Literatur | Nummer 369 - März 2005

Nazi-U-Boote im Golf von Mexiko

Im neuen Roman von Paco Ignacio Taibo II geben viele Fäden ein etwas dünnes Gewebe

Michael Krämer

Paco Ignacio Taibo II ist respektlos. Der mexikanische Historiker und Autor von mehr als 50 Büchern nimmt keinerlei Rücksicht auf die Grenzen und Gepflogenheiten literarischer Gattungen. So lässt er schon mal den einäugigen Detektiv Héctor Belascoarán Shayne am Ende eines Krimis sterben, um ihn ein paar Bücher später wieder aufleben zu lassen. Und viele Jahre nach dem letzten Auftritt seines melancholischen Helden aus Mexiko-Stadt ist dieser eine der Hauptfiguren eines „vierhändigen Krimis“, den er derzeit gemeinsam mit EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos schreibt. Um genauer zu sein: sie verfassen ihre Kapitel, die seit Mitte Dezember jeweils sonntags in der mexikanischen Tageszeitung La Jornada erscheinen, abwechselnd, in der Hoffnung, dass der Plot irgendwann zusammenfindet. Der Anfang zumindest ist vielversprechend.
Auch der kürzlich übersetzte Roman Die Rückkehr der Schatten überschreitet die Gattungsgrenzen. Er ist teils Kriminalgeschichte, teils Abenteuerroman, natürlich fiktiv, aber zugleich akribisch recherchiert. Wir treffen auf vier alte Bekannte, die in dem bereits 1986 in Mexiko-Stadt veröffentlichten Krimi „Sombra de la sombra“ zum regelmäßigen Dominospiel zusammenkamen – und unter anderem die Verschwörung einiger Erdölbarone aufdeckten. Nun, wir schreiben das Jahr 1941, sind sie zwanzig Jahre älter und vom Leben arg gezeichnet: Der Dichter Fermín Valencia, der frustriert seinem Job beim mexikanischen Geheimdienst nachgeht, hat im Spanischen Bürgerkrieg einen Arm verloren, der Journalist Pioquinto Manterola seine Haare und einige Illusionen über seinen Beruf, und der Anwalt Alberto Verdugo die Freiheit, nachdem er seine Frau getötet hat und nun sein Leben in der Irrenanstalt fristet. Und der „mexikanische Chinese“ Tomás Wong, der zwischendurch am Großen Marsch in China teilgenommen hat, verliert im Kampf gegen nazistische deutsche Kaffeepflanzer in Chiapas sein Leben – bis er mit Hilfe von Indígenas als „gelber Leguan“ wiederaufersteht. Für die vier Protagonisten gilt: „sie haben eingerostete Gelenke, schlaffe Muskeln und eine kaputte Gefühlswelt.“
Es herrscht Krieg in Europa, doch nach Mexiko „dringt nur ein Echo“. Die mexikanische Regierung setzt (noch) auf Neutralität – und verschläft die Aktivitäten der Nazis im eigenen Land. Die vier Freunde von einst werden aktiv und finden, langsam nur, wieder zueinander. Ihre Gegner sind natürlich die Nazis, die im Golf von Mexiko eine geheime U-Boot-Versorgungsstation unterhalten und aus Chiapas besten Kaffee schmuggeln – Grundstoff für die Injektionen des koffeinabhängigen Adolf Hitler. Unterstützung erfahren sie diesmal von Ernest Hemingway, der, in einer Schaffenskrise auf Kuba, nach einem Vollrausch in Mexiko erwacht und sich mit Fermín Valencia nach Veracruz aufmacht.
Paco Ignacio Taibo II hat 15 Jahre an diesem Roman geschrieben und hält ihn selbst für sein bisher bestes Buch. Zahllose Geschichten und Geschichtchen verweben sich zu einem Bild des nachrevolutionären Mexiko, in dem längst Korruption und Machtmissbrauch Einzug gehalten haben. Allein über das Leben von Ernest Hemingway hat er dutzende Quellen erforscht und sechs Mal sein früheres Wohnhaus auf Kuba besucht. Dabei hat er herausgefunden, dass es im Frühjahr 1942 in der Tat eine Woche im Leben des Schriftstellers gibt, die in keiner Biographie belegt ist, dass er also theoretisch tatsächlich in Mexiko gewesen sein könnte.
Wie immer bei Paco Ignacio Taibo II haben seine Protagonisten Charme, zudem kann er durch genaue Recherchen ein lebendiges Bild Mexikos und der mexikanischen Politik zu Beginn der 1940er Jahre zeichnen. Es stört auch nicht, dass „die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit“, wie Taibo II im Nachwort schreibt, „in diesem Roman nicht besonders deutlich sind, nicht einmal für den Autor“. Und doch bleibt nach der Lektüre der Eindruck, der Autor hätte sich diesmal verhoben und in seinem eigenen Irrgarten verloren. Es sind zu viele Pfade, zu selten kommt der Erzählfluss in Gang. Zu manchen Figuren gelingt keine Annäherung. Das ist schade, denn es sind einige interessante darunter; zum Beispiel der Revolutionsgeneral Francisco Múgica, der als Wirtschaftsminister unter Präsident Lázaro Cárdenas (1934-40) als dessen Nachfolger gehandelt wurde, aber ins abgelegene Baja California abgeschoben wurde. Taibo II hat schon in einigen seiner Romane realen Personen ein kleines Denkmal gesetzt, diesmal hoffen wir vergeblich darauf.
Immerhin: Wer Paco Ignacio Taibo II schätzt, wird in der nächsten Zeit einige Freude haben. Bereits diesen Sommer will der Verlag Assoziation A den Gemeinschaftskrimi mit Subcomandante Marcos unter dem Titel „Unbequeme Tote“ veröffentlichen, und für kommendes Jahr hat er die Übersetzung von „Sombra de la Sombra“ angekündigt, einem der besten Krimis des mexikanischen Vielschreibers. Und es bleibt zu hoffen, dass Taibo II bald die Biographie des mexikanischen Revolutionshelden Pancho Villa abschließt, an der er seit einigen Jahren schreibt.

Paco Ignacio Taibo II: Die Rückkehr der Schatten. Aus dem Spanischen von Miriam Lang. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg/Göttingen 2004, 399 Seiten, 24 Euro.

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