin. Aufregend, aber nichts neues für das Publikum. Erst am 23. März des Jahres war der PRI-Präsidentschaftskandidat Luis Donaldo Colosio auf einer Wahlkampfkundgebung aus nächster Nähe durch den Kopf geschossen worden. Videoaufnahmen bewiesen einen Komplott, das bis heute nicht aufgeklärt ist, und eine Reihe ermittelnder Beamte wurden in den folgenden Monaten Opfer von Mordanschlägen. Daß der Befehl zum Mord von ganz oben kam, scheint gewiß.

Wundersamer Leichenfund

Auch im Fall des am 28. September 1994 gemeuchelten Generalsekretärs Ruiz Massieu stochern die Ermittlungsbehörden bis heute im Dunkeln, obwohl jeder Taxifahrer genau Bescheid weiß, wo zu suchen wäre: In der Parteizentrale. Eine Spur ist jedenfalls für alle offensichtlich: Kurz nach dem Mord an Francisco Ruiz Massieu verschwand der PRI-Kongreßabgeordnete Manuel Muñoz Rocha und ward seither nicht mehr gesehen. Aber daß er mit dem Mord zu tun hat, steht für Ermittler und Presse zweifelsfrei fest.
Vor einigen Wochen, zwei Jahre nach den Morden, bat nun Pablo Chapa Benzanilla, der Sonderermittler im Mordfall Ruiz Massieu, die Presse zu einem Stelldichein in eine Villa des unter Mordverdacht inhaftierten Raúl Salinas, seines Zeichens Bruder des Ex-Präsidenten. Wundersames sollte ans Tageslicht kommen. Die Wahrsagerin La Paca, mit bürgerlichem Namen Francisca Zetina, führte Presseleute und Kriminalbeamte in einer Vision durch den Garten der Villa und siehe da: Nach einigen Spatenstichen kam eine verscharrte Leiche ans Tageslicht. Benzanilla zögerte nicht, zu verkünden, es handele sich um den Körper von Manuel Muñoz Rocha, des verschwundenen PRI-Abgeordneten, der mit dem Mord an Ruiz Massieu in Verbindung gebracht wird. Damit sei bewiesen, daß Raúl Salinas im Mordfall Massieu mit die Strippen gezogen habe und sich später mit Muñoz Rocha überworfen habe, was den Mord und die ungewöhnliche Grabstätte erkläre.
Der Verdacht gegen die Salinas-Brüder ist nicht neu. Carlos war im März 1995 außer Landes ins selbstgewählte Exil geflohen, nachdem sein Bruder Raúl in Zusammenhang mit dem Mord an Massieu festgenommen worden war. Besonders delikat: Der ermordete PRI-Generalsekretär war der Schwager von Raúl und Carlos. Die Salinas-Brüder beteuerten aber stets ihre Unschuld und wähnten sich als Opfer einer perfiden Schmähkampagne. Raúl half jedoch alles Gejammer nichts, er blieb im Knast, allerdings fehlten schlagkräftige Beweise. Mit der Leiche im Garten schienen diese jedoch erbracht.

Bestochene Wahrsagerin

Mittlerweile stellt sich der Sachverhalt freilich etwas anders dar. Dem Ermittler Benzanilla und dem obersten Staatsanwalt Antonio García Lozano wurde der Leichenfund selbst zum Verhängnis. Sie beide werden jetzt nämlich beschuldigt, den ungewöhnlichen Fund inszeniert zu haben, um auf diese Weise Raúl Salinas endgültig in die Pfanne zu hauen. Doch ihr Kalkül ging nicht auf, denn nach langen Untersuchungen steht nun zweifelsfrei fest, daß der entdeckte Leichnam gar nicht der von Muñoz Rocha war, sondern der eines Verwandten der Wahrsagerin La Paca. Die Vision der Seherin war also nichts anderes als presse- und publikumswirksamer Hokuspokus.
Eine besondere Würze gewinnt der mexikanische Klischeeintopf dadurch, daß La Paca die Busenfreundin einer Dame namens María Bernal ist. Diese wiederum ist niemand anderes als eine verflossene Geliebte Raúl Salinas’. Beide Damen sitzen mittlerweile im Kittchen und behaupten, daß sie vom obersten Sonderermittler im Mordfall Francisco Ruiz Massieu das hübsche Sümmchen von umgerechnet etwa 150.000 DM kassiert hätten, um den Coup in Salinas Garten ins Werk umzusetzen.
Um den verwickelten Verlauf der Affaire zusammenzufassen: Der Chef der Mordkommission besticht eine enttäuschte Geliebte des Bruders des Ex-Präsidenten, um ihm eine Leiche in den Garten zu pflanzen. Diese wird unter großem Hallo wieder ans Tageslicht gehievt und alle behaupten, sie sei die sterbliche Hülle des intellektuellen Autors des Mordes am ehemaligen Generalsekretär der Regierungspartei und gleichzeitigen Präsidentenschwagers. Damit sei bewiesen, daß Raúl und somit auch sein Bruder Ex-Präsident Carlos Salinas die Drahtzieher des Komplotts gegen ihren Verwandten seien.
So war es also nicht, das scheint nach dem Stand der Ermittlung klar zu sein. Es bleiben aber mehr Fragen als Antworten: Wenn es nicht die Salinas-Clique war, die Ruiz Massieu auf dem Gewissen hat, wer dann? Warum versuchten die obersten Ermittler, den Verdacht auf die Salinas-Brüder zu richten? Und außerdem: Wo liegt der echte Leichnam Muñoz Rochas verbuddelt, oder ist der Señor Abgeordnete vielleicht gar nicht tot und relaxt seelenruhig in der Karibik? Die ganze Angelegenheit wird sicher noch manche unerwartete Wendung nehmen. Auf neue Folgen des Krimis darf man gespannt sein.
Möglicherweise muß aber umdisponiert werden. Denn in Mexiko werden die Stimmen lauter, die eine ganz neue Serie fordern. Das ewige Hauen und Stechen in den Chefetagen der Staatspartei nervt das Publikum nämlich auf die Dauer. Vielleicht wäre zur Abwechslung mal ein Sience Fiction angesagt. Titelvorschlag: “PRI-Hierarchen auf dem Flug zu den Gringonen”, oder einfacher: “Schweine ins Weltall!”

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