Honduras | Nummer 442 - April 2011

Neue politische Kraft

Panorama und Perspektiven der Widerstandsbewegung

Plötzlich waren die Straßen voller Menschen, voller Transparente und Lärm, voller Zorn und Euphorie. Plötzlich waren die Wände entlang der Straßen gespickt mit regimekritischen Graffiti, die die Machthabenden in Honduras an den Pranger stellten. Der Putsch bedeutete nicht nur vermehrte Unterdrückung und Gewalt, er brachte auch Positives hervor: eine neue politische und soziale Kraft, die Widerstandsbewegung FNRP. Diese setzt sich seitdem für einen tiefgreifenden Wandel im Land ein, der über eine partizipative Verfassunggebende Versammlung erreicht werden soll.

Magdalena Heuwieser

Soziale Bewegungen hatte es in Honduras selbstverständlich auch vor dem Putsch gegeben, wenn auch weniger stark ausgeprägt als in den umliegenden zentralamerikanischen Ländern. Dort wehrten sich seit den 1970er Jahren organisierte Guerilla-Bewegungen gegen die US-gestützten Militärregimes. In Honduras wurden währenddessen die Land- und Gewerkschaftsbewegungen meist mit Kompromissen oder direkter Gewalt kleingehalten. Ab Anfang der 1990er Jahre begann sich aber auch dort verstärkter Widerstand gegen die einsetzenden neoliberalen Strukturanpassungsprogramme zu regen. Aufgrund des tiefgreifenden Wandels im Wirtschaftsmodell und der daraus resultierenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wurde – und blieb – jedoch vor allem die Gewerkschaftsbewegung sehr geschwächt. Ab der Jahrtausendwende kam neuer Schwung in die sozialen Proteste und es entstanden vermehrt Frauen- oder Umweltbewegungen sowie Widerstand gegen neue Freihandelsabkommen. Diese Gruppen agierten jedoch hauptsächlich getrennt voneinander, wenn auch mit der Gründung des Bloque Popular (Volksblock) der Coordinadora Nacional (Nationale Koordination) in den Jahren 2000 und 2003 Fundamente für eine Vernetzung gelegt wurden.
Parlamentarisch weitgehend isoliert, suchte Manuel Zelaya ab seiner Amtszeit 2006 Rückhalt in der Zivilbevölkerung. Die Annäherung wurde aufgrund seiner progressiven Reformen, dem Beitritt zum linken lateinamerikanischen Staatenbündnis ALBA und dem gemeinsamen Einsatz für die, von ihm vorgeschlagene Umfrage über eine partizipative Verfassunggebende Versammlung (VV) auch erwidert. Die herrschende Elite im Land sah somit die recht stabilen Kräfteverhältnisse in Gefahr. Der Staatsstreich sollte eigentlich die Stabilität wiederherstellen und den wachsenden Einfluss der Zivilgesellschaft verhindern. Tatsächlich konnte die nationale Elite ihr Fortbestehen durch ihr aggressives Eingreifen auch erst einmal sichern. Dies jedoch auf einem fragileren Fundament als zuvor, da die sozialen Bewegungen durch ihre gemeinsame Kraft in der Widerstandsbewegung Frente Nacional de Resistencia Popular (FNRP) erst an Schwung gewannen. Dass nach dem Putsch also eine so massive Bewegung entstand, lag einerseits an der Allianz mit Zelaya, der Zunahme der sozialen Proteste im letzten Jahrzehnt, der Existenz von schon bestehenden Organisationsstrukturen und dem gemeinsamen Feindbild: den „Putschisten“, beziehungsweise dem gemeinsamen Ziel: der Verteidigung der Demokratie, der Rückkehr Zelayas und der Einberufung einer VV.
„Der Putsch war wie ein Aufwachen für die Zivilbevölkerung und der Protest wie eine Schule auf den Straßen“, beschreibt Edgar Soriano, Historiker und Delegierter der FNRP. Die wenigen alternativen Medien klärten auf über die „zehn Familien“, die das Land besitzen. Treue KirchgängerInnen waren geschockt von der Komplizenschaft des katholischen Kardinals. Die großen Zeitungen entpuppten sich als Putsch-Medien und wurden links – oder eher rechts – liegen gelassen. Antreibende Kraft war somit vor allem die aufkommende Erkenntnis darüber, dass der formaldemokratische Staat vielmehr Projekt einer abgehobenen Elite ist und weite Bevölkerungsteile ausschließt.
Auf den Putsch folgten mehrere Monate mit täglichen friedlichen Massenmobilisierungen, Straßenblockaden, Boykotts und Streiks in den Städten und auf dem Land. Ausgangssperren, gewaltsame Auflösung der Demonstrationen, willkürliche Festnahmen, Militarisierung und Vergewaltigungen von Frauen durch Polizisten waren die Antwort des Putschregimes unter Roberto Micheletti. Auch die Zensur der wenigen kritischen Medien, Bedrohung von MenschenrechtsaktivistInnen und eine steigende Anzahl politischer Morde standen auf der Tagesordnung.
Nach der Wahlfarce im November 2009 und dem sinkenden internationalen Interesse schwand auch die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr zur demokratischen Ordnung mit Zelaya im Lande. Die Repression, finanzielle Schwierigkeiten und die Notwendigkeit der Rückkehr zum Arbeits- und Schulalltag ließen die FNRP ihre Strategie ändern. Zum Widerstand gegen den Putsch kamen langfristigere Forderungen hinzu und es wurde vermehrt auf die Stärkung der internen Strukturen und Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung durch den Aufbau alternativer Medien und politische emanzipative Bildung gesetzt.
Nach dem Amtsantritt Lobos Anfang 2010 hat sich die Situation für den Widerstand keineswegs verbessert. Vielmehr stellt die internationale Anerkennung des Regimes und das Ignorieren sämtlicher Menschenrechtsverletzungen ein Hindernis für die FNRP dar. Trotz allem ist sie im Land weiterhin eine sehr wichtige soziale und politische Kraft und wird laut Statistiken von über 30 Prozent der Bevölkerung als solche anerkannt. Die FNRP selbst beschreibt sich als eine offene, demokratische, anti-kapitalistische, anti-hierarchische, anti-imperialistische, anti-patriarchale und anti-rassistische Bewegung. Studierende, indigene und bäuerliche Gemeinschaften, Umweltgruppen, Gewerkschaften, feministische, lesbische und homosexuelle Bewegungen, KünstlerInnen und MusikerInnen, Teile von Parteien, Hausfrauen, Maquila-ArbeiterInnen, AnwältInnen, Lehrende, Menschenrechtsorganisationen und vor allem auch viele zuvor nicht organisierte Einzelpersonen sind darin repräsentiert – im Ganzen über 60 Organisationen.
Durch die Pluralität an AkteurInnen nahm die FNRP viele neue Konzepte auf, die selbst in den linken Kreisen noch ignoriert worden waren. So wurde klar, dass ausschließende Praktiken nicht nur auf die Beziehung Kapital-Arbeit zutreffen, sondern auch auf ethnische Herkunft, Gender und sexuelle Orientierung. Die Beschränkung auf die „Arbeiterklasse als einzigen sozialen Akteur“ wurde damit erweitert auf einen heterogenen sozialen Block. Vor allem Frauen, Feministinnen, Homo- und Transsexuelle konnten sich innerhalb der FNRP neue Freiräume eröffnen. „Dass heute bei Versammlungen gendergerechte Sprachweise verwendet wird, war vorher in unserer „Macho-Gesellschaft“ unmöglich“, begeistert sich Sara Eliza Rosales, Delegierte der FNRP, Schriftstellerin und Feministin.
Ziel der Basisorganisation ist ein grundlegender Wandel der Gesellschaftsform, des politischen Systems und des Wirtschaftsmodells. Ähnlich wie andere Transformationsprozesse der „Neuen Linken“ in Lateinamerika stellen sie eine VV ins Zentrum ihres Kampfes. Dabei geht es keinesfalls nur um eine rein formale Gesetzesänderung. Vielmehr soll es sich um einen emanzipatorischen Diskussionsprozess in allen Sektoren der Bevölkerung handeln, in dem sich Basisgruppen gemeinsam überlegen, mit welchen Problemen sie konfrontiert sind und welche Forderungen sie stellen. „Eine neue Verfassung in Honduras muss zum Ziel haben, ein neues und alternatives Lebensmodell zu entwerfen“, betont Jesus Antonio Chavez, Aktivist der FNRP. Und Berta Cáceres von COPINH erklärt: „Wir wären erstmals in der Lage, einen Präzedenzfall für die Emanzipation der Frauen zu schaffen. Die aktuelle Verfassung erwähnt Frauen an keiner einzigen Stelle.“ Außerdem würde die erhoffte Magna Charta eine Grundlage für den endgültigen Bruch mit dem neoliberalen System, ein Verbot von Privatisierungen, den Austritt aus Freihandelsabkommen und die Förderung regionaler Integration darstellen. Auch eine neue Agrarreform stünde auf dem Plan. Für die Einberufung sammelte die FNRP im Jahr 2010 über 1,4 Millionen „Souveräne Erklärungen für eine VV“, was über 55 Prozent der WählerInnenschaft entspricht. Diese haben zwar keinen bindenden Charakter, dennoch zeigen sie, wie sehr der Wunsch nach grundlegenden Veränderungen in der Bevölkerung verankert ist.
Von 26. bis 27. Februar 2011 fand in Tegucigalpa die bisher größte Generalversammlung mit über 1.500 VertreterInnen aus allen Departamentos und sozialen Sektoren statt. Lange hatten alle darauf hingefiebert, sollten in ihr doch die zukünftigen Strategien zur Erreichung einer VV beschlossen werden.
Die Monate davor hatten viele interne Diskussionen darüber stattgefunden. Erkennbar waren hauptsächlich zwei Fraktionen: Die eine Seite plädierte für die Teilnahme an den nächsten Wahlen 2013, um schließlich mit einer Mehrheit im Parlament eine partizipative VV einberufen zu können. Andere Gruppen setzten sich für den weiteren Boykott der illegitimen Regierung Lobo und eine eigenständige Einberufung einer VV ein, die einen stärkeren Bewusstseinsbildungsprozess und eine Basisorganisierung in der Bevölkerung erreichen könnte.
In der Versammlung wurde entschieden, dass eine Wahlbeteiligung erst geplant werden kann, wenn die „Voraussetzungen dafür stimmen“. Dazu gehören die bedingungslose Rückkehr von Zelaya und anderen politisch Exilierten sowie das Durchführen einer selbst einberufenen VV. Erst danach und mit einem geänderten Wahlgesetz könnte die FNRP als soziale und politische Kraft direkt an Wahlen teilnehmen.
Bis jetzt erlaubt das Gesetz nur Parteien oder unabhängige Kandidaturen. Somit konnten eine Trennung in eine politische Partei und eine soziale Bewegung, sowie die immer größer werdende Dominanz der liberalen Partei innerhalb der FNRP verhindert werden. Die VV soll am zweiten Jahrestag des Putsches, am 28. Juni 2011, einberufen werden. Auch wird weiterhin auf die Destabilisierung des Regimes gesetzt, unter anderem durch einen nationalen Generalstreik.

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