Literatur | Nummer 390 - Dezember 2006

Nicht mehr als ein romantischer Traum

Im Krimi Krieg in Mirandão von Fernando Molica wird alle Hoffnung auf eine brasilianische Revolution zunichte gemacht

Saskia Vogel

Diesmal soll die Revolution in den Favelas ausbrechen, und nicht im feinen Ipanema. Die Revolution soll von denjenigen ausgehen, die den Hunger nicht nur aus den Büchern kennen.“ Der 19-jährige Célio, Student aus der brasilianischen Mittelklasse, hat einen Plan. Gemeinsam mit seinen Genossen und Genossinnen aus dem revolutionären Bündnis „Conexão Revolucionária“ (CR) will er in Brasilien einen sozialistischen Umbruch herbeiführen. Dafür hat Célio sogar seine bürgerliche Identität abgelegt. Dreh- und Angelpunkt ist die Favela Mirandão in der armen Nordzone Rio de Janeiros. Getarnt als harmlose NGO-Arbeit setzen Célio und seine Verbündeten ihre ganze Kraft in die Politisierung der Jugendlichen aus den Slums. Denn Célio hat aus zwei bereits gescheiterten Revolutionsversuchen gelernt: Bevor das reichlich vorhandene Waffenarsenal der Morros, der Armensiedlungen, zum Einsatz kommt, muss erst das politische Bewusstsein für das „wahre“ revolutionäre Potential geschaffen sein. Seine Mission hat ein klar definiertes Ziel: Die Armen von der Vorstellung abzubringen, dass die Revolution abgeschlossen sei, wenn sie sich ein neues Fernsehgerät leisten können oder die Weißen den Schwarzen ein paar Almosen hinwerfen. Diesmal soll das ganze System gestürzt werden.
Doch es gibt ein Problem. Um die nötigen Strukturen aufbauen zu können, ist ein Bündnis mit dem organisierten Drogenhandel in Mirandão nötig. Tatsächlich gelingt es der CR, den Drogenboss und unangefochtenen Chef von Mirandão, Marra, in ihre Pläne einzubinden. Die Kooperation geht jedoch nur scheinbar auf. Denn die revolutionäre Bewegung ist für Marra schlicht eine Möglichkeit, seine Macht auszubauen und unliebsame Gegenspieler brutal hinzurichten. Marras Grundsatz ist schlicht und brutal: „Und wenn man töten muss, um an Kohle zu kommen, ja leck mich, dann muss ma eben töten.“
Autor Fernando Molica erzählt in seinem Krimi Krieg in Mirandão zumeist aus der Perspektive seiner ProtagonistInnen, wobei er den groben Slang der Favelados imitiert. In dieser Welt, die von Gewalt und Skrupellosigkeit beherrscht ist, töten nicht nur die Drogendealer für Geld, sondern auch die Polizei. So gehört die letzte Szene dem korrupten Polizisten Jairo, der feixend auf die gelungene „Zerschlagung“ von Mirandão anstößt.

Spannende Einblicke

Für die überlebenden Revolutionäre bleibt nichts als Hoffnungslosigkeit nach einem romantischen Traum. Mit seinem Erstlingswerk gelingt Molica ein spannender Einblick in die inneren Strukturen der brasilianischen Favelas. Nicht immer wird dem / der Lesenden deutlich, aus welchen Motiven heraus die Dealer, Revolutionäre und die Polizei mit- oder gegeneinander agieren. Doch diese Verworrenheit ist Konzept und eigentliche Botschaft des Krimis: Ein wirklicher gesellschaftlicher Umbruch in Brasilien ist so gut wie unmöglich und wird stets am dichten Netz aus politischer Korruption, illegalem Drogenhandel und polizeilichem Machtmissbrauch scheitern. Molica, der selbst als Reporter für den größten brasilianischen Fernsehsender TV Globo arbeitet, liefert mit seinem Buch nicht nur ein treffendes Bild der brasilianischen Gesellschaft, sondern karikiert in der Figur des frustrierten Lokalreporters Fontoura die Vertreter seines eigenen Berufstandes. Für die Journalisten sind die täglichen Gewaltmeldungen nämlich nichts weiter als das Material für eine möglichst heiße Story. Bereitwillig verbreiten sie die verlogenen und rassistischen Darstellungen der Polizei, und bestätigen damit weiter die Meinung der brasilianischen Oberschicht, für die Armut und eine schwarze Hautfarbe schon längst Synonyme für Gewalt und Verbrechen sind.

Fernando Molica: Krieg in Mirandão. Deutsche Erstausgabe. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Michael Kegler. Edition Nautilus. Hamburg: 2006. 192 Seiten. 13,90 Euro.

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