Argentinien | Nummer 443 - Mai 2011

Neue Bündnisse gegen Kirchner

Die argentinischen Parteien bringen sich für den Präsidentschafts­wahlkampf in Stellung

Im Oktober dieses Jahres wählen die ArgentinierInnen eine neue Regierung. Die aussichtsreichste Kandidatin ist bisher die amtierende Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Diese hält sich bislang allerdings mit einer definitiven Aussage zu einer erneuten Kandidatur nonchalant zurück. Den kleinen Parteien hingegen erschwert ein Wahlgesetz aus dem Jahr 2009 den Antritt zu den Wahlen.

Yvonne Franke und Viviana Uriona

Der ursprüngliche Plan ist seit Oktober letzten Jahres passé. Nach dem Tod des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner ist das „Projekt K” mit einem Präsidenten Néstor ab 2011 und seiner Ehefrau Cristina Fernández ab 2015 nicht mehr durchführbar. Doch statt einer hilflosen Präsidentin ohne starken Mann im Hintergrund präsentiert sich hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen am 23.Oktober zurzeit eher die Opposition orientierungslos. „Der Tod von Kirchner war ein harter Schlag für die Opposition“, urteilt Doris Capurro, Analystin des Meinungsforschungsinstituts Ibarómetro. Da ihre Politik lediglich auf einem Anti-Kirchnerismo basiert habe, „der vor allem auf die Person von Néstor Kirchner zentriert war“, habe die Opposition nun in vielen Fällen ihre Existenzberechtigung verloren.
Mittlerweile beginnen sich die Parteien jedoch neu zu formieren. Vor allem über die internen Vorwahlen lässt sich nach und nach ein klareres Bild der ernst zu nehmenden GegenkandidatInnen erkennen. Zunächst ist da die parteiinterne Opposition in der peronistischen Partei Partido Justicialista (PJ). Die PJ geht auf General Juan Domingo Perón zurück und zeichnete sich in den letzten Jahrzehnten immer durch eine gewisse politische „Flexibilität“ aus. Die neoliberale Politik der 1990er Jahre unter dem peronistischen Präsidenten Carlos Saúl Menem führte dabei geradewegs in die wirtschaftliche und soziale Krise von 2001. Der Kandidat mit den besten Aussichten, für die PJ ins Rennen um das Präsidentenamt zu gehen, ist Eduardo Duhalde. Dieser ist seid Ende der 1980er Jahre eine prägende Figur innerhalb der PJ. Er war unter anderem Vizepräsident unter Menem und übernahm das Präsidentenamt während der Krise 2001 bis zur Übergabe an Néstor Kirchner im Mai 2003.
Seine PJ, die mit der Politik Menems assoziiert wird, wird von seinen GegenerInnen auch „PJ disidente” (Abtrünnige PJ) genannt. Damit wollen sie den Unterschied zur Front für den Sieg (FpV) der Kirchners deutlich machen, die sich als „einzig wahre“ peronistische Partei im Sinne der Ideale Juan und Evita Perons stilisiert. Zu den Wahlen werden die PJ und die FpV als getrennte Parteien antreten, als Organisationen gehören sie jedoch beide unter das Dach der PJ.
Der Journalist Luis Bruschtein fasst das Verhältnis dieser beiden sich als peronistisch begreifenden Lager im Januar 2011 in einem Kommentar für die regierungsnahe Tageszeitung Página 12 als „Menemismus gegen den Peronismus, der sich mit den armen Bevölkerungsschichten verbündet” zusammen.
Die zweite traditionelle Kraft innerhalb der argentinischen Parteienlandschaft ist die sozialdemokratische Radikale Bürgerunion (UCR). Auch hier ist der aussichtsreichste Kandidat nicht ganz unbekannt: Ricardo Alfonsín, der Sohn des 2009 verstorbenen Ex-Präsidenten Raúl Alfonsín. Der große Name erweist sich jedoch eher als Bürde. So ist der Name Raúl Alfonsín zwar untrennbar mit dem Übergang zur parlamentarischen Demokratie nach dem Ende der letzten Militärdiktatur 1983 verbunden. Gleichzeitig waren gerade seine Regierungsjahre durch einen ökonomischen Schlingerkurs gekennzeichnet, der letztlich in der Hyperinflation von 1989 endete. Kein leichtes Erbe also, zumal Ricardo Alfonsín selbst bislang weder ein wichtiges Parteiamt noch ein bedeutendes politisches Mandat innegehabt hatte.
Mit der Ansage, das argentinische Zwei-Parteien-System von PJ und UCR angreifen zu wollen, formierte sich die Partei Proyecto Sur (Projekt des Südens) um den international bekannten argentinischen Regisseur Fernando „Pino“ Solanas. Proyecto Sur bezeichnet sich selbst als linke Mitte und zieht mit populären Forderungen wie der Verstaatlichung der Erdöl- oder Minenindustrie in den Wahlkampf. Sowohl Teile des eher konservativen Bauernverbandes FAA als auch Teile des linken Spektrums wie die Bewegung zum Sozialismus (MAS), die Sozialistische Arbeiterbewegung (MST) und die Revolutionäre Kommunistische Partei (PCR) sind ein Wahlbündnis mit Pino Solanas eingegangen.
Die Parteien, die im politischen Spektrum links vom Proyecto Sur stehen, haben sich ebenfalls zusammengetan. Die Arbeiterpartei PO, die sozialistische Linke IS, die Neue Bewegung zum Sozialismus (Nuevo MAS) und die Sozialistische Arbeiterpartei (PTS) treten nach erfolgreichen Verhandlungen als Wahlbündnis an. Grund für ihren Zusammenschluss ist ein Wahlgesetz aus dem Jahr 2009, das die bislang recht geordnete Struktur der Parteienlandschaft Argentiniens im Wahljahr 2011 ziemlich durcheinander bringt. Im Dezember 2009 vom Parlament mit Stimmen der FpV und UCR verabschiedet, sieht es unter anderem obligatorische, offene, interne Vorwahlen vor. Alle gesetzlich anerkannten Parteien, die im Oktober bei den Wahlen antreten wollen, müssen an den offenen Vorwahlen am 14. August teilnehmen. Dabei wird über alle im Oktober dieses Jahres zu besetzenden politischen Ämter abgestimmt werden. Die Parteien können entweder mit nur einem oder mehreren KanditatInnen pro Amt antreten. So wird über die parteiinterne Debatte hinaus zugleich eine offene Konkurrenzsituation geschaffen.
Eine weitere wichtige Neuerung der Wahlgesetzgebung ist, dass die Anerkennung von politischen Parteien deutlich erschwert worden ist. Nach dem neuen Gesetz müssen mindestens 0,4 Prozent der Wahlberechtigten einer Provinz Mitglied der Partei sein, in Provinzen mit mehr als einer Million Wahlberechtigten müssen es mindestens 4.000 Personen sein. Dies trifft unter anderem auf die Provinz Buenos Aires und die Hauptstadt zu. Gerade für die kleineren Provinzen ist diese neue Anforderung eine echte Hürde. So werden zum Beispiel in der patagonischen Provinz Santa Cruz noch 771 Mitglieder benötigt, um eine Partei zu gründen. Im quasi menschenleeren Feuerland sind es noch stolze 387.
Außerdem muss eine Partei nun in mindestens fünf Regionen als solche anerkannt werden, für die Anerkennung also eine gewisse Überregionalität nachweisen. Darüber hinaus erschwert das neue Wahlgesetz die Bewerbungen für Senatssitze, das nationale Parlament und das Parlament der südamerikanischen Staatengemeinschaft Mercosur. Alle KandidatInnen müssen nun nachweisen, dass sie von mindestens zwei Prozent der Parteimitglieder unterstützt werden. Für die Bewerbung um das Präsidenten- und Vizepräsidentenamt ist hingegen lediglich ein Prozent UnterstützerInnen notwendig. Die Parteilisten als Ganzes müssen bei der Vorwahl mindestens 1,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, um zur Wahl am 23. Oktober zugelassen zu werden.
Die dritte entscheidende Neuerung ist die Bildung von sogenannten zusammenführenden Listen. Hier können einzelne Parteien ihre eigenen KandidatInnen aufstellen, aber zum Beispiel als Präsidentschaftskandidatin Cristina Fernández de Kirchner einsetzen. In diesem Fall könnte Cristina Fernández von den Stimmen aus anderen politischen Parteien profitieren.
Die Interessen der amtierenden Präsidentin, die das neue Gesetz mithilfe der UCR auf den Weg gebracht hat, sind eindeutig. Zum einen erschweren die 1,5-Prozent-Klausel und die Mindestmitgliederzahl das Antreten kleinerer Parteien erheblich. Laut deutschem Parteiengesetz ist zum Beispiel lediglich ein aus mindestens drei Personen bestehender, ordentlich gewählter Vorstand für eine Parteigründung nötig. Die neuen Restriktionen sollen auch die spontane Gründung von Parteien, die eher durch eine charismatische Führungsperson als mit einem ausgearbeiteten politischen Programm überzeugen, erschweren.
Fernando „Pino“ Solanas mit seinem Proyecto Sur konnte 2009 bei den Oberbürgermeisterwahlen von Buenos Aires auf Anhieb 24,21 Prozent der Stimmen auf sich vereinen – an den neuen Kriterien des überarbeiteten Wahlgesetzes wäre er schon im Vorfeld gescheitert. Es ist somit offensichtlich, dass vor allem kleinere linke Parteien wie die Arbeiterpartei PO, die sozialistische Linke IS oder die MAS sowie sich noch im Aufbau befindende Parteien am Antreten gehindert werden sollen. Cristina Fernández rechnet wahrscheinlich zu Recht damit, dass die AnhängerInnen dieser Parteien bei der Wahl letztlich ihr als kleinerem Übel ihre Stimmen geben werden.
Auch die zusammenführenden Listen sind gerade für die Kirchner-Regierung in zweifacher Hinsicht ein sehr interessantes Instrument. Zum einen ermöglicht es den sich strategisch nahestehenden Parteien, einander Koalitionsangebote zu machen, ohne die eigenen Zielsetzungen vorschnell aufgeben zu müssen. Gleichzeitig kann Fernández auf eine breite Basis verweisen, ohne selbst definitive Aussagen machen zu müssen. Und hier liegt für die Präsidentin womöglich der größte Vorteil, den ihr die umständlich anmutenden Vorwahlen bieten könnten: Durch sie wird sich schnell zeigen, wer an ihrer Seite für das Amt des Vizepräsidenten kandidieren wird. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten treten auf unterschiedlichen Listen an und konkurrieren um das Gouverneursamt in der Provinz Buenos Aires miteinander. Da ist zum einen Daniel Scioli, der zwar für die FpV antritt, allerdings nicht bedingungslos hinter dem Ehepaar Kirchner stand und immer wieder mit eigenen Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt kokettierte. Zum anderen der relativ unbekannte Martín Sabbatella der mitte-links Partei Nuevo Encuentro, dem Cristina Kirchner offenkundig großes Vertrauen entgegenbringt.
Der Gewinner des Rennens zwischen Scioli und Sabbatella wird ihr Vizekandidat werden, sollte nicht noch einE andereR ÜberfliegerIn aus den Vorwahlen hervorgehen. Gleichzeitig entledigt sich Kirchner so den Argumenten derjenigen, die sich einen Vizepräsidenten aus den Reihen des peronistischen Gewerkschaftsdachverbands CGT wünschen. Hier fällt häufig den Name des CGT-Anwalts Héctor Recalde. Das Verhältnis zwischen Fernández‘ Frente para la Victoria und der CGT gilt schon seid längerem als angespannt. Es gibt zahlreiche Gerüchte, dass Néstor Kirchner noch in der Nacht vor seinem Tode einen heftigen Streit mit dem einflussreichen CGT-Chef Hugo Moyano hatte. Die offene Missachtung, mit der Cristina Kirchner Hugo Moyano bei der Beerdigung ihres Mannes strafte, bestätigte für viele diese Gerüchte.
Zudem hat die CGT mit zwei Skandalen zu kämpfen: Gegen Hugo Moyano selbst wird wegen Veruntreuung und Bereicherung ermittelt. Bei einer Auseinandersetzung zwischen fest angestellten ArbeiterInnen und ZeitarbeiterInnen der Eisenbahn im Oktober letzten Jahres hat außerdem ein CGT-Anhänger den linken Aktivisten Mariano Ferreyra erschossen.
Ohne ihren Zusammenhalt hätten die kleinen linken Parteien gegen Christina Kirchner keine Chance. Die Abgeordnete Liliana Olivero der IS bringt die Strategie der linken Splitterparteien poetisch, aber klar auf den Punkt: „Wir haben uns zusammengetan und brechen damit unsere zwischenparteilichen Grenzen auf, wir sind ein Leuchtturm, ein Licht sowohl für diejenigen, die schon verschiedene Mitte-Links-Alternativen ausprobiert haben, als auch gegen die pseudo-progressive Politik von Cristina Kirchner.“

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