Nummer 373/374 - Juli/August 2005 | Regionale Integration

NAFTA-„Plus” – ein neues Minus?

Mexiko steht durch die geplante Erweiterung des Freihandelsabkommens vor einer neuen Herausforderung

Die Zivilgesellschaft war ausgeschlossen als Carlos Salinas de Gortari und die Regierungen der Vereinigten Staaten und Kanadas den Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA) aushandelten. So sicherten sie in Mexiko die Festschreibung der neoliberalen Strategie und installierten die NAFTA-Bestimmungen als supra-nationales Gesetz , wobei im Grunde bereits der Beitritt Mexikos zum allgemeinen Zollabkommen GATT 1985 der erste Schritt in diese Richtung war. diaktuell stattfindenden Verhandlungen von Mexikos Präsidenten Vicente Fox’ über einen erweiterten Freihandelsvertrag NAFTA-”Plus” führen direkt in Richtung einer noch weiter reichenden Unterordnung des Landes sowie zum endgültigen Verlust der nationalen Souveränität.

Alejandro Villamar; Übersetzung: Juliane Schumacher

Gut elf Jahre nach In-Kraft-Treten von NAFTA sind sich die Führungszirkel der internationalen Finanzwelt und der transnationalen Unternehmen wie auch die politischen Eliten einig: Das Abkommen reicht nicht mehr aus, sein Potenzial hat sich erschöpft. Aus ihrer Sicht ist es nötig, die so genannte strukturelle Reform zu vertiefen und die Agenda der nordamerikanischen Integration zu vervollständigen. In Mexiko verlaufen derartige Bestrebungen fernab der öffentlichen Wahrnehmung, geschweige denn Auseinandersetzung. Sie fußen auf einem neuen Konsens der Eliten der drei Länder, den strategischen Block im Norden auf neue rechtliche Grundlagen zu stellen.
Offiziell ins Leben gerufen wurde dieses Projekt auf dem Treffen der drei Staats- und Regierungschefs George W. Bush, Paul Martin und Vicente Fox am 23. März 2005 in Waco, Texas. Seitdem wird es unter dem Namen ASPAN, Alianza para la Seguridad y Prosperidad de América del Norte (Allianz für Sicherheit und Wohlstand in Nordamerika) gehandelt.
Als ob der Wirkungen durch NAFTA nicht genug wären: In Mexiko hat dieses Freihandelsabkommen, in dem den großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Asymmetrien zwischen Supermächten und Entwicklungsländern keineswegs Rechnung getragen wird, eine schlimme Ungerechtigkeit und Ungleichheit begründet. Auch hat es zu weitreichenden Einschränkungen staatlicher Handlungsfähigkeit und damit zu einem steigendem Verlust an Autonomie und Unabhängigkeit geführt. Dies deutet sich beispielsweise durch ein Bankenwesen an, das sich mit der Ausnahme von zwei kleinen Banken, komplett in ausländischer Hand befindet. Auch gingen Möglichkeiten zu einer eigenständigen Industriepolitik auf nationaler Ebene weitgehend verloren.
Erschreckend ist vor allem, dass diese Situation dabei längst als Normalzustand hingenommen wird. Mehr noch: Es scheint sich innerhalb der mexikanischen Gesellschaft eine Gewissheit durchzusetzen, dass der einzig mögliche Weg, das Land zu „modernisieren“, eine Ausweitung der NAFTA ist.

Fox prescht vor

Am 28.Juni 2004 schlug Vicente Fox in Guadalajara vor, die Allianz der nordamerikanischen Staaten neu zu definieren: Er forderte eine weiter reichende finanzielle Integration, ein einheitliches Zollsystem, eine gemeinsame Energiepolitik, aufeinander abgestimmte Sicherheitssysteme, ein Kommunikations- und Transportnetz sowie eine Angleichung im institutionellen Aufbau und den Gesetzen. Das liegt durchaus auf Linie der USA. So fördert die Agentur für Wirtschaft und Entwicklung der Vereinigten Staaten (USTDA) die Sektoren Infrastruktur, Transport und Finanzdienstleistungen in Mexiko durch Machbarkeitsstudien, Unterstützung und technische Assistenz. Die USTDA unterstützt unter anderem die Modernisierung von Flughäfen, die Entwicklung des Marktes für Risikokapital, Wasser- und Abwassersysteme, Transportsysteme und Finanzierung des Wohnungsbaus. Im Jahr 2003 wurden Verhandlungen abgeschlossen, die der Overseas Private Investment Corporation (OPIC) erlauben, Programme anzubieten, um Auslandsinvestitionen in Mexiko zu unterstützen. Als vorrangige Handlungsgebiete wurden Wohnungsbau, Wasserversorgung, Bildung und städtische Infrastruktur bestimmt.
Die kanadische Regierung als Dritte im Bunde fordert unterdessen, dass flexible Mechanismen in Betracht gezogen werden, um die grenzüberschreitende Mobilität in der NAFTA-Region zu erleichtern und eine schrittweise Annäherung der Politik zu garantieren. Dieser den Vertrag erweiternde Ansatz verlangt eine Übereinkunft im Politischen ebenso wie in Fragen der Grenzen, des Transportes sowie der Mobilität der Arbeitskraft. Auch der Wettbewerb im Finanzsektor, Wechselkurse, Wettbewerbsregeln, Wirtschaftspolitik (Ausgleichszahlungen, Anti-dumping-Quoten), Umwelt- und Ressourcenprobleme müssten geregelt werden, ebenso wie die Rechte auf „Geistiges Eigentum“.

NAFTA-Plus schreitet voran

Die NAFTA-Kommision für Freihandel, die sich aus den Handelsministern der drei Länder zusammensetzt, verfasste die gemeinsame Erklärung „Ein Jahrzehnt der Errungenschaften”. Darin erklären sie ihre Bereitschaft, „die wirtschaftliche Integration Nordamerikas zu vertiefen, durch den Abbau von Transaktionskosten oder anderen bürokratischen Hindernissen den Handel und die Investitionen zu verbessern und verschiedene Mechanismen auszumachen, um unsere Wirtschaften durch mehr Handel noch weiter zu integrieren.”
Die genannte Kommission informierte über einen vorläufigen Vertrag über die Liberalisierung der Herkunftsregel für eine breite Produktpalette wie Lebensmittel, Konsum- und Industriegüter sowie alle Produkte, über welche die drei Länder eine Null-Zoll-Regelung abgeschlossen haben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Handelsminister der drei Nationen sich in Richtung dessen bewegen, was die kanadischen Parlamentarier „Vertrag erweiternde Ansätze” nennen, aber mit der Perspektive, damit den Grundstein zu legen für den „Ansatz einer schrittweisen Integration”.

Mexiko verschläft
die Debatte

In Mexiko wird in der nationalen Debatte die Herausforderung durch NAFTA-Plus und der Verlust der Souveränität völlig ausgeblendet. Thematisiert werden die Widerstandskämpfe der Indígenas, der Campesinos, der Gewerkschaften und vieler anderer gesellschaftlicher Akteure und der parlamentarische Widerstand der strukturellen Reformen der Regierung und ihrer mächtigen transnationalen Verbündeten.
Jeden Tag wird die Idee stärker, sich ein eigenes Projekt des Landes vorzustellen und zu schaffen, auch wenn die führenden politischen Akteure auf ihrer politischen Agenda weder eine Antwort noch den Eifer haben, um sich dem NAFTA-”Plus” aktiv und nachhaltig zu widersetzen.
Das Mindeste, was man in diesem Zusammenhang fordern muss, ist eine demokratische Diskussion dieser gegen den Geist der Verfassung gerichteten Pläne.

Der Autor ist Mitglied des Red Mexicana de Acción Frente al Libre Comercio (RMALC)
rmalc@prodigy.net.mx

KASTEN:
Projekt „Erste Welt“

Mexiko habe die „Schwelle zur Ersten Welt“ überschritten, feierte der damalige mexikanische Präsident Salinas de Gortari die Unterzeichnung des Abkommens zur Nordamerikanischen Freihandelszone zwischen Kanada, den USA und Mexiko im Jahr 1993. Wachstum, die Steigerung der Exporte und Millionen neue Arbeitsplätze sollte dieser große Schritt bewirken. Wie der Vertrag am 1.Januar 1994 tatsächlich in Kraft trat, könnte symbolischer nicht für ihn stehen: Das Zapatistische Befreiungsheer (EZLN) besetzte Städte und Kasernen um gegen die Armut, die Ausgrenzung der indigenen Bevölkerung und den Ausverkauf der öffentlichen Güter zu protestieren.
Die NAFTA war von Anfang an ein „Modell-Projekt“, sie sollte als erster Schritt in Richtung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone dienen , als ein radikales Experiment neoliberaler Politik. Tatsächlich wurden in dem trilateralen Abkommen zahlreiche Forderungen der Wirtschaft umgesetzt, die auf multilateraler Ebene bis heute nie durchgesetzt werden konnten. Der extrem weit gefasste Begriff geistigen Eigentums ist nur ein Beispiel. Vor allem aber die Rechte, die das Abkommen im so genannten „Chapter 11“den transnationalen Konzernen zuweist, sind atemberaubend: Nie zuvor war diesen das Recht zugestanden worden, gegen Gesetze und Regelungen der Länder, in denen sie ihre Investitionen tätigen, vor einem Streitschlichtungsgremium zu klagen. Dies bedeutete nicht nur, dass die Konzerne damit in den Rang staatlicher Akteure gehoben wurden – durch die Entschädigungszahlungen, die Unternehmen für ihre Gewinne einschränkende Regelungen zum Umwelt- oder Arbeitsschutz verlangen konnten, wurden die nationalen Gesetzgebungsverfahren untergraben. Die Regeln der NAFTA waren sozusagen als supranationales Recht zu betrachten.
Die Tragweite dieses Aspekts des Abkommens wurde wohl auch den Regierungen selbst erst im Laufe der folgenden Jahre bewusst, als die ersten Klagen gegen die Mitgliedsstaaten eingingen. So wurde Mexiko beispielsweise zur Zahlung von rund 16 Millionen Dollar verurteilt, weil der Staat San Luis Potosí dem US-amerikanischen Unternehmen Metalclad aus Umwelt- und Gesundheitsgründen den Bau einer Anlage zur Verarbeitung und Entsorgung hochgiftiger Stoffe untersagt hatte.
Was den einen erschreckend erscheint, ist für die anderen ein Erfolg: NAFTA diente in den vergangenen Jahren in verschiedenen weiteren Verhandlungen als Vorbild, zum zehnjährigen Jubiläum des Vertrages zeigten sich die Regierungen aller drei Mitgliedsstaaten hoch zufrieden. Es lässt sich durchaus nicht bestreiten, dass auch in Mexiko wirtschaftliche Erfolge zu beobachten sind: Die Exporte haben sich seit 1994 verdreifacht, die Direktinvestitionen sind sogar um das dreieinhalbfache angestiegen. Einige große, exportorientierte Unternehmen konnten ihre Gewinne steigern. Der erhoffte Aufstieg in die erste Welt, ja überhaupt ein Anstieg des Lebensniveaus der Bevölkerung blieben indes aus. Armut und Landflucht nahmen weiter zu und trieben immer mehr MexikanerInnen auf die „andere Seite der Grenze“: Die Geldsendungen aus den USA sind seit 1994 von 200 Millionen Dollar auf 300 Millionen Dollar gestiegen und machen die größte Devisenquelle des Landes aus.
Dass die Folgen der NAFTA die ländliche Bevölkerung und die kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft am härtesten getroffen haben, mag nicht überraschen: Die Importe von Mais und Ölsaaten stiegen zwischen 1994 und 2002 um das Dreifache, die zu Beginn noch versprochenen Übergangsfristen und Schutzzölle hatte die mexikanische Regierung zur Freude ihrer Nachbarn im Norden schon nach Kurzem aufgegeben. So kam es zur der absurden Situation, dass die mexikanischen Bauern ihren Mais nicht mehr los wurden, die Lebensmittelpreise durch die Abschaffung von Subventionen aber dennoch stiegen. 1,5 Millionen Menschen mussten seit In-Kraft-Treten der NAFTA das ländliche Mexiko verlassen. Hunderttausende Campesinos zogen schon im Dezember 2002 durch Mexiko-Stadt, um gegen die Zerstörung des ländlichen Mexikos zu protestieren: „El campo no aguanta más“ – mehr kann das Land nicht mehr ertragen!
Juliane Schumacher

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren