Musik | Nummer 486 - Dezember 2014

„Musik ist unsere wichtigste Waffe“

Interview mit dem Garífuna-Sänger Aurelio Martinez

Anlässlich der Präsentation seines dritten Albums Lándini gab der Musiker einige Konzerte in Deutschland. Mit den LN sprach er über den internationalen Erfolg der Paranda-Musik, die Rückkehr zu seinen Wurzeln und die akute Bedrohung der Beständigkeit der Garífuna-Kultur.

Interview: Friederike Winterstein

Lándini bedeutet soviel wie Ankunft. Wo kommen Sie her und wo kommen Sie an?
Lándini bedeutet für mich, zu meinen Wurzeln zurückzukehren, zu der Gemeinschaft von der ich einst aufgebrochen bin und zu den Ursprüngen unserer Musik. In den letzten Jahren war ich Teil des Projektes, unsere traditionelle Musik einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen und so einen Teil zum Erhalt unserer Kultur beizutragen. Meine vorherigen Alben, Paranda, Garífuna Soul und Laru Beya, sind auch Teil dieses Projekts. Auf der Suche nach Alternativen, um unsere Musik weltweit bekannt zu machen, habe ich mich von meinen musikalischen Ursprüngen entfernt. Die Musik war für mich zuletzt ein Instrument der Erziehung, der Information, um den sozialen Problemen Ausdruck zu verleihen, mit denen wir tagtäglich in unseren Gemeinschaften konfrontiert sind, wie Gesundheit, Migration und Landbesitz. Obwohl ich auch innerhalb unserer Gemeinschaft als derzeit wichtigster weltweit bekannter Interpret unserer Kultur anerkannt werde, fühlten die Leute sich nicht wirklich mit meiner Musik verbunden. Mit Lándini bin ich zu alltäglichen Themen und zu unseren traditionellen Rhythmen zurückgekehrt.

Sie selbst sagen über Ihr neues Album es sei „ganz und gar Garífuna, reflektiere die Erfahrung der Garífuna“. Was ist für Sie das charakteristische Ihrer Kultur?
Wir Garífunas sind die einzigen Afro-Amerikaner, die immer noch eine bestehende eigene integrale Kultur haben, eine eigene Sprache, eigene Traditionen, unsere Heiligen und Trommeln, eigene Umgangsformen. Ich denke, wir haben mehr von unseren amerikanischen Vorfahren geerbt und trotzdem spüren wir eine sehr starke Nostalgie in Bezug auf Afrika. Wir sind zwar cimarrones (rebellische und mitunter geflüchtete Sklaven, Anm. der Redaktion), denn wir müssen unsere Rechte verteidigen, aber wir sind auch sehr friedliebende und gastfreundliche Menschen. Unsere Gemeinschaft funktioniert so gut, weil wir ein Volk sind, das wie eine große Familie lebt. Die Älteren geben auf die Jüngeren acht, wir beschützten uns gegenseitig. Dabei bewegen wir uns alle auf demselben Niveau und akzeptieren keine Anführer. Ich denke, dies sind Besonderheiten unserer Kultur, von denen der Rest der Welt lernen könnte und sollte.

… und Ihrer Musik?
Unsere Musik ist der andere Teil unserer Kultur, den ich liebe. Sie ist in jedem Moment unseres Lebens präsent. Bei der Arbeit, bei Todesfällen, bei Feiern. Jedes Lied hat eine Bedeutung für uns, auch dies ist eine Stärke unserer Gemeinschaft. Für mich ist die Musik die subtilste Form, um das Herz und den Verstand eines jeden Menschen zu erreichen. Wir hören jeden Tag Musik, wenn du jemandem eine Nachricht in einem Lied schickst, wird sie sicher erhört. Die Musik ist unsere wertvollste Waffe, die ich vor langer Zeit entdeckt habe und die für mich sehr gut funktioniert hat.

Warum ist für Sie der internationale Erfolg der Paranda-Musik so wichtig?
Die Internationalisierung unserer Musik ist der Beweis für die Resistenz, die uns als Volk prägt, dafür, dass wir weiterhin lebendig sind. Vor allem ist es eine Waffe, um unsere Kultur für die nächsten Generationen zu erhalten. Wir müssen uns der kulturellen Entfremdung zur Wehr setzen, die von den Medien ausgeht. Die jungen Leute hören Merengue, Salsa, RnB und Bachata im Radio. Unsere Absicht ist es, Vorbilder zu erschaffen, die unsere kulturellen Werte vermitteln und nachfolgenden Generationen einen Grund geben, Stolz auf ihre Identität zu sein. Dieses Projekt ist eine der magischen Fragen, die mich mit Andy Palacios verband. Wir haben uns mit Herz und Seele der Bewahrung unserer Kultur verschrieben und sind überzeugt, dass der Schlüssel hierzu in den Händen unserer Kinder liegt.

Von 2005 bis 2009 waren Sie einer der ersten vier afro-honduranischen Kongressabgeordneten. Wie beurteilen Sie rückblickend diese Erfahrung?
Auch diese Erfahrung war Produkt der Musik, meiner Popularität als Musiker. Ein Freund redete mir ins Gewissen, diesen Posten anzunehmen, mit dem Argument, dass unsere Community schon seit 200 Jahren um Anerkennung und Einbeziehung in die staatlichen Entscheidungsprozesse kämpft. Es war das erste Mal, dass wir uns selbst repräsentierten. Es war eine schwierige Erfahrung. Ich war niemals Teil der wichtigen Kreise, derjenigen, deren Entscheidungen etwas bewegen können. Als Präsident der nationalen Kommission für Ethnien wurde ich nicht ein einziges Mal vom Präsidenten empfangen, um über die Probleme der indigenen Völker zu sprechen. Und das, obwohl er von meiner Partei war und vorgab, im Interesse des Volkes zu handeln. Ich denke, es ist notwendig, dass die Politiker ernsthaft anfangen zum Wohl derer zu handeln, die sie repräsentieren und nicht zu ihrem eigenen Wohl.

Wie schätzen Sie den Staatsstreich von 2009 im Hinblick auf die aktuelle Situation der Garífunas ein?
Der Staatsstreich und die darauf folgende Wirtschaftsblockade geht zu Lasten derer, die historisch benachteiligt sind, der Indigenen, der Bauern, derjenigen, die von internationaler Hilfe abhängig sind. Der Effekt für unsere Community ist katastrophal.
Die UNESCO hat unsere Sprache und Kultur 2001 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt und trotzdem verliert sich unsere Identität und Kultur zunehmend. Die bilinguale interkulturelle Bildung kommt in den Gemeinden nicht an, bewirkt nichts, auch weil die evangelische Kirche innerhalb der Gemeinschaften eine immer größere Rolle spielt. Außerdem zerstört der Staat systematisch unsere Lebensgrundlage. Es wurde uns nur ein Teil des Landes zugesprochen, auf dem wir seit mehreren Generationen leben. Wir können nicht mehr genügend Nahrungsmittel anbauen und die Jüngeren haben kein Land zur Verfügung, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Obwohl wir seit Generationen in Honduras geboren sind, werden wir immer noch von vielen als Ausländer betrachtet. Wir haben immer für gleiche Rechte kämpfen müssen und die Musik ist dabei unsere wichtigste Waffe. Einige Fälle haben wir gewonnen, indem wir trommelnd durch die Straßen gezogen sind, beispielsweise die Absicherung unseres Landbesitzes durch gemeinschaftliche Landtitel. Unsere Musik und unsere künstlerischen Aktionen sind Teil unserer Befreiung.

Aurelio Martinez
Der Musiker, Komponist und Interpret traditioneller Garífuna Musik wurde 1975 in Plaplaya an der honduranischen Altlantikküste geboren. Er ist geprägt von der Kultur und der traditionellen Musik seiner Vorfahren und hat sein künstlerisches Werken der Erhaltung der zusehends bedrohten Garífuna-Identität verschrieben (s. LN 461, 483/484).

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