Kolumbien | Nummer 457/458 - Juli/August 2012

Nicht ein Zentimeter Land!

Widerstand von unten gegen Green Economy in Kolumbien

Durch Megaprojekte der grünen Ökonomie und durch nationale sowie internationale Investitionen wird das kolumbianische Territorium verplant. Verlierer_innen sind Kleinbäuerinnen und -bauern, indigene Gemeinschaften und urbane marginale Schichten. Vertreibung und Verlust ihrer Territorien, steigende Nahrungsmittelpreise durch Verlust der Nahrungsmittelsouveränität, Umweltverschmutzung, Verlust der Biodiversität und Verarmungsprozesse sind die Folgen des neuen Entwicklungsmodells. Doch an der Basis formiert sich bereits Widerstand.

Christina Gerdts

20 Jahre nachdem auf dem Gipfel der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ als Antwort auf soziale und Umweltprobleme eingeführt wurde und der Klimaschutz erstmals als globales Entwicklungsziel etabliert wurde, haben sich Staats- und Regierungschefs sowie eine Vielzahl sozialer Bewegungen vom 20. bis 22. Juni 2012 erneut in Rio versammelt, um über Antworten auf die globalen Krisen zu debattieren. Die offizielle Erklärung berührt eine Vielzahl von Themen: Armutsbekämpfung, Biodiversität, Nahrungsmittelsicherheit, urbane Territorien, Ozeane und Bergbau. Die Beschlüsse sind im Vergleich zu den Herausforderungen gering, zumal kein Haushalt für die Umsetzung zur Verfügung steht.
Der Gegengipfel der sozialen Bewegungen sieht in der Erklärung ein Scheitern. Der historischen Verantwortung für die Umwelt- und Klimakrise wird seitens der Industrieländer nicht Rechnung getragen. Die Green Economy wird als eine weitere Phase des neoliberalen Kapitalismus angesehen, die mit Marktmechanismen die Krise weiter verschlimmern wird. Öffentliche Verschuldung, exzessiver Konsum, die Konzentration neuer Technologien, Emissionsmärkte für Verschmutzungsrechte sowie Patentierung der Biodiversität und Land Grabbing durch externe Akteure beschränken den Zugang zu den natürlichen Ressourcen in den Ländern des Südens. Gemeingüter und Menschenrechte werden in Waren umgewandelt. Dem werden Konzepte wie das Buen Vivir („das gute Leben“) gegenübergestellt, das auf indigenen Wertvorstellungen basiert.
Auf dem Forum „Grüner Kapitalismus. Die andere Seite des gleichen Modells?“ – veranstaltet von einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen, Basisgruppen und Gewerkschaften – versammelten sich Vertreter_innen der verschiedensten sozialen Bewegungen aus allen Regionen Kolumbiens, um gemeinsam die Konflikte zu analysieren, welche die Investor_innen unter dem Deckmantel der grünen Wirtschaft hervorbringen. Als Ergebnis formulierten sie ihre Forderungen und Alternativen im Hinblick auf das Entwicklungsmodell und den Gipfel in Rio de Janeiro.
Gerade Kolumbien als ein extrem ressourcenreiches Land steht im Visier der internationalen Investor_innen. Mit verschiedenen Bodenschätzen, Wasserreichtum und beeindruckender Biodiversität bietet Kolumbien alles, was die ressourcenhungrige globale Ökonomie benötigt. Wichtigstes Standbein der neoliberalen Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Regierung unter Manuel Santos ist die extraktive Ökonomie. Kolumbien soll so als Ressourcenlieferant in die internationale Arbeitsteilung eingegliedert werden. „Damit fördert die Regierung zwar die Landwirtschaft, aber nur für den Export. Die Nahrungsmittelsicherheit und -souveränität wird dabei vergessen, da die Ernährung über Importe gesichert werden soll”, klagt ein Vertreter der Kleinbauernbewegung über die Regierungspolitik.
2010 wurden zum Beispiel 10.000 Hektar in Konzessionen zur Erschließung und zum Abbau von Bodenschätzen vergeben. Die Projektion der nationalen Agentur für Bergbau (ANH) liegt bei 60.000 Hektar. Das entspricht der Hälfte des kolumbianischen Territoriums. Ein anderer Aspekt der grünen Ökonomie ist die Nutzung von großen Landflächen für den Ökotourismus und Naturparks. „Die ganze Region Boyaca ist entweder an Bergbaukonzessionen vergeben oder mit Ökotourismusprojekten übersät“, so eine Aktivistin der Organisation Mamapacha aus dem zentralen Andenhochland über die Situation. Agroindustrielle Projekte mit transgenem Saatgut gefährden die Gebiete weiter. Im Südwesten des Landes in den Departamentos Nariño und Cauca bedroht neben dem permanenten bewaffneten Konflikt zwischen Militär, paramilitärischen Gruppen und aufständischen Guerrillas außerdem der Anbau von Ölpalme und Zuckerrohr in riesigen Monokulturen die indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften. In den Tiefebenen des Westens Kolumbiens sind es vor allem transnationale Firmen die Erdöl abbauen und riesige Ländereien aufkaufen, um dort Agrokraftstoffe zu produzieren. Aber auch im Osten des Landes ist die Lage ernst: „Die Palmöl-Plantagen haben praktisch die ganze Region in Beschlag genommen – neben der Erdölproduktion”, beschreibt eine Repräsentantin des Netzwerks sozialer Bewegungen des Ostens.
Sei es der Bau von Wasserkraftwerken oder die industrielle Landwirtschaft zur Produktion von Agrokraftstoffen – das Geschäft mit der Natur verspricht rentabel zu sein und den Anforderungen der „Nachhaltigkeit“ zu entsprechen. So plant die Regierung trotz des Widerstands eine Vergrößerung des Anbaus von Ölpalmen von 400.000 auf 3,3 Milllionen Hektar. Weiterhin werden unter dem Anschein von Naturschutz und nachhaltigem Tourismus indigene und rurale Gemeinden von ihrem Land vertrieben, die verfügbaren Flächen für die Nahrungsmittelproduktion verringert und der Zugang zu bestimmten Territorien privatisiert. Diese Investitionen werden durch staatliches Militär oder paramilitärische Strukturen abgesichert.
Verschiedene Mechanismen erlauben zudem Ländern des Nordens, ihre Pflichten zur Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes innerhalb des Territoriums von Ländern des Südens nachzukommen. Im Rahmen dieser Mechanismen werden in Kolumbien beispielsweise indigene Gemeinschaften dafür bezahlt, nicht in bestimmte Wälder im Amazonas einzugreifen. Zwar bringt dies den Gemeinden einen finanziellen Gewinn, birgt aber die Gefahr des Verlustes der territorialen Autonomie und Kultur dieser Gemeinschaften. Ein Mitglied der indigenen Gemeinden in der Region Chorrera im Amazonasgebiet bestätigt, dass Forstprojekte und die Abkommen im Rahmen des Emissionshandels den Verbleib seiner Gemeinde in ihrem angestammten Territorium bedrohen.
Diesem quasi apokalyptischen Bedrohungsszenario setzen die Aktivist_innen und Basisgruppen eine beachtliche Breite an Praktiken des Widerstands und der Aneignung ihrer Territorien entgegen: Die Aktivist_innen organisieren sich in Gemeinschaften der Nahrungsmittelsouveränität sowie Friedensgemeinschaften. Die kleinbäuerliche Bio-Landwirtschaft und lokaler Konsum bilden die zentrale Achse dieser Organisationsprozesse. Dazu gehören solidarische Wirtschaftsformen, kommunitäres Ressourcenmanagement sowie Organisationsprozesse zur Verteidigung des Territoriums gegen transnationale Investor_innen. Diese sind angesichts der gewalttätigen Repression durch verschiedene Akteure bitter nötig. Im Norden des Landes in der Zone Uraba im Departamento Antioquia wehrt sich die Friedensgemeinde San José de Apartadó seit 15 Jahren gegen Vertreibung, Massaker und selektive Morde im Rahmen des bewaffneten Konflikts. „Kohlebergbau, Wasserkraftwerke, intensive Forstwirtschaft und die Bananenmonokultur sind die wirtschaftlichen Megaprojekte, um deren Gewinne sich die Konfliktparteien streiten,“ so ein Vertreter der Friedensgemeinde.
Die Ablehnung dieser Kämpfe um Geld und Macht innerhalb des kapitalistischen, extraktiven und neoimperialen Entwicklungsmodells ist bei den Basisorganisationen deutlich zu spüren. Außerdem sehen zwei Aktivist_innen in der Abschlussdebatte des Forums zum grünen Kapitalismus die historische Verantwortung der Industrieländer für die Umwelt und Wirtschaftskrise: „Wir wollen nicht reich werden, wir wollen in Einklang und Harmonie mit der Natur leben. Wenn die Industrieländer ihre Umwelt zerstört haben und kein Land und keine Ressourcen mehr für die Eigenproduktion haben, dann ist das nicht unser Problem. Sie müssen das lösen – und zwar ohne sich an unseren Territorien zu bedienen.“
So stellen die Wiederbelebung der traditionellen Praktiken wie dem Tausch von Produkten oder gemeinsame Arbeitstage der Gemeinschaftsmitglieder Praktiken von konkretem, lokalem Widerstand dar. Aber auch auf regionaler Ebene organisieren sich die Aktivist_innen in Netzwerken bis hin zu nationalen Großveranstaltungen wie dem „Kongress der Völker“ mit 10.000 Teilnehmer_innen im vergangenen Jahr. Die Schlussfolgerung einer Aktivistin: „Nicht ein Zentimeter Land mehr für Megaprojekte! Unser Territorium und unsere Natur ist das Fundament für die Autonomie der kolumbianischen Völker.“

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