Nummer 479 - Mai 2014 | Sport

Momente der Versöhnung

Im polarisierten Honduras wird Fußball politisch instrumentalisiert

Die diesjährige Fußball-WM ist die dritte, an der Honduras überhaupt teilnimmt und bereits die zweite nach dem Putsch 2009. Die Politik versucht, mit den jüngsten Erfolgen zu punkten. Doch auch die landesweite Begeisterung für den Fußball kann die massiven Probleme des Landes kaum verdecken.

Erika Harzer

Zum zweiten Mal in Folge, aber erst zum dritten Mal in der Geschichte des honduranischen Fußballs qualifizierten sich die „Catrachos“, die honduranische Nationalelf, für die Teilnahme an einer Fußball-WM. Die erste Teilnahme war 1982 in Spanien, damals noch mit einem honduranischen Trainer: José de la Paz Herrera, besser bekannt als Chelato Ucles. Chelato gilt noch heute als Aushängeschild des honduranischen Fußballs, als einer, der Unmögliches geschafft hat.
28 Jahre später qualifizierte sich das Team unter dem Kolumbianer Reinaldo Rueda für die WM 2010 in Südafrika. Eine Qualifikation in politisch düsteren Tagen: Im Juni 2009 war der demokratisch gewählte Präsident Manuel Zelaya von Militärs außer Landes verschleppt worden. Für den unrechtmäßig eingesetzten Präsidenten Roberto Micheletti kam die Qualifikation der Nationalelf in dem fußballverrückten Land zur rechten Zeit. Bei einem großen Empfang wollte er sich mit den „wahren Helden der Nation“ umgeben und politisch punkten. Doch nicht alle Spieler waren dazu bereit, einige blieben dem Empfang fern. Amado Guevara, damaliger Kapitän der Elf, erklärte das mit dem Chaos auf den Straßen und der schlechten Organisation der Funktionäre: „Unmengen von Menschen erwarteten uns. Unglaublich. Alles außer Kontrolle, ein gefährliches Chaos. Aus diesem Chaos mussten wir weg.“ Also habe sich jeder für sich auf den Heimweg gemacht. „Zu dieser Zeit war das Land geteilt und es gab große Konflikte unter uns Honduranern“, beschrieb Guevara die damalige Situation, die auch ins sportliche Leben hineinwirkte. Und in der sich Größen des Sports wie Chelato Ucles zu Wort meldeten, der nach Ende seiner Trainerlaufbahn in die Politik gewechselt war und als Abgeordneter der Liberalen Partei den Putsch gegen Zelaya kritisierte. Nationaltrainer Reinaldo Rueda sah sich angesichts der politischen Krise über seinen eigentlichen Job hinaus gefordert: „Wir wollten der Nationalmannschaft die Rolle eines sozialen Bindeglieds geben. Sie half, Luft abzulassen“, sagte er. „Familien waren gespalten, Geschwister hatten unterschiedliche politische Standpunkte. Der Ehemann stand auf der einen Seite, die Ehefrau auf der anderen. Paare trennten sich aufgrund politischer Differenzen. Ich glaube, dass die Nationalmannschaft zur Annäherung beitrug.“ Die gesellschaftliche Polarisierung nach dem Putsch spürte Rueda auch im Kader der Nationalelf: „Logischerweise gibt es in so einer Gruppe unterschiedliche Tendenzen, das gehört zur politischen Pluralität einer Gesellschaft. Wichtig war uns, dass sie sich gegenseitig respektieren. Ich glaube, die Jungs haben das begriffen. Sie spielten danach mit großem Engagement, mit viel Seele, was für das Land ganz wichtig war.“ Und doch musste die Nationalelf mit nur einem Punkt nach der Vorrunde in Südafrika die Heimreise antreten.
Seit 2011 trainiert Luis Fernando Suárez, ebenfalls Kolumbianer, die Nationalelf und schaffte mit ihr die Qualifikation für die WM 2014. Nach knapp zwei Jahren in dem mittelamerikanischen Land sagte der in Medellin geborene Suarez Anfang 2013 in einem Interview mit Proceso Digital, er hoffe, dass Honduras nie das erleben müsse, was Kolumbien in der Zeit des Drogenhändlers Pablo Escobars durchleben musste – jene Zeit der Gewalt, der vielen Toten, der Anschläge. „Wo die Narcos präsent sind, wird es immer Gewalt und Repression geben. Hoffentlich wird es die Mittel und Wege geben, jene dramatische Realität, die Kolumbien damals durchlebte, zu verhindern.“
Zum honduranischen Kader in Brasilien gehören vermutlich die beiden Brüder Wilson und Jerry Palacios. Vor vier Jahren in Südafrika waren sie noch zu dritt, ihr Bruder Johnny spielte ebenfalls in der Nationalmannschaft, einmalig in der Geschichte der WM. Wilson, der erfolgreichste der insgesamt fünf Palacios-Brüder, die alle von ihrem Vater trainiert wurden, spielt seit Sommer 2007 in der englischen Premier League. Seinem Transfer in die englische Liga folgte eine Familientragödie, als sein damals 15-jähriger Bruder Edwin entführt wurde. Fünf bewaffnete Männer drangen in das Haus der Familie ein und verschleppten Edwin. Trotz Lösegeldzahlungen wurde sein Leichnam erst gut ein Jahr später gefunden. Doch Entführungen gehören genauso zum Alltag in dem mittelamerikanischen Land wie gnadenlose Kämpfe ums Terrain der konkurrierenden Drogenclans und Korruption, die in alle Bereiche des gesellschaftspolitischen Lebens einwirkt. Seit 2012 ist Honduras das Land mit der höchsten Mordrate weltweit.
Auftragskiller erledigen für eine Handvoll US-Dollar die schmutzigen Geschäfte. Staatsanwälte und Richter, die sich Fälle offensichtlicher Korruption vornehmen, werden versetzt, entlassen oder ermordet. Doch bei den Wahlen im November 2013 hatten Korruption und Repression zum ersten Mal Folgen im Parlament. Die beiden erstmalig angetretenen Parteien, die Antikorruptionspartei des Sportmoderators Salvador Nasralla und die Partei LIBRE, die aus dem Widerstandsbündnis gegen den Putsch von 2009 entstanden ist, erhielten rund 13 Prozent und 29 Prozent der Stimmen. Wenn dieses Ergebnis auch einer politischen Zäsur im bisherigen Zweiparteiensystem gleichkommt, änderte es bisher wenig an der Entscheidungsmacht der nationalen Regierungspartei und ihres Präsidenten Juan Orlando Hernández.
Salvador Nasralla hatte bis zu seiner Kandidatur nichts mit Politik am Hut. Im fußballbegeisterten Honduras ist der beliebte Sportmoderator ein bekanntes Gesicht, dessen profundes Wissen über diesen Sport ihm viele Sympathien einbrachte, auch bei der Wahl. Und Korruption zu bekämpfen ist zweifelsohne eine der wichtigsten Aufgaben in Honduras. Nur bräuchte es dafür den politischen Willen, bräuchte es Politiker, die alles Bisherige komplett auf den Kopf stellen, das bisherige Spiel aussetzen und ein neues Spiel mit konsequenter Regeleinhaltung ansetzen. Dies ist aber nicht der Fall.
Fußball ist in Honduras ein Sport, der quer durch alle Gesellschaftsschichten begeistert, den in den Ligen des Fußballverbandes jedoch nur die Ärmsten der Armen spielen. Mit der Hoffnung auf eine Profi-Karriere, auf soziale Anerkennung, auf Aufstieg in die Mittelschicht des Landes.
Fährt man durchs Land, sieht man sie überall auf steinigen, holprigen Plätzen, auf Äckern oder Sand, in der Trockenzeit vom Staub verklebt, die fußballspielenden Kids und Jugendlichen. Manche hoch begabt, viele einfach nur begeistert. Einige barfuß, andere mit ausgelatschten Tretern, einige mit Trikots ihrer Helden: Messi, Cristiano Ronaldo, Ribéry, Wilson Palacios. Billige Fälschungen, die vor allen Stadien des Landes für ein paar Lempiras gekauft werden können.
In der Küstenstadt La Ceiba bietet seit Ewigkeiten Eulogio Palacios den fußballbegeisterten Jungs und Mädels Trainingsmöglichkeiten, früher als Wanderer von Acker zu Acker, mittlerweile in der 2012 von seinem Sohn Wilson Palacios geförderten und nach ihm benannten Sportanlage. Eulogio Palacios gibt Anweisungen, erklärt Taktiken, Spielzüge, Systeme. Die Kids hören ihm aufmerksam zu, vielleicht mit der großen Hoffnung, von ihm genauso viel zu lernen wie dessen Söhne. Palacios trainiert weiter, noch immer, trotz seines Alters, trotz des Schicksalsschlages mit seinem jüngsten Sohn. Es ist ein Stück seines Lebens. Damit hole er die Kids und Jugendlichen von der Straße, zeige ihnen etwas, das sie vielleicht ermutigt, aus ihrem Leben etwas zu machen. Er glaubt an sie, sagt ihnen das und fördert ihre Fähigkeiten. Doch bei vielen offenbaren sich schnell Leistungsgrenzen, bei all denen, die außer Tortillas und Salz nicht wirklich viel zu essen bekommen. Und es mangelt an Förderung durch FENAFUTH, dem honduranischen Fußballverband. Sichtbar wird dies an fehlenden Plätzen und Infrastruktur wie Kabinen oder Duschen oder an den nur wenigen durchgeführten Turnieren. Dabei soll FENAFUTH alleine durch die Teilnahme an der WM dieses Jahr acht Millionen US-Dollar erhalten. Aber der Verband ist eng mit Politik, Unternehmer_innen und korrupten Strukturen verwoben. So war der jetzige FENAFUTH-Präsident, der Unternehmer Rafael Leonardo Callegas, von 1990 bis 1994 Staatspräsident. Unter seiner Leitung sollten Anfang der Jahrtausendwende für mehrere Hunderttausend US-Dollar Sportplätze mit der dazugehörigen Infrastruktur für den Fußballnachwuchs des Landes geschaffen werden. Die Gelder kamen von der FIFA, die in vielen der ärmeren Mitgliedsländern des Weltverbands mit dem Projekt GOAL die Entwicklung des Fußballs fördert. In Honduras versickerten die Gelder aber in unergründlichen Kanälen.
Honduras ist nach wie vor ein polarisiertes Land. Die Gräben sind tief, die Gesellschaft ist gespalten. Und doch werden während der WM-Spiele der Nationalelf die Straßen wieder wie ausgestorben sein. Alle werden mit ihren Helden zittern, egal wo und zu welcher Zeit. Überall werden die Spiele übertragen werden, und sollte die Nationalmannschaft gewinnen oder auch nur Unentschieden spielen, werden für Momente die politischen Gräben aufgehoben sein. Für Momente.

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