Honduras | Nummer 466 - April 2013

Neoliberaler Sprint in Honduras

Seit dem Staatsstreich 2009 wird das Land in rasanter Geschwindigkeit wirtschaftlich umgekrempelt

Die aktuelle honduranische Regierung unter Pepe Lobo hat „Honduras steht offen für business“ zu ihrem Motto gemacht. Der Druck ist groß, denn das Land ist so gut wie bankrott, Lehrer_innen und staatliche Angestellte bekommen seit Monaten keinen Lohn ausgezahlt, in den Krankenhäusern und Apotheken finden sich kaum mehr Medikamente. Da muss schnelles Geld in die Kassen.

Magdalena Heuwieser

Am 23. Januar brachte der Kongress die noch vor wenigen Monaten für verfassungswidrig erklärten „Modellstädte“ oder Sonderentwicklungszonen zurück auf die Tagesordnung.
Der US-amerkanische Ökonom Paul Romer hatte der Regierung 2010 ins Ohr gesetzt, seine liberalistische Vision in Honduras umzusetzen, und versprach Wachstum, Arbeitsplätze und landesweite Entwicklung. Konkret sollten extra-territoriale Wirtschaftszonen mit eigener Gesetzgebung und autonomem Regierungs- und Sicherheitssystem geschaffen werden, die anderen Staaten oder transnationalen Unternehmen unterstehen. Eine Verfassungsänderung im Januar 2011 autorisierte die Einführung dieser „Sonderwirtschaftszonen“.
Daraufhin regte sich Protest gegen den Angriff auf die territoriale Souveränität, getragen von einem breiten Spektrum sozialer, politischer und indigener Organisationen, feministischer Gruppen, Gewerkschaften, Anwält_innen und Aktivist_innen der nach dem Putsch entstandenen Widerstandsbewegung. Kundgebungen, 12.000 Unterschriften, knapp 70 Verfassungsklagen und weitere Klagen wegen Landesverrat führten dazu, dass der Oberste Gerichtshof die Modellstädte im Oktober 2012 für verfassungswidrig erklärte.
Doch die Freude währte nur kurz: Im Dezember setzte der Kongress mit einem juristischen Putsch kurzerhand die vier der fünf Richter_innen der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs ab, welche gegen die Modellstädte gestimmt hatten. So konnte Mitte Januar 2013 fast einstimmig das neue Gesetz zur Einführung der „Arbeits- und wirtschaftlichen Entwicklungszonen“ verabschiedet werden.
Doch auch dieses Gesetz ist verfassungswidrig: Die in Honduras existierenden „in Stein gemeißelten“ Artikel, welche unantastbar sind, werden mit den Verfassungsänderungen verletzt.
Laut Anwalt Fredin Funes stellt das neue Gesetz sogar eine verstärkte Version dar. Zu den Modellstädten, den sogenannten „autonomen Städten“, kommen elf weitere Regimes hinzu: Internationale Finanzzentren, internationale Logistikzentren, internationale Handelsgerichte, Spezielle Investitionsdistrikte, Erneuerbare Energie-Distrikte, Spezielle Wirtschaftszonen, Speziellen Justizsystemen unterstellte Zonen, Spezielle Agroindustrielle Zonen, Spezielle Tourismuszonen, Soziale Minenzonen (!) und Forstzonen. „Zwölf Arten, die Souveränität zu verletzen. Zwölf Arten, sich das Land anzueignen“, so Fredin Funes.
In einer Verfassungsänderung wird die territoriale Aufteilung des Landes in Bundesländer und Bezirke um die neuen Regimes erweitert. Laut Gesetz sollen vor der Einführung Volksabstimmungen in den betroffenen Gegenden durchgeführt werden – außer im Falle von gering besiedelten Gegenden.
Kritiker_innen vermuten jetzt, dass das Ziel ist, die Regimes in ganz Honduras auf Minen-, Staudamm-, Windpark-, Maquila-, und Tourismusstätten anzuwenden, um die nationalen Regulierungen zu beispielsweise Arbeits- und Umweltrechten zu umgehen und die Gewinne direkt abzuziehen. Auch die Privatisierung der wichtigen Tourismusorte wie der Maya-Ruinen Copán wird befürchtet. Die Forstzonen könnten so zum Beispiel möglicherweise Hand in Hand gehen mit Abholzung oder Palmöl-Plantagen.
Ob der aktuelle Bau der riesigen Tourismus-Komplexe in der karibischen Tela-Bucht und in Trujillo oder die Privatisierung des größten Hafens von Honduras, Puerto Cortés, ebenso mit der baldigen Einführung der Sonderregimes zu tun hat, wird sich zeigen.
China zeigt in letzter Zeit besonderes Interesse an Honduras und bietet an, die „souveränen Schuldverschreibungen“ des bankrotten Staats zu kaufen. Im Gegenzug, heißt es, will China sich den Zugang zu den Küsten und Häfen im Pazifik und Atlantik sichern, um mit dem „trockenen Kanal“ der im Zuge des Mesoamerika-Plans gebaut wird, die schnelle Verbindung zwischen den Ozeanen auszunutzen. Unter anderem ist hier der Verkauf der Insel Amapala in Aussicht.
Neben dem Hafen laufen weitere öffentliche Unternehmen Gefahr, privatisiert zu werden, wie das Telefonunternehmen Hondutel, das Wasserversorgungsunternehmen SANAA,das Hafenunternehmen ENP, die Post Honducor und das Nationale Energieunternehmen ENEE. Der Verkauf von ENEE würde auch die öffentlichen Kraftwerke wie beispielsweise den größten honduranischen Staudamm El Cajón mit einschließen.
Währenddessen stehen Dutzende neue private Projekte zur sogenannten grünen Energieproduktion an. Doch auch die Staudämme und Windparks stellen territoriale Bedrohungen dar, zum Beispiel den Verlust des Zugangs zu Flüssen und Wasserquellen sowie Überschwemmungen von Gemeinden und kommunaler Ländereien. Zudem haben sie Korruption und die Spaltung der Gemeinden zur Folge.
Am selben Tag wie die Modellstädte wurde auch das neue Bergbaugesetz, das zuvor in Kanada – Ursprungsland der meisten Minenunternehmen – abgesegnet wurde, durchgewunken. Noch unter Ex-Präsident Manuael Zelaya, der 2009 durch den Putsch sein Amt verlor, waren neue metallische Bergbaukonzessionen und Tagebau mit Zyanid-Einsatz auf Eis gelegt worden. Das neue Gesetz ermöglicht diese höchst schädliche Bergbauform wieder. Statt konstruktiver Kritik werden vom Minen-Sekretariat jedoch die Fortschritte bezüglich sozialer und Umwelt-Standards gelobt. So sollen gar Volksabstimmungen der ansässigen Bevölkerung vor Einführung einer Mine durchgeführt werden.
Legitimiert wird das neue Gesetz mit dem Verweis auf die Erhöhung von Steuereinnahmen. Ein Beispiel ist die Einführung einer Sicherheitssteuer, „die die Minenfirmen an das honduranische Volk zahlen werden, um für mehr Sicherheit in den Gemeinden zu sorgen“, so der Minensekretär Aldo Francisco Santos. Auf die Nachfrage, was dies konkret bedeute, antwortete er: „Diese Geldsumme wird dazu dienen, mehr Polizei anzustellen, Equipment, Überwachungskameras, Waffen, Fahrzeuge für die Gemeinden zu kaufen, in denen abgebaut wird“. Sicherheit für wen also?
Laut Pedro Landa, Koordinator der Nationalen Koalition der Umweltnetzwerke, stellt das neue Gesetz mit seinen vielfachen Leerstellen und Fallen eine weitere Gefahr für die Souveränität der Territorien da. Allein der westliche Bundesstaat Santa Bárbara sei zu 120 Prozent an Minen konzessioniert, wobei noch weitere Konzessionen wie die für Staudämme hinzukommen. So sind manche Territorien doppelt vergeben. Vor allem der Zugang zu Wasser ist bedroht, da das Gesetz keine beschränkung der Wassernutzung der Minen vorsieht.
Die Strategien der herrschenden Klasse zur Durchsetzung der Minen und anderer Megaprojekte scheinen fast übertrieben plump. Kurz nach dem neuen Minengesetz ließ der vor einem Jahr neu eingesetzte Bischof der westlichen Diözese Santa Rosa de Copán, Darwin Andino, mindestens 14 Pfarrer und eine Nonne versetzen. Die Geistlichen waren allesamt in der Verteidigung der Territorien aktiv. Laut Aktivist_innen heißt es, dass die Caritas mit ihrem internationalen Koordinator Kardinal Rodríguez von honduranischen Minengesellschaften finanziell unterstützt wird. „Dies ist ein makabrer Plot der mächtigen Gruppen Tegucigalpas, um die Bevölkerung im Westen des Landes zu demobilisieren“, erklärt der betroffene Pfarrer Esteban Guzmán, der auch Todesdrohungen erhalten hat. Die Gemeinden wehren sich unter anderem mit Kirchenbesetzungen gegen die Beseitigung der Geistlichen.
Doch es bleibt nicht dabei. Menschenrechtsorganisationen zeigten sich negativ überrascht über das ebenfalls im Januar verabschiedete Geheimdienst-Gesetz, welches die Nationale Ermittlungs- und Intelligenz-Direktion (DNII) schaffen soll, sowie Geheimoperationen und Spezialagenten vorsieht und an die Methoden der Aufstandsbekämpfung im Honduras der 1980er Jahre erinnert. Es wird befürchtet, dass dies gerade im Kontext der territorialen Bedrohungen zur Bespitzelung und Kriminalisierung sozialer Proteste führen könnte.
Dieses Gesetz addiert sich zum 2010 verabschiedeten „Gesetz gegen die Finanzierung des Terrorismus“, womit die finanziellen Mittel angeblich subversiver Gruppen, inklusive Nichtregierungsorganisationen, überwacht werden, sowie zum Abhörgesetz von 2011, welches das Abhören von Telefonaten, die Kontrolle von E-mails und Bankkonteneinsicht legalisiert. Unter dem Vorwand der Drogenbekämpfung wird währenddessen das Land militarisiert.
Am 24. Januar dieses Jahres wurde des Weiteren das „Gesetz zum Politischen Prozess“ diskutiert, das die Immunität von Politiker_innen abschaffen soll. Das Gesetz wird dieser Tage verabschiedet.
Es wird vermutet, dass es ein Instrument zur Eliminierung internen Widerstands gegen Gesetze wie diese darstellt. So ist ab jetzt das Absetzen von Richter_innen durch den Kongress legal.
Die sozialen und Umwelt-Bewegungen stehen vor der schwierigen Aufgabe, dem neoliberalen Sprint Einhalt zu gebieten. Die Verteidigung der Territorien ist dieses Jahr zum Stichwort zahlreicher Proteste und neuer Allianzen geworden. In einem Kommuniqué des „Zusammenschlusses zur Neugründung“, welcher am 29. Januar vor dem Kongress protestierte, heißt es: „Jedes Dorf, jedes Viertel, jeder Landkreis muss sich in einen Schutzwall gegen die Landesverkäufer verwandeln“.
Vom 26. Februar bis 8. März fand unter diesem Motto ein groß angelegter Marsch zur Verteidigung der Territorien statt, der von mehreren Städten Richtung Hauptstadt führte.

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