Brasilien | Nummer 479 - Mai 2014

Niemand verdient es, vergewaltigt zu werden

Journalistin lanciert erfolgreiche Kampagne gegen Vergewaltigungen

Das staatliche Institut für Statistik (IPEA) veröffentlichte Ende März eine Studie zum Thema „Soziale Toleranz von Gewalt gegen Frauen“. Eines der Ergebnisse: 65 Prozent aller Befragten stimmen der Aussage zu, dass Frauen mit aufreizender Kleidung eine Vergewaltigung verdient haben. Die Kampagne „Ich verdiene es nicht, vergewaltigt zu werden!“, die die Journalistin Nana Queiroz daraufhin ins Leben rief, unterstützten Tausende.

Claudia Fix

Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des IPEA zur „Sozialen Toleranz von Gewalt gegen Frauen“ entfachte in Brasilien einen Sturm der Empörung gegen sexistische Denkmuster. 3.810 Menschen antworteten darin auf 42 Fragen zu sexueller Gewalt. Laut den am 26. März veröffentlichten Ergebnissen stimmten 65 Prozent der Befragten der Aussage „Frauen, die durch Kleidung ihren Körper zur Schau stellen, haben es verdient haben, attackiert zu werden“ ganz oder teilweise zu. Deutlich mehr als die Hälfte war auch der Meinung, dass „es weniger Vergewaltigungen gäbe, wenn sich Frauen zurückhaltender benehmen würden“. Auch wenn die Zahlen Anfang April auf „nur“ 26 Prozent korrigiert werden mussten, hat die Umfrage eine anhaltende öffentliche Debatte über sexuelle Gewalt und sexistische Einstellungen in der Bevölkerung ausgelöst. Besonders die beiden genannten Ergebnisse, letzteres ist übrigens kein Fehler, führten zu einer deutlichen Reaktion in den brasilianischen Medien. Die Journalistin Nana Queiroz veröffentlichte daraufhin ein Foto, das sie vor dem brasilianischen Parlament zeigt, den Slogan „Ich verdiene es nicht, vergewaltigt zu werden“ auf den Unterarmen, die ihren nackten Oberkörper bedecken. Es folgte eine massenhafte Reaktion in den sozialen Medien: Tausende von Frauen und Männern unterstützten die Kampagne bei Facebook, Twitter und Instagram mit Fotos von sich und dem Slogan in vielen verschiedenen Variationen. Gleichzeitig erhielt die Journalistin hunderte von Hassmails, in denen ihr vor allem Männer körperliche Gewalt und Vergewaltigung androhten.
Auf dem Höhepunkt der Debatte, schaltete sich auch Präsidentin Dilma Rousseff ein. „Die Regierung und das Gesetz sind auf der Seite von Nana Queiroz und allen Frauen, die bedroht werden oder Opfer von Gewalt sind. Respektiert die Frauen!“ twitterte sie über ihren offiziellen Account. Was in den sozialen Medien begann, führte schließlich auch zu Protesten auf der Straße und bis ins Parlament: Am 10. April nahm Queiroz an einem Treffen von Jugendorganisationen und sozialen Bewegungen mit der Präsidentin teil. Bei diesem Treffen kündigte Rousseff an, den Vorschlag eines nationalen Plans gegen häusliche Gewalt zu prüfen. Denn die Ergebnisse der Studie zu häuslicher Gewalt sind ebenso bedrückend wie die zu Vergewaltigungen: 65 Prozent der Befragten stimmten ganz oder teilweise zu, dass „Frauen, die Gewalt erfahren und bei ihrem Partner bleiben, Schläge mögen“. Mehr als die Hälfte findet es richtig, dass häusliche Gewalt nur innerhalb der Familie diskutiert werden sollte.
Rousseff kündigte ebenfalls an, dass Themen zur Gleichberechtigung der Geschlechter in den nationalen Bildungsplan aufgenommen werden sollen, ein Vorhaben, das auf Widerstand religiöser Gruppen stößt.
Die IPEA-Studie und ein Bericht über die gesundheitlichen Auswirkungen von sexueller Gewalt waren am 15. April auch Thema einer öffentlichen Anhörung im brasilianischen Senat, die von der Menschenrechtskommission und der Sozialkommission mit Nana Queiroz und dem Vorsitzendem des IPEA organisiert wurde. Die Abgeordneten diskutierten die Ergebnisse der Studie, die auch in ihrer korrigierten Version als sehr beunruhigend betrachtet wurden. Die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Ana Rita Esgário von der Arbeiterpartei (PT) sagte dazu: „Die soziale Phantasie, die in der Studie präsentiert wird, zeigt uns die Dimension von Vorurteilen und Sexismus als Basis unserer Gesellschaft. Nicht ohne Grund gibt es jährlich mindestens 500.000 Fälle von Vergewaltigung in Brasilien sowie die institutionelle Gewalt, die dazu führt, dass nur 10 Prozent dieser Fälle überhaupt zur Anzeige gelangen.“
Nana Queiroz, als Initiatorin der Kampagne eingeladen, forderte aktive Eingriffe in verschiedenen Bereichen: in der Bildung, im staatlichen Gesundheitssystem, in den Massenmedien und vor allem mehr Studien über sexuelle Gewalt. „Vergewaltigung ist eine extrem vielschichtige Situation. Der Brasilianer weiß noch nicht genau, was Vergewaltigung ist, es gibt Schwierigkeiten mit dem Thema umzugehen“, sagte sie.
Einen Aktionsplan, um Ärzte im staatlichen Gesundheitssystem und Lehrer staatlicher Schulen so zu schulen, dass sie über die Anzeichen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufklären können, will das Bündnis in Kürze veröffentlichen.
Queiroz hat bereits einen nächsten Schritt vollzogen und veröffentlichte auf dem Blog der Kampagne einige der Geschichten und Erfahrungen, die sie von Opfern von Vergewaltigung erhalten hat. Ihr erster Eintrag schließt mit den Worten: „Wir lassen diese Bewegung nicht sterben.“

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